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Kithira: Einsam gelegen und noch wenig entdeckt

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Die Insel, die während der langen venezianischen Besatzungszeit Cerigo hieß- weshalb die Einwohner sich heut noch Cirigoten nennen-, liegt südlich der Peloponnes, gehört aber zum Verwaltungsbezirk Piräus, wohin auch die meisten Inselbewohner, die daheim nicht ihr Auskommen finden, für die Zeit ihrer Berufstätigkeit „auswandern". So gibt es viele menschliche Beziehungen herüber und hinüber, mehr als nach Kreta, das nur halb so weit entfernt ist. Allerdings findet man auf nicht wenigen Grabsteinen Namen  mit der kretischen Endung –akis, was doch auf Kontakte auch nach Süden hindeutet.

Als wir an Bord der von den Einheimischen „Titaniko" genannten Fähre von Neapolis schon von Weitem der trostlos öden und steilen Ostküste von Kithira ansichtig wurden, sagten wir:" O Gott, was haben wir uns da bloß für ein Ferienziel ausgesucht!" Beim Näher kommen zeigt sich dann ein lang gezogener Strand neben dem kleinen Hafenort Agia Pelagia, wo es die einzigen größeren Hotels der Insel gibt. Am südlichen Ende dieses Strandes sammelt sich das Wasser, das durch eine enge Felsspalte herunterkommt, zu einem kleinen Süßwassersee, der im Sommer natürlich austrocknet. Oberhalb der steilen Felsen, z. T. in sie hineingebaut, vom Meer nicht einsehbar, lag die alte Hauptstadt der Insel, die schließlich nur durch Verrat den Eroberern zum Opfer fiel. Die eigentliche Landschaft erschließt sich erst, wenn man auf die Hochebene hinauf kommt, die nach allen Seiten mehr oder weniger steil zum Meer hin abfällt, von tiefen Schluchten durchfurcht, an deren steilen Flanken meist abenteuerlich schmale Serpentinenstraßen ohne Ausweichmöglichkeiten bei Gegenverkehr zu den kleinen Stränden hinunterführen. Im Norden und Süden geht es weniger steil bergab, und so gibt es da Asphaltstraßen und ein wenig Tourismus. Im Westen, wo sich der Regen niederschlägt, gibt es sogar ein bisschen Wald, meist Eukalyptus und Pevken, sowie einen Wasserfall mit einem einem kleinen See, Neraida genannt, in der Nähe von Milopotamos. Die Mitte des Landes ist aber auf weite Strecken nur von Hartlaubgebüschen wie dem Erdbeerstrauch bewachsen.

Uns hat es besonders der liebenswerte kleine Süd-Hafen Kaspsali angetan. Er ist gut geschützt, aber das Wasser ist flach, und so müssen größere Schiffe, z.B. Kreuzfahrtschiffe, weiter draußen ankern und ausgebootet werden. Oberhalb davon auf der „Hochebene", liegt Chora, das touristische Zentrum der Insel, neben einem hohen, auf der anderen Seite steil aus dem Meer aufragenden Felsen mit den Resten des venezianischen Kastro. Die eigentliche Inselhauptstadt ist jedoch Potamos im Norden. Dort ist das Zentrum der Einheimischen mit Ämtern, Dienstleistern, einem Altenheim, Geschäften, Restaurants und traditionellen Kafenions. Auf der Platia trifft sich am Sonntagvormittag die ganze Insel. Die Männer trinken im Schatten großer Bäume Kaffee, Bier und Schnaps, reden über Gott und die Welt und machen Geschäfte. Die Frauen bieten derweil auf dem freien, sonnigen Teil des Platzes, ihre Gartenüberschüsse, auf Plastikplanen ausgebreitet, zum Verkauf an. Eine eigentliche Landwirtschaft gibt es nicht; nur einen kleinen Olivenhain in einer Senke haben wir entdeckt. Ich nehme an, das liegt an den Winden, denn Kithira ist von drei Meeren umgeben, dem ionischen, dem ägäischen und dem kretischen, die ihre Winde gleichzeitig aus allen Himmelsrichtungen ungehindert auf die Insel loslassen. Diese sind oft - nicht nur im Winter - tagelang hintereinander so stark, dass kein Schiff mehr landen kann und auch der Flugverkehr eingestellt werden muss. Bei der „Titaniko" weiß man erst früh um sieben, ob das Schiff um acht Uhr fährt. Für Reisende, die pünktlich hin oder wieder weg müssen, ist Kithira also nicht zu empfehlen. Es gibt übrigens noch drei andere Routen nach Kithira: einige Fähren von Piräus nach Kreta machen hier einen Zwischenstop. Ferner kann man von Gythion fahren (aber auch nicht jeden Tag), und schließlich gibt es die wunderschöne Strecke von Kalamata an der Westküste der Mani entlang, zweimal pro Woche. Die lohnt sich aber nur, wenn man bei Tage fährt und bei klarem Wetter, so dass man die herrliche Sicht genießen kann. Möglicherweise sind auch die Winde, die eine Nahrungsmittelproduktion weitgehend verhindern, schuld an der ersten großen Auswanderungswelle, die in den letzten Jahrzehnten des 19. Jhs stattfand, nach dem Anschluss der Insel an das griechische Kernland, als die Bürger sich wieder frei bewegen durften. Die zweite große Welle, diesmal aus politischen Gründen, kam während des Bürgerkriegs in den Vierzigerjahren des 20. Jhs. Die meisten Flüchtlinge gingen nach Amerika und Australien. Die Amerikaner sprechen, wenn überhaupt, ein miserables Griechisch, denn sie kommen sehr selten in die alte Heimat. Anders als Australier. Sie haben sich große Häuser hier gebaut (die die Landschaft zersiedeln), in denen sie das ganze Sommerhalbjahr verbringen, wenn in Australien Winter ist. Glücklicherweise gibt es eine sehr strenge Bauvorschrift. Erstens darf nicht gebaut werden, wo die endemischen kleinen gelben Strohblumen wachsen, deren Plätze gewissenhaft kartographiert sind. Vor allem aber muss die kompakte kubische Form der Häuser gewahrt werden. So sind z.B. freischwebende Balkone verboten; man kann nur das obere Stockwerk etwas zurücksetzen, so dass auf  dem vorspringenden unteren Geschoss eine Terrasse entsteht. Die alte dörfliche Bauweise der (wohl wegen des Windes) eng ineinander geschachtelten Häuser kann man besonders gut in Aloizianika bei Friligianika sehen. Viele der Häuser dort sind verlassen und fallen ein, aber viele werden wieder aufgebaut, oft von fremden, die den echt griechischen Charme dieses Ortes lieben. Europäische Touristen gibt es ansonsten nicht allzu viele, weswegen es auch bis vor zwei Jahren keine öffentlichen Verkehrsmittel gab. Die Festlandgriechen, die besonders im Herbst auf die Insel kommen, sind meistens Vogeljäger und haben ihre eigenen Geländewagen dabei. Die Autos der Australier stehen sowieso ganzjährig in der Garage. Im Gegensatz zu den Venezianern, die das arme Land in fürchterlicher Weise auspressten, taten die Engländer, die Kithira kurze Zeit besetzt hielten, viel für die Infrastruktur. Sie bauten vor allem Straßen und bei Kato Livadi die große Brücke von Kantouni, auf die die Cirigoten sehr stolz sind und sie für ihre größte Sehenswürdigkeit halten.
In Kato Livadi, gibt es übrigens auch Zimmer zu vermieten. Wir wohnten allerdings im oberen Livadi, bei Maria, die den Blumenladen betreibt und früher Lehrerin war, weshalb sie sehr kompetente Ratschläge für die Besichtigung der Insel geben kann. Hier gibt es eine Tankstelle und ein kleines Museum in der Bibliothek, und zwar über Kythera, während das Museum in Kato Livadi byzantische kirchliche Kunst zeigt. Vor allem aber ist Livadi der südliche Verkehrsknotenpunkt, von wo aus man schnell überall hinkommt. Z.B. nach Karvounades mit einem Automechaniker und zu der Kirche Ag. Dimitrios bei Kladadika, die wir für die sehenswerteste der unzähligen Kirchen  der  Insel halten, sowohl wegen der wenigen, aber unglaublich schönen Fresken, sowie auch wegen ihrer interessanten Bauweise von fünf ineinander geschachtelten Kirchenschiffe. Als wir sie vor drei Jahren zuletzt sahen, waren die Fresken noch nicht veröffentlicht, und die Dächer waren aus Beton. Man war erst am Beginn der Restaurierung. Um ins Innere zu kommen, musste man auf den Berg fahren an dessen Fuß diese Kirche liegt, um dort in dem ehemaligen Kloster einen alten Mann, den Schlüsselverwahrer, abzuholen (und nach erfolgter Besichtigung wieder hoch zu bringen.--- Eine sonderbare Bauweise hat auch eine andere Ag. Dimitrios-Kirche links neben der Straße von Karvounades nach Osten bei Ag. Ilias. Sie besteht nur aus der Vierung mit einer Kuppel und eine kleinen Apsis. Ag. Ioannis o Theologos nördlich von Kalamos ist stufenförmig gebaut und sieht aus wie ein Mittelding zwischen einer Festung und einer Mühle. Es gibt sehr viele Doppelkirchen oder solche, die ganz eng aneinandergebaut sind. Wahrscheinlich gab es allzu viele Heilige, die untergebracht werden mussten.

Ganz in der Nähe von Ag. Elias hat unser Freund Nikos, der Schuster von Karvounades, sein Grundstück mit ein paar Obstbäumen, einem kleinen Weingarten und einem winzigen Häuschen. Er ist ein wunderbarer Mensch, fromm, glücklich und zufrieden, von großer Herzlichkeit, und --- er liebt die Deutschen, weil er als junger Mann in Deutschland sehr gut behandelt wurde, als er dort zehn Monate lang gleichzeitig in einer Schuhfabrik und in einer Bäckerei das Geld verdient hat, mit dem er dann in Piräus eine Keksfabrik aufbaute. Ein anderer Freund, auch ein Nikos, lebt in Logothetianika. Er war Stewart einer amerikanischen Gesellschaft in Deutschland und spricht exzellent deutsch. Als die großen Flugzeuge und die Pauschalreisen aufkamen und er sich nicht mehr mit den Reisenden unterhalten konnte, freute es ihn nicht mehr. Er machte in Kreta eine Pizzeria auf. Als seine Eltern auf Kithira gestorben waren, zog er in das alte Inselhaus, wo er nun aus den Früchten des Gartens Marmeladen und andere Köstlichkeiten herstellt, die auf der Insel von Touristengeschäften verkauft werden. Er kaufte sich auch ein Heilkräuterbuch und geht jeden Morgen sehr früh zum Sammeln in die nähere und fernere Umgebung. Seine langen Beine ersetzen ein Fahrzeug. Vielleicht kommt auch mal jemand auf die Idee, aus den auffälligsten Pflanzen der Insel Spezialitäten herzustellen: Aus Sanddorn, Anis und den winzigen Wildbirnen. Dabei gibt es sogar einen öffentlichen Schnapsbrennofen, uralt zwar, aber funktionsfähig. Auch den ewig blasenden Wind als Energiequelle zu nutzen, läge nahe. Doch lieber bezieht man seinen Strom vom Festland, über Kabel am Meeresboden. Die kann dann leicht mal ein Schiffsanker zerreißen , wie vor etlichen Jahren geschehen, und die Reparatur dauerte eine Woche. Neun Monate später gab es viele Geburten.

Viel Sehens-oder Wissenswertes gäbe es noch zu erwähnen, wie z.B. dass auch hier , wie in Zypern, die Göttin Aphrodite geboren sein soll, allerdings die der Agape (in Z. die des Eros). Doch wenn es schon keine eigentliche Badeinsel ist, so soll der Reisende, dessen Neugier auf diese ganz andere Insel hoffentlich angestachelt wurde, auch selbst noch die Freude des Entdeckers haben.

Wendula Michl

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