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Die Insel Ikaria – Ein duftendes Erlebnis mitten in der Ägäis

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Die klene Hafenbucht von Therma Die klene Hafenbucht von Therma
Die Insel Ikaria – benannt nach Ikarus, weil ihn sein Vater Daidalos dort beigesetzt hat – ist es wert, entdeckt zu werden. Und Panagiotis, der dort seit Jahren lebt, darf man wörtlich nehmen, wenn er seine Insel als „Ganzjahresziel“ bezeichnet. Heute lesen Sie den zweiten und letzten Teil der Reportage.
 
„Ikaria ist für mich im Winter reizvoll. Sie hat diese raue, wilde Natur. Die Strände gehören sicher nicht zu den Besten des Landes, wenn man nur schwimmen will“, erzählt Panagiotis. Wer gerne auf Fischfang geht, der müsse auch mit den extremen Strömungen im Wasser kämpfen. Da kaum Anlegehäfen vorhanden seien, müssten viele Fischer ihre Kutter im Winter an Land ziehen. Aber Ikaria bietet ideale Bedingungen für Agrartourismus, und für Wanderer ist es ein Paradies. „Es gibt sehr gute ausgeschilderte Wege“, berichtet mir Panagiotis, „man kann Höhlen entdecken, und der Berg Athera mit über 1000 Metern in der Mitte bietet seltenen Greifvögeln ein Zuhause. Ikaria besitzt aber auch noch archaische Bäume und wird für seine intensiven Kräuterlandschaften und den Honig gerühmt.“ 
 
„Nach Athen will ich nie wieder“
 
Plötzlich greift Panagiotis zu seiner Violine und beginnt zu spielen. Er ist studierter Musiker, geboren und aufgewachsen in Athen. Aber da gab es die ständigen Auftritte in den Nächten, Geld floss nur spärlich und dann kam auch noch die Krise. Der Mensch werde nur ausgebeutet, erklärt mir der junge Mann. Athen, das sei schon längst keine Option mehr für ihn. Jetzt spielt er in seinem Tante-Emma-Laden, wenn ihm danach ist, und im Sommer veranstaltet er jedes Wochenende auf dem kleinen Hof Konzerte – für Freunde und alle, die zufällig bei ihm vorbeischauen. „Musik ist mein Leben. Ich könnte mir kein anderes Leben vorstellen. Besonders die griechische Rembetiko-Musik und die ganz alten griechischen Lieder, die kaum jemand mehr spielt, die liebe ich. Ich bin ein Inlands-Emigrant. Heißt das nicht so? – Mich bringen hier nichts und niemand mehr weg. Nach Athen will ich nie wieder. Wenn Athen so bleibt, dann will ich nicht einmal, dass meine Kinder jemals dorthin fahren“.  
 
Panagiotis spielt auf seiner ViolineSMALL
 
Emigration und Langlebigkeit 
 
In Gegensatz zum jungen Panagiotis sind viele Ikarioten bereits vor 100 Jahren emigriert. Vor allem nach Amerika und Australien. Die Insel bot damals keine Perspektive. Doch jeden Sommer kehren viele von ihnen zurück. Sie haben auf ihrer Heimatinsel investiert, auch um den Zurückgebliebenen zu helfen. Die Emigranten ließen etwa ein ungewöhnlich großes Krankenhaus bauen, mit Spezialisten auf vielen Gebieten und wohlweislich auch einem Altenheim. Denn das Älterwerden, nun, das ist auf Ikaria ein wichtiges Thema. Viele Gerontologen haben hier intensive Feldforschung betrieben. Der Grund: Hier leben die ältesten Menschen Europas. Stamatios Loukas ist einer von ihnen. Er ist 89 und führt noch immer gemeinsam mit seiner Frau ein Hotel in „Therma“. Seine Antwort auf die Langlebigkeit der Ikarioten klingt ganz plausibel. „Ikaria befindet sich tatsächlich inmitten der Ägäis. Wir haben Winde aus allen Richtungen. Das wechselt manchmal ganz spontan von Nord auf Süd und von Süd auf Nord. Von den Dardanellen kommen sie und aus Afrika. Ikaria ist eine zugige Insel, wenn sie so wollen. Der Wind pustet hier alles weg. Hinzu kommt die natürliche Vegetation. Und schließlich das bescheidene, aber sehr biologisch angebaute Gemüse aus dem eigenen Garten. Niemand setzt hier chemischen Dünger ein. Und unser Wasser kommt direkt vom Berg. Da gibt’s keinen Zweifel, dass es gut ist. Aber ich glaube, dass es eher dieser ständige Wind ist, der uns länger leben lässt. Ich spüre das immer beim Wandern. Da fühle ich immer wieder, dass mich etwas aufleben lässt.“ 
 
Maria nimmt den bösen Blick
 
Wenn man auf einer Insel wie Ikaria ist, dann darf ein wenig Aberglaube und Mythos nicht fehlen. Lange zu leben, das sei schon gut, erzählt mir an einem Abend Maria Gemela, Geschäftsfrau in Agios Kirikos. Aber man sollte sich doch in jedem Fall den bösen Blick vom Leib halten, will man gesund durchs Leben gehen, erklärt sie. Wie das geht? – Die entsprechende geheime Formel hat die junge Frau von ihrer Großmutter überliefert bekommen. Und übt sich darin fleißig. Schließlich würde dieser Aberglaube auch von der orthodoxen Kirche toleriert werden, betont sie. Alles verrät Maria am Ende nicht. Aber doch ein bisschen: „Es handelt sich um ein Gebet, das von Generation zu Generation weiter gegeben wird. Ich darf es an eine Frau nicht mündlich weitergeben, nur an einen Mann. Einer Frau kann ich es nur schriftlich vermitteln. Wenn jemand den bösen Blick hat und sich plötzlich am ganzen Körper unwohl fühlt, dann fange ich in dessen Nähe sofort zu gähnen an und fühle mich selbst unwohl. Spreche ich dann im Stillen das Gebet, geht es der Person innerhalb von 30 Minuten wieder gut.“ 
 
Geeignet für ein ruhiges Leben
 
In der Vorsaison kommt mir Ikaria noch sehr verschlafen vor. Als ich entlang der nördlichen Küstenstraße die kleinen Orte abfahre, sind die vielen Hotels alle noch geschlossen und an den großen Sandstränden sonnen sich nur die Möwen. Zu dieser Jahreszeit ist Ikaria aber eine duftendes Erlebnis. Überall wachsen Kräuter und Blumen. Und wenn man ins Inselinnere fährt, hinauf in die Höhen von Rahes, vergisst man fast, auf einer Insel zu sein. Dort bieten die Waldtavernen Wildgerichte an, und ohne warme Kleidung lässt es sich kaum lange aushalten. Am Ende muss ich feststellen, dass Ikaria wirklich keine Insel der großen Highlights ist. Aber in Ikaria kommt man an und will bleiben. Weil man sich sofort aufgenommen fühlt. Und weil diese Insel eben doch ein wenig anders ist als alle anderen Inseln Griechenlands, die sich bereits seit Jahrzehnten nur dem Tourismus verschrieben haben. Oder um es mit den Worten von Panagiotis des Musikers zu sagen: „Edo dhen echis anchos!“ Will heißen: Auf dieser Insel hast du einfach weniger Stress.
 
Der kleine Hafen in MagganitisSMALL
Der kleine Hafen in Magganitis
 
Text und Fotos von Marianthi Milona
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