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Zum jüngsten Buch von Hagen Fleischer: „Griechenland? Ach, dort waren wir auch?“

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Unser Archivfoto (© Eurokinissi) entstand währen der Zeit der deutschen Besatzung im Jahre 1942. Unser Archivfoto (© Eurokinissi) entstand währen der Zeit der deutschen Besatzung im Jahre 1942.

Mit den Worten „Griechenland? Ach, dort waren wir auch?“ quittierten Hagen Fleischers Kommilitonen im Berliner Doktoranden-Kolloquium seine Mitteilung, er werde sein Dissertationsthema Dänemark im Zweiten Weltkrieg „etwas weiter nach Süden“ verlegen: nach Griechenland! Zum Ärger seines Doktorvaters, doch Fleischer setzte sich durch. Was schlussendlich dazu beitrug, dass besagte Frage heute wohl nur noch wenige stellen … Nachzulesen im Anhang der 366 Seiten umfassenden Aufsatzsammlung „Krieg und Nachkrieg. Das schwierige deutsch-griechische Jahrhundert“, soeben im Kölner Böhlau-Verlag erschienen als Band 5 der Reihe „Griechenland in Europa“ – herausgegeben von der emeritierten Professorin Chryssoula Kambas, die seit vielen Jahren auch in deutsch-griechischer Erinnerungskultur engagiert ist.

Der Band bietet eine gelungene Auswahl von verstreuten Arbeiten Fleischers zu den deutsch-griechischen Beziehungen in einem vollen Jahrhundert (1919-2019): Neun Artikel erschienen 1981-2016 in verschiedenen Sprachen – nun alle in erweiterter und aktualisierter deutscher Fassung. Den Abschluss bilden Erinnerungssplitter aus dem Leben des 1944 in Wien geborenen Wissenschaftlers, nicht nur mit einer Griechin verheiratet, sondern auch Deutsch-Grieche – seit 1985 mit doppelter Staatsangehörigkeit und Lebensmittelpunkt in seiner zweiten Heimat.

Die Besprechung setzt zwangsläufig Schwerpunkte. Chronologisch den ersten bildet ein quellenintensiver Aufsatz über das düstere Bild, das die Deutschen vom Ausnahmepolitiker Eleftherios Venizelos konservierten – nach dem Ersten und sogar nach dem Zweiten Weltkrieg! Noch 1963 sabotierte Botschafter Melchers, entnazifizierter Nazi, einen vom (kretischen!) Konsul der BRD vorgeschlagenen „Versöhnungsbesuch“ am Grabmal des großen Kreters, da jener ein halbes Jahrhundert zuvor den Kriegseintritt „gegen uns“ betrieben hatte!

Angelpunkte des Bandes bilden die Okkupationszeit und deren zähe „Bewältigung“ im Geiste des Auswärtigen Amtes. Beschämende Details hat Fleischer schon früh zusammengetragen. Das Amt verfolgte zwei Hauptziele: 1) Zahlungsaufschub bzw. -verhinderung für die ganze Palette der Kriegsschulden ad calendas graecas, bis zum St. Nimmerleinstag, obschon Hellas stärker unter der Besatzung gelitten hatte als jedes andere nicht-slawische Land. 2) „Endlösung der (sogenannten!) Kriegsverbrecherfrage“ (wörtliche Zitate aus Beamtenschriftstücken!), d. h. Täterschutz! So gelang es Bonn, die auf alliierten Druck durchgesetzte „Wiedergutmachung“ an Griechenland (im Rahmen einer Regelung für alle West-Staaten) zu reduzieren, obwohl die Griechen zum Ende der zweijährigen Verhandlungen eine Verdoppelung des vom Bundesfinanzministerium ultimativ geforderten „Limits“ durchsetzten. Absolut war jedoch der Bonner Erfolg in der Kriegsverbrecherfrage. Weitgehende Interessenkoinzidenz der „Eliten“ sowie wirtschaftliche Erpressung halfen dabei.
Unbekannte Aspekte im Besatzungskontext bieten die Kapitel zu den „geostrategischen Plänen für ein germanisches Nachkriegs-Kreta“, aber auch zum Holocaust, dort namentlich zur nahezu harmonischen Vorgeschichte zwischen griechischem Judentum und Deutschland – bis 1933!

Kritische Blicke wirft Fleischer auch auf die Zeit der Junta-Diktatur, insbesondere die ambivalente deutsche Kulturpolitik. Viele neue Erkenntnisse bietet auch „Das deutsch-griechische Dreieck: Instrumentalisierte Erinnerung in beiden deutschen Staaten und Griechenland“. Fleischer war es 1990 als erstem gelungen, ergänzend die Akten der DDR auszuwerten!

Spannende Lektüre bieten ebenfalls die abschließenden autobiographischen Kapitel:
1) Teilnahme als ständiger Experte an der internationalen Historiker-Kommission, die 1987/88 die Weltkriegsvergangenheit des österreichischen Präsidenten Kurt Waldheim untersuchte. Zur Erbitterung des Präsidentenlagers prägte Fleischer damals den Begriff „konsultative Mitverantwortung“ für begangene Kriegsverbrechen.

2) „Eine deutsche Nachkriegskindheit und -jugend“ zeigt, wie er Historiker und „auch Grieche“ wurde. Von allgemeinem Interesse sind etwa die Informationen, wie es Fleischer gelang, das Griechenlandprogramm zweier Bundespräsidenten zu beeinflussen.

Eberhard Rondholz

Eine ausführliche Rezension des Buches „Krieg und Nachkrieg. Das schwierige deutsch-griechische Jahrhundert“ erschien in der Griechenland Zeitung Nr. 636 vom 29. Juli 2020 auf den Seiten 12 und 13. Dieses Buch von Hagen Fleischer wurde aus dem Deutsch-Griechischen Zukunftsfonds gefördert.

Hagen Fleischer: Krieg und Nachkrieg. Das schwierige deutsch-griechische Jahrhundert.
Herausgegeben von Chryssoula Kambas. Übersetzung aus dem Griechischen von Andrea Schellinger. Böhlau Verlag, Wien Köln Weimar 2020.
366 Seiten. ISBN 978-3-412-51789-2.
Preis: 23,99 Euro.

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