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„Große Übereinstimmung über die Zukunft der EU“

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Unser Foto (© Ronny Skevis) zeigt den Deutschen Botschafter in Athen, Jens Plötner. Unser Foto (© Ronny Skevis) zeigt den Deutschen Botschafter in Athen, Jens Plötner.

Im Interview mit der Griechenland Zeitung spricht der deutsche Botschafter Jens Plötner u. a. über die bilateralen Beziehungen, über deutsche Unternehmen in Griechenland und darüber, dass Reformen nicht zurückgeschraubt werden dürfen. Thematisiert wurden auch die Flüchtlingsfrage und rechtsextremistische Phänomene.


GZ: Sehr geehrter Herr Botschafter, Griechenland hat im August die mit den internationalen Geldgebern vereinbarten Memoranden offiziell beendet. Was hat sich dadurch verändert, und welchen Einfluss hat das auf die deutsch-griechischen Beziehungen?

PLÖTNER: Der erfolgreiche Abschluss des dritten Reformprogramms ist zunächst einmal ein wichtiger Meilenstein für Griechenland selbst. Nach acht Jahren voller einschneidender Reformen und auch Entbehrungen für viele Menschen steht das Land heute wirtschaftlich und finanziell deutlich besser da. Die Arbeitslosigkeit ist immer noch viel zu hoch, aber sie ist erstmals wieder unter 20 Prozent gesunken. Der Export ist angesprungen und das Land verzeichnet wieder Wirtschaftswachstum.
Mir ist aber auch klar: Bei vielen griechischen Familien kommt die Verbesserung der wirtschaftlichen Indikatoren noch nicht im „wahren Leben“ an. Deswegen sprach ich auch bewusst von einem „Meilenstein“ und nicht von der „Ziellinie“. Denn allen ist klar: Es bleibt noch viel zu tun. Griechenland muss auf dem Erreichten weiter aufbauen. Und vor allem dürfen die Reformen nicht zurückgedreht werden.

„Dichter Besuchsrhythmus“

GZ: Nach dem jüngsten Besuch von Außenminister Heiko Maas wird in Kürze auch der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in der griechischen Hauptstadt erwartet. Er war zuletzt im April 2017 zu einem offiziellen Besuch in Griechenland. Wodurch erklärt sich diese relativ dichte Visitenabfolge, warum ist Griechenland für Deutschland so wichtig?

PLÖTNER: Wir leben in stürmischen Zeiten, und Europa, die EU sind, sowohl von innen wie auch von außen, wachsendem Druck ausgesetzt. Die Reaktion darauf sollte das Zusammenrücken aller pro-europäischen Kräfte sein. In den großen Fragen der Zukunft der EU gibt es zwischen Deutschland und Griechenland – übrigens sowohl Regierung als auch Opposition – eine große Übereinstimmung. Dies ist einer der Gründe, warum wir derzeit einen so dichten Besuchsrhythmus haben.

GZ: Deutschland ist nach wie vor der wichtigste Wirtschaftspartner Griechenlands. Man hofft in Athen auf mehr Investitionen. Wie reagiert die deutsche Wirtschaft auf die Einladung, Geld in Griechenland anzulegen?

PLÖTNER: Deutschland war und bleibt mit deutlichem Abstand der wichtigste Handelspartner Griechenlands. An die 120 deutsche Unternehmen sind in Hellas ansässig und fast alle haben dem Land auch in den Krisenjahren die Treue gehalten. Einige – wie etwa Boehringer Ingelheim oder Lidl – haben sogar in den letzten Jahren erhebliche Neuinvestitionen getätigt. Gleiches gilt für deutsche Großinvestitionen wie Fraport oder Telekom – hier sprechen wir jeweils von mehreren hundert Millionen Euro.
Natürlich hofft die Regierung auf mehr und neues deutsches Engagement in der griechischen Wirtschaft, und wir sind im intensiven Dialog darüber, wie wir die Investitionsbedingungen hier attraktiver gestalten können.

Südöstlicher „Vorposten“ der EU

GZ: Griechenland kommt in Südosteuropa und im östlichen Mittelmeer eine wichtige geostrategische Rolle zu. Welches Interesse hat Deutschland, damit die Lage in der Region möglichst stabil ist, und welche Formen der Unterstützung gibt es bzw. könnte es geben?

PLÖTNER: Griechenlands geostrategische Lage hat sich in den letzten Jahren erheblich verändert: Der Krieg in Syrien, die Flüchtlingskrise, Instabilität in der Türkei – aber auf der „Habenseite“ auch die Bemühungen Athens um gute Beziehungen zu allen Ländern des Balkans, angefangen mit der FYROM und Albanien. Als südöstlichem „Vorposten“ der EU kommt Griechenland in dieser Lage eine besondere Verantwortung zu. Gleichzeitig muss es sich auch auf die Solidarität der EU-Partner verlassen können. Ich habe den Eindruck, dass gerade Deutschlands Engagement hier sehr geschätzt wird – etwa bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise oder einem verstärkten militärpolitischen Dialog.

GZ: Das Verhältnis zwischen Griechenland und der Türkei ist nicht eben einfach; nicht zuletzt ist davon auch die Lösung der Zypernfrage betroffen. Doch seit geraumer Zeit ruhen die EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara. Was bedeutet das für Griechenland und welche Rolle könnte Deutschland in dieser Situation übernehmen?

PLÖTNER: Es gibt wohl kaum zwei Länder der EU, die so intensive Beziehungen zur Türkei haben wie Griechenland und Deutschland. Wir sind beide „Nachbarn“ der Türkei – Griechenland geographisch und wir Deutschen demographisch. Und deswegen ist es meines Erachtens auch kein Zufall, wenn wir gemeinsam der Auffassung sind, dass sich die EU kein „Nicht-Verhältnis“ zur Türkei leisten kann. Dazu ist das Land zu wichtig und dazu ist unser Interesse an einer stabilen, demokratischen Türkei zu groß. Deswegen müssen wir miteinander im Gespräch bleiben, und das war auch der Hintergrund für den jüngsten Besuch von Präsident Erdogan in Deutschland.

Kooperation in der Flüchtlingsfrage

GZ: Derzeit kommen wieder sehr viele Flüchtlinge nach Griechenland, die hier erstmals EU-Territorium betreten und in aller Regel einen Antrag auf Asyl stellen. Das Land scheint zum Teil überfordert, um das allein zu bewältigen. Welche Hilfe leistet Deutschland? Wo könnte noch mehr getan werden?

PLÖTNER: Deutschland hat in den vergangenen drei Jahren insgesamt rund 17 Millionen Euro an bilateraler Förderung für die Versorgung der Flüchtlinge und Migranten in Griechenland bereitgestellt, die EU als Ganze 1,6 Milliarden Euro. An finanzieller Unterstützung fehlt es also nicht. Ferner unterstützen wir Griechenland laufend mit 71 Polizeibeamten sowie mit bis zu 50 Fallexperten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zur Beschleunigung der Asylverfahren auf den ostägäischen Inseln. Andere EU-Mitglieder sind hier ebenfalls engagiert.
Trotz all dieser Anstrengungen können wir mit der gegenwärtigen Lage nicht zufrieden sein: Die Lage in den meisten Hotspots ist sehr schwierig, und die Verfahrensdauer bei den Asylanträgen bleibt zu lang. Über diese Probleme stehen wir mit der griechischen Regierung im Rahmen des EU-Dialogs in intensiven Gesprächen.

GZ: Wie in vielen Teilen Europas, so wächst auch in Griechenland die Gefahr, dass rechtsextreme Gruppierungen immer mehr an Einfluss gewinnen. Obwohl gegen die faschistische Chryssi Avgi ein Prozess geführt wird, dem der Verdacht zu Grunde liegt, dass es sich um eine kriminelle Organisation handelt, hat diese Partei kaum an Popularität eingebüßt. Wie ist die Sicht Deutschlands auf diese Entwicklungen, was kann man gemeinsam tun, um rechtsextremer Gewalt Einhalt zu gebieten?

PLÖTNER: Leider gibt es wohl kein Patentrezept dafür, wie man Rechtsextremismus und Nationalismus am besten zurückdrängen kann. In Deutschland beobachten wir ja ein merkwürdiges Phänomen: Gerade dort, wo kaum Ausländer leben, gedeiht dumpfer Fremdenhass. Das deutet doch darauf hin, dass diese bösen Phänomene sehr oft wenig mit konkreten Sorgen, sondern eher mit diffusen Ängsten oder Befindlichkeiten zu tun haben. Deswegen brauchen wir denke ich beides: Hartes rechtliches Vorgehen gegen strafbare Handlungen und null Toleranz für auch nur verbale „Grenzüberschreitungen“ einerseits. Und andererseits eine Politik, die den Menschen das Gefühl gibt, ihre Sorgen werden ernst genommen. Meine Hoffnung ist, dass das die Anfälligkeit für die simplistischen Parolen der Populisten verringert.

Die Fragen stellten Jan Hübel und Robert Stadler.

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