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Probleme für die Regierung nach plötzlicher Schließung von ERT Tagesthema

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Probleme für die Regierung nach plötzlicher Schließung von ERT
In der griechischen Koalitionsregierung kriselt es. Hintergrund ist die plötzliche Schließung des staatlichen Rundfunks- und Fernsehens ERT. Vorverlegte Parlamentswahlen sind nicht ausgeschlossen, obwohl eine solche Option in der Regierung niemand will. Zum ersten Mal strahlte heute Morgen der „Neue Griechische Rundfunk, Internet und Fernsehen" (NERIT), ein Signal aus. Ein Programm gab es zwar noch keins, doch es wird angenommen, dass Ministerpräsident Antonis Samaras heute Abend eine Rede an das Volk halten wird, die bereits von NERIT übertragen werden soll.
IT übertragen werden soll. Im Anschluss wird sich Samaras gegen 19.30 Uhr mit seinen beiden Koalitionspartnern Evangelos Venizelos (PASOK) und Fotis Kouvelis (DIMAR) in seinem Amtssitz, dem Megaron Maximou, treffen. Auf dem Gesprächstisch liegen die politischen Entwicklungen nach der überraschenden Schließung des staatlichen Rundfunks- und Fernsehens ERT am vorigen Dienstag.

„Hochburg der Korruption"
Regierungschef Samaras hatte die Entscheidung, ERT zu schließen, im Alleingang getroffen. Angekündigt worden war dieser Plan von Regierungssprecher Simos Kedikoglou, einige Stunden später war das komplette Programm nicht mehr zu empfangen. Die Mitarbeiter der ERT traf die Schließung wie ein Blitz aus heiterem Himmel, abgesehen davon, dass die Pläne der Regierung, die Sendeanstalt bis Ende des Jahres zu reformieren, allgemein bekannt waren.
Die beiden Koalitionspartner PASOK und DIMAR gaben sich völlig überrascht. Venizelos und Kouvelis zeigten sich daraufhin in der Öffentlichkeit entschlossen, die Schließung zu verhindern. Samaras wiederum beharrte auf seiner Entscheidung. ERT dürfe in der alten Form nicht wieder eröffnet werden, das Unternehmen sei nicht zu reformieren. Mehrfach bezeichnete er die staatliche Sendeanstalt als „Hochburg der Korruption". Das neue Modell NERIT müsse auf ganz neuer Basis, mit weniger Personal und mehr Transparenz arbeiten. Doch genau das bezweifeln die Schließungsgegner. Sie fürchten, dass das neue Personal von NERIT gänzlich nach politischen Maßstäben ausgesucht werden könnte. Auch der Kompromissvorschlag von Samaras, eine vorübergehende ERT zu öffnen, bis NERIT voll einsatzfähig ist, stieß auf Widerstand seitens der Regierungspartner und der Angestellten des Unternehmens.

Kein Konsens
Bereits in der vorigen Woche machten Gerüchte über die Eventualität von vorverlegten Parlamentswahlen die Runde. Beobachter sprechen von der schwersten Krise der Regierungskoalition, seit sie nach den Wahlen vor einem Jahr gebildet wurde. Ministerpräsident Samaras sagte dazu am Wochenende: „Einige versuchen, uns in einem Dilemma von vorverlegten Parlamentswahlen einzukapseln." Die tatsächliche Frage sei seiner Meinung nach, wer den Stau der Reformen verantworten wolle.
In einem Interview bezeichnete er all diejenigen, die sich dafür einsetzen, ERT wieder zu eröffnen, als „Heuchler". Seitens der PASOK war zu hören, dass die Sozialisten keine vorverlegten Parlamentswahlen, sondern politische Stabilität erzielen wollen. DIMAR hebt immer wieder hervor, Ministerpräsident Samaras müsse endlich „begreifen", dass er eine Dreiparteienregierung regiere. Wenn er aber seine Koalitionspartner mit „Worten und Taten" ins Abseits dränge, dann sei der Bestand der Regierung in Gefahr.
Nun bleibt abzuwarten, ob die drei Regierungspartner bei ihren Gesprächen heute Abend einen politischen Kompromiss finden. Zudem wartet man auf eine Entscheidung des Staatsrates. Er soll am Dienstag ein Urteil darüber fällen, ob ERT doch wieder auf Sendung gehen darf. Im Extremfall könnten PASOK und DIMAR ihr Vertrauen gegenüber Samaras zurückziehen. Dann könnte Samaras theoretisch zurücktreten, unter einem neuen Ministerpräsidenten könnte theoretisch eine neue Koalition gebildet werden. Allerdings könnte Samaras auch für eine kurze Zeit mit einer Minderheitsregierung weiter regieren. In einem solchen Fall müsste er sich eventuell auf andere Konservative bzw. auch unabhängige Parlamentarier stützen.

Solidaritätsproteste für staatlichen Rundfunk- und Fernsehen ERT

Die Schließung der ERT hat in Griechenland zu zahlreichen Protestaktionen geführt. Daran beteiligen sich überwiegend linke Oppositionsparteien. Es finden zudem auch Solidaritätskonzerte statt (siehe Foto).

Die Schließung des staatlichen Rundfunks- und Fernsehens ERT vor sieben Tagen bringt weiterhin eine große Protestwelle mit sich. Zum sechsten Tag in Folge streikt in Griechenland ein Großteil der Journalisten. Damit wollen sie Solidarität mit ihren 2.656 entlassenen Kollegen von ERT zeigen. Diejenigen Journalisten, die noch arbeiten, beschäftigen sich fast ausschließlich mit dem Thema der ERT. Ein Live-Programm wird weiterhin aus dem von Mitarbeitern besetzten Hauptgebäude der ERT im Athener Vorort Agia Paraskevi ausgestrahlt. Übertragen wird es auf der Internetseite der Europäischen Rundfunkunion EBU (www.ebu.ch).

„Schlag gegen die Demokratie"
Was die plötzliche „Gruppenentlassung" der ERT-Angestellten angeht, spricht die größte Oppositionspartei im griechischen Parlament, das Bündnis der Radikalen Linken (SYRIZA), von der Umgehung der griechischen und der europäischen Gesetzgebung. Eine entsprechende Anfrage haben drei Parlamentarier des SYRIZA an Finanzminister Jannis Stournaras, an Ministerpräsidenten Antonis Samaras und an Regierungssprecher Simos Kedikoglou gerichtet. Die Schließung von ERT würde „die griechische Verfassung verletzen, das Informationsrecht der Bürger angreifen und Griechen, die in abgelegenen Regionen oder im Ausland leben, ausgrenzen", heißt es darin. Zudem sei die Schließung der ERT „ein Schlag gegen unsere Kultur und Demokratie".

Demonstrationen
Für 20.00 Uhr hat SYRIZA am heutigen Montagabend weiterhin eine Protestaktion vor dem Athener Parlament am Syntagma-Platz organisiert. Zur Beteiligung werden alle Bürger aufgerufen, „die für die Demokratie und die Aufhebung der Spar- und Reformpolitik (Memorandum) kämpfen". Heute vor einem Jahr haben in Griechenland die Parlamentswahlen stattgefunden. Daraus ist die gegenwärtige Koalitionsregierung aus Konservativen (ND), Sozialisten (PASOK) und Linken (DIMAR) hervorgegangen.
Unterdessen hat die der kommunistischen Partei nahestehende Gewerkschaft PAME ebenfalls heute Abend zu einer Protestaktion am zentralen Platz des Athener Vorortes Agia Paraskevi aufgerufen. Ganz in der Nähe befindet sich das Gebäude der ERT-Zentrale, das nach wie vor von den Mitarbeitern besetzt gehalten wird, um weiterhin per Internet senden zu können. Diese Demonstration soll bereits um 19.00 Uhr beginnen. In einer Ankündigung heißt es u. a. „Jetzt ist die Zeit der Organisation des Kampfes gekommen".
Am Sonntagabend hat auch in der zweitgrößten Stadt des Landes, Thessaloniki, ein Protestmarsch gegen die Schließung von ERT stattgefunden. Ähnliche Protestaktionen finden auch in anderen Landesteilen statt. Vor der Athener ERT-Zentrale werden auch immer wieder Solidaritätskonzerte gegeben. Ein Großteil der griechischen Künstler hat Solidarität mit den ehemaligen ERT-Angestellten bekundet.

(Text: Elisa Hübel, Foto: Eurokinissi)

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