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Unterwegs mit leichtem Gepäck

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Unterwegs mit leichtem Gepäck

Auf den Spuren von Patrick Leigh Fermor durch das bitterschöne Land der Manioten, Teil 1

In den 1930er Jahren wanderte er zu Fuß quer durch Europa. Im Zweiten Weltkrieg gelang ihm mit der Entführung des deutschen Generals auf der Insel Kreta ein Husarenstück. Ende der 1980er Jahre begrub er die Asche Bruce Chatwins in der Nähe seines Hauses in der südgriechischen Mani: Patrick Leigh Fermor (1915-2011), der legendäre englische Reisende, Abenteurer, Untergrundkämpfer und Schriftsteller. Bericht über eine Begegnung im kargen Süden der Peloponnes.

Ein Frühlingsmorgen vor fünf Jahren in Griechenland. Heute ist Gründonnerstag, Karwoche. Der würzige Duft von wildem Thymian, Zypressenharz und dem Rauch der letzten Winterfeuer liegt in der Luft. Die Blätter uralter Olivenbäume schimmern silbern im vorösterlichen Sonnenlicht. Darunter: bunte Wiesenblumen und saftig grünes Gras. Vor der Kulisse des schneebedeckten Taygetos schwappt laut glucksend die Messenische See gegen das Steilufer. Plötzlich auf der linken Seite meines Fußweges: eine winzige Kapelle. Mit einem Palmzweig geschmückt. Einige Meter weiter taucht der Fußweg in eine Senke ab, es wird düster. Hohe Zypressen säumen jetzt den Weg. Auf der rechten, dem Meer zugewandten Seite beginnt eine Feldsteinmauer. Mit jedem Schritt wird sie höher. Ich erreiche eine himmelblaue Tür. Ein einfaches, aber ausgesprochen schönes Portal. Mit einem kleinen Vorhaus. Die Tür ist einen Spalt breit geöffnet. Durch diesen fällt mein Blick in einen Innenhof. Dieser ist von einem Kieselmosaik bedeckt. „Hier muss es sein“, schießt es mir durch den Kopf. „Sein Haus. Sein Versteck. Sein Traum von Griechenland.“

Mani: Apollinisches Land zwischen Bergen und Meer

Einige Tage zuvor hoch oben in der wilden Bergwelt des Taygetos: Verzweiflung packt mich. „Das darf doch nicht wahr sein!“ Mehr als eine Stunde bin ich nun schon schnellen Schrittes dieser breitgeschobenen Fahrstraße gefolgt, habe den ganzen, vom Waldbrand verkohlten Hang abgesucht und den Fußweg in die Tiefen der Schlucht dennoch nicht gefunden. Ich stecke fest. Irgendwo in einem ehemals dichten Zypressenwald der Äußeren Mani. Zwischen den Bergdörfern Pigadia und Altomira. Mir kommen Zweifel: Was mache ich hier eigentlich auf den Spuren eines 94-Jährigen in dieser menschenverlassenen Wildnis? Mir bleibt nichts anderes übrig, als die geschobene Schotterpiste entlang zu trotten. Ein kilometerweiter Umweg. Ärgerlich.Zwei Gehstunden später. Jetzt sieht die Welt schon wieder anders aus. Am Rande des Dorfes Altomira halte ich im Schatten eines blühenden Mandelbaumes Mittagsrast. Inmitten einer weiß-gelben Gänseblümchenwiese mache ich es mir auf meiner eigens für solche Zwecke eingepackten Matte bequem und genieße die idyllische Ruhe. Bienen summen. Die Hunde des nahegelegenen Dorfes bellen. Ob sie mich schon entdeckt haben? Seit sich vor einigen Jahren Städter aus Kalamata hier oben Häuser gekauft haben, erwacht Altomira in den Sommermonaten zu neuem Leben. Dann ist es hier oben in einer Höhe von 800 Metern angenehm kühl. An diesem sonnigen Apriltag allerdings träumt das einstmals verlassene Dorf noch seinen Winterschlaf. Nichts zu sehen von den Bewohnern. Einsam genieße ich die atemberaubende Aussicht. Mein Blick schweift von den schneebedeckten, weit über zweitausend Meter hoch aufragenden Taygetos-Gipfeln über die gigantische Gartenlandschaft der Äußeren Mani bis hinab auf den Messenischen Golf. Dessen dunkle Farbe mischt sich am Horizont mit dem Himmelblau dieses strahlenden Tages. Frühlings-Euphorie. Dann ist die Liegerast zu Ende. Ich beginne den Abstieg nach Sotiriánika. Gleich hinter dem Dorfausgang stoße ich auf einen uralten Kalderimi. Der gepflasterte Fußweg führt mich in unzähligen Kehren die gut fünfhundert Höhenmeter durch die Macchia-Wildnis einen Berghang hinab. An dessen Fuß erreiche ich das Kloster Agios Nikolaos. Längst sind die Wirtschaftsgebäude des Klosters verfallen; einzig das Wasser im Klosterhof sprudelt wie eh und je in das beständig überlaufende Steinbecken. Die Kirche ist ungepflegt, aber geöffnet. Ich läute die Glocken und zünde eine Kerze an. Dann führt mich der Kalderimi durch das Flussbett des Koskáraka. Auf dem Sims der steinernen Brücke lege ich eine Trinkpause ein. Brücke und Landschaft erinnern mich an Südkreta. Dieselbe brachiale Dramatik einer auf engstem Raum zwischen Hochgebirge und Meer oszillierenden Landschaft. Dieselben tollkühn angelegten Fußwege. Auf einmal wird mir klar, dass es genau dieser Weg gewesen sein muss, auf dem auch er vor fast sechzig Jahren in die Mani gelangte. Damals, im Sommer 1952, als Patrick Leigh Fermor gemeinsam mit seiner Frau zu Fuß über den Taygetos kommend zum ersten Mal das bitterschöne Land der Manioten erblickte und einen entlegenen Landstrich entdeckte, dessen wilde Kargheit und raue Schönheit ihn zutiefst faszinierten. Er, der zuvor Jahre lang schon durch alle erdenklichen Gegenden und Inseln Griechenlands gestromert war, witterte hier noch Lebensformen und Bräuche, die anderswo längst der Vergangenheit angehörten und die für ihn direkt aus dem untergegangenen Byzanz oder dem mythischen Altertum zu kommen schienen. Fermor verliebte sich in die seit jeher bettelarme Bergregion im Süden der Peloponnes und blieb. Bis zu seinem Tod im Juni 2011.

171207 Teil 1 Unterwegs auf uralten Pfaden

Unterwegs auf uralten Pfaden

171207 Teil 1 Byzantinische Kirchen

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Weiser Mentor für einen schlendernden Poeten

Hier in der archaischen Bergeinsamkeit der durch den Taygetos vom übrigen Griechenland abgeschnittenen Mani-Halbinsel fand der unruhig umherstreunende Vagabund Leigh Fermor seine Lebenslandschaft. Am Rande des Dorfes Kardamili baute er gemeinsam mit seiner im Jahr 2003 verstorbenen Frau Joan in den 1960er Jahren am Steilufer einer damals noch verwunschenen Bucht ein Haus. Eine Mischung aus orthodoxem Küstenkloster, toskanischer Villa und südenglischem Landsitz. Die dafür eigens aus ganz Griechenland zusammengetragenen Baumaterialien mussten auf Eselrücken oder von Hand in die Bucht getragen werden. Einen befahrbaren Weg gab es damals noch nicht. Hier, in der Weltabgeschiedenheit der Mani, hat er auch die meisten seiner Reisebücher geschrieben. Bücher, die vor sprachlichem Esprit, profunder Fachkenntnis und ausschweifenden Anekdoten nur so strotzen. Herodotische Bücher, die ihn für eine ganze Generation englischer Reiseschriftsteller zum Vorbild machten. Sein Ideal des zu Fuß umherwandernden
Gelehrten, der mit einem Rucksack voller Bücher und mit Fußsohlen aus Wind die unberührten und unverdorbenen Plätze der Welt sucht und findet, war für viele englische Reiseschriftsteller der 1970er Jahre stilbildend. Bruce Chatwin erkor Leigh Fermor gar zu seinem Mentor. Immer wieder zog es den Nomaden Chatwin in den 1980er Jahren in die Nähe seines Lehrmeisters, an dem er neben seinem Lebensmotto „Solvitur ambulando“ vor allem die Mischung aus Schöngeist und Tatmensch bewunderte. Wochenlang lebte Chatwin dann in einem Nachbarhaus der Kalamitsi-Bucht und erkundete nachmittags gemeinsam mit dem vierzig Jahre älteren Leigh Fermor das hügelige Hinterland. In Kalamitsi entstand auch die Endfassung von Chatwins berühmtestem Werk: den „Songlines“, einem Buch über die Mythen der australischen Ureinwohner. Nächtelang debattierten die beiden Reiseliteraten damals zwischen all den Katzen auf dem Anwesen der Leigh Fermors.Immer auf der Suche nach der angemessenen literarischen Form.
In der nächsten Woche lesen Sie davon, wie der Autor dann unschlüssig vor der Pforte des legendären Hauses von Fermor steht.

Text und Fotos von Christian Peters

 

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