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Tegea und der „großartigste Tempel der Peloponnes“

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Blick auf die Tempelanlage Blick auf die Tempelanlage

Im Unterschied zum nördlichen Arkadien mit seinen malerischen Gebirgsstädtchen ist der flachere Süden vielen Peloponnesreisenden unbekannt. Die Meisten durchfahren es ganz am Rand auf der Strecke Tripolis-Kalamata oder unterwegs nach Sparta.

Mit Pausanias unterwegs im südlichen Arkadien (Teil 1)

Wir befinden uns auf der Peloponnes. Das ebene Ackerland längs der Autobahn und der Abgaswolken speiender Kohlenmeiler von Megalopolis lassen die Gegend nicht eben attraktiv erscheinen. Doch am westlichen Horizont erhebt sich eine grüne Hügelkette, wo sich Überraschungen verbergen, die einen Abstecher lohnen. Direkt neben der Autobahn liegt das Dorf Tegea. Mit einem bedeutenden antiken Heiligtum der Athena. Und in den Wiesen des Hügellandes sind die Rudimente des geheimnisvollen Lykosoura, der „ältesten Stadt der Welt“, verstreut. Nur in dieser Landesecke erreicht die heutige Präfektur „Arkadía“ bei dem hübschen Provinzstädtchen Leonidion die Küste, während Arkadien in der Antike als einzige griechische Landschaft überhaupt keine Verbindung zum Meer hatte. Von dichten Wäldern umschlossen hatte das Gebiet immer schon den Ruf der Unzugänglichkeit und Wildheit. Schaurige Geschichten darüber berichtet der antike Reiseschriftsteller des 2. Jahrhunderts n. Chr., Pausanias, dem die Altertumswissenschaften viele Aufschlüsse verdanken. Hier das Sehnsuchtsland klassischer europäischer Dichtung und Malerei des 16. bis 18. Jahrhunderts zu erwarten, bedeutet, sicherlich enttäuscht zu werden. Denn von den verklärten literarischen und künstlerischen Vorstellungen eines paradiesischen Lebens in Hirtenidylle, bewusst anspruchslos, aber gerade deshalb glücklich, ist auf den Weiden um heute halb verlassene Dörfer nur schwer etwas zu finden. Nicht aber bedeutet es, Abstand nehmen zu müssen von der Erwartung eines besonderen mythologischen Reichtums: Wohl aufgrund seiner einstigen Abgeschiedenheit ist gerade das südliche Arkadien eine Heimat ältester Mythen, die von den Anfängen der griechischen Zivilisation und damit einer Frühzeit der Menschengeschichte künden. Das betrifft den mythologischen Hintergrund des versteckten Heiligtums von Lykosoura in den Hügeln ebenso wie die von mindestens klassischer bis frühchristlicher Zeit bedeutende Stadt Tegea.

Auch die Spartaner waren nicht unbesiegbar

Tegea war und ist ein landwirtschaftliches Zentrum, umgeben von einer weiten Ebene mit fruchtbaren Ackerböden. In der Antike wuchs der Ort vermutlich im 8. Jahrhundert v. Chr. aus neun getrennten Gemeinwesen zusammen – etwa zur gleichen Zeit entstand der erste Tempelbau aus Lehm. Die Stadt lag an der Hauptstraße von der Argolis nach Lakonien und weckte damit die Begierde der peloponnesischen Hegemonialmacht Sparta. Die Spartaner bemühten sich ein paar Jahrhunderte lang, Tegea zu erobern. Herodot (484-425 v. Chr.) berichtet von einem Delphischen Orakelspruch, in dem Apollon den Spartanern versprach, ihnen Tegea zu geben, „damit ihr mit euren Füßen auf seiner Erde tanzt und seine schöne Ebene bebauen könnt“. Doch wie so häufig war der Orakelspruch ganz anders zu interpretieren als die  Spartaner glaubten. Siegesgewiss zogen sie gegen Tegea und nahmen für die erwarteten Kriegsgefangenen schon mal gleich die Fesseln mit. Mit diesen jedoch wurden sie selbst gebunden, denn, von Tegea besiegt, mussten sie fortan als Sklaven dessen Felder bearbeiten. Die Fesseln wurden im Tempel der Athena aufbewahrt und  Pausanias will sie selbst noch gesehen haben … Als Sparta 550 v. Chr. nach der Unterwerfung von  Messene und Argos den Peloponnesischen Bund gründete, schloss es mit dem unbesiegbaren Tegea einen Vertrag, der den Zwist wenigstens für fast zwei Jahrhunderte beendete. 

Der zweitgrößte Tempel der Peloponnes

Tegea wirkt heute ziemlich weitläufig: Man durchfährt einen gewerbemäßigen Außengürtel mit einigen landwirtschaftlichen Großbetrieben und ein paar eingemeindete Dörfchen, bevor man den alten Ortskern erreicht. In seiner Mitte liegt, umrahmt von einfachen, teilweise restaurierten Bauernhäusern und einer hübschen Dorfkirche mit Glockenturm, eine grüne Wiese. Darauf breiten sich, völlig überraschend für die um winklige Ecken biegenden Besucher, die mächtigen, von zahlreichen Erdbeben verstreuten Trümmer des spätklassischen Tempels der Schutzgöttin der Stadt, der „Athena Alea“, aus. Erste Ausgrabungen machte Anfang des 20. Jahrhunderts das Deutsche Archäologische Institut, sporadisch gefolgt von der Französischen und in den 1990er Jahren von der Norwegischen Archäologischen Schule, die sich auf die Suche nach der Agora begab. Nach dem Zeustempel von Olympia war der ursprünglich ganz von Marmor umkleidete, reich dekorierte Tempel der zweitgrößte der Peloponnes. Er zog von der spätklassischen Epoche bis in die römische Kaiserzeit weit gereiste Pilgerscharen an, verfügte über das  Asylrecht und war unbestritten das größte Heiligtum Arkadiens. 

Und doch sind es besonders alte und seltener erzählte, örtlich begrenzte mythologische Geschichten, die in der leider nur bruchstückhaft überkommenen figürlichen Plastik des berühmten Bildhauers Skopas aus Paros Ausdruck fanden. Er hatte durch seine Mitarbeit am bildnerischen Schmuck des Mausoleums von Halikarnassos, eines der „Weltwunder“, um die Mitte des 4. Jh. v. Chr. Ruhm erworben. Im letzten Jahrhundertdrittel war er für den Tempel von Tegea auch als Architekt tätig, wo er mit der engen Verbindung von Skulptur und Bau ein meisterliches Gesamtkunstwerk schuf.  Pausanias erklärt den Tempel zum großartigsten der Peloponnes. Der arkadische Beiname der als „Athena Alea“ verehrten Göttin bezieht sich laut Pausanias auf den mythischen König Aleos als Gründer des Heiligtums. Dessen Tochter Auge war Priesterin der Athena und wurde bei einem Brunnen im Tempelbereich – eigentlich ein Sakrileg – von Herakles geschwängert und gebar den lokalen Heros Telephos. Von ihm erzählt der Mythos, er sei im Trojanischen Krieg von Achill verletzt worden und nur Achill habe, freilich mit der Hilfe der Heilgötter Asklepios und seiner Tochter Hygieia, die Wunde auch heilen können. Deshalb standen neben dem Kultbild der Athena, so Pausanias, die Statuen der beiden Arztgottheiten. 

Tempel small

Tegea, Tempel der Athena Alea mit Ausflüglern des Philadelphia-Vereins

 

Bildhauerisches Können des Skopas

Der weltberühmte sensible Kopf der Gesundheitsgöttin, dessen Repliken tausendfach griechische Arztpraxen schmücken, ist als ein sprechendes Beispiel für das bildhauerische Können des Skopas erhalten. Dieses Werk verbindet, ähnlich wie bei wenigen erhaltenen Kriegerköpfen aus Tegea, klare Konturen mit seelisch bewegtem Ausdruck. Der Kopf der Hygieia befindet sich im Athener Nationalmuseum und wurde leider noch nicht in das 2014 nach  pädagogischen Richtlinien mit modernsten Medien neu eingerichtete Museum von Tegea überführt.Im Westgiebel des Tempels war Telephos‘ Kampf mit Achill dargestellt und in den Metopenreliefs verband sich der  Telephos-Mythos mit weiteren einheimischen Heldengeschichten. Wegen der Teilnahme einer Nymphe aus Tegea, Atalante, war im Ostgiebel die „Jagd auf den Kalydonischen Eber“ thematisiert. Wieder wird der örtliche Bezug eines überregionalen Mythos betont. Die Haut des Ebers wurde im Tempelschatz gehütet und Pausanias hat sie in völlig vergammeltem Zustand gesehen …

NAMA Hygie small

Der berühmte Kopf der Hygieia von Skopas

 

Ausflugsausklang im „Oinokafepoleion“

Die große auch kulturelle Bedeutung des antiken Tegea offenbart sich in weiteren Bauten von hellenistischer bis frühchristlicher Zeit im parkartigen Bereich der von Grünflächen und stattlichen Bäumen umgebenen „Episkopi“. Dieser byzantinische Kirchenbau mit schönem Mauerwerk und einer schmucken (neuen) Buntglaskuppel geht auf das 10. bis 12. Jahrhundert zurück und steht auf den Stützmauern eines großen hellenistischen Theaters. Im Umkreis kamen eine hellenistische und eine römische Halle der Agora sowie ein kaiserzeitlich-römischer Brandaltar, der  bis ins 4. Jahrhundert n. Chr. benutzt wurde, zwei frühchristliche Basiliken und eine Stadtgebiet aus byzantinischer Zeit ans Licht.Ein traditionelles „Oinokafepoleion“, ein Gartenlokal, das auch Speisen anbietet, lädt die Besucher zu einer Pause ein. Schön sitzt man aber auch im Ortszentrum vor einer feinen Traditionsbäckerei beim Museum. Im Frühling blüht dort, seltener in Griechenland, ein Magnolienbaum.

Kirche small

Die Episkopo-Kirche, erbaut auf einem hellenistischen Theater

 

Im zweiten Teil des Reiseberichts erfahren Sie etwas über die geheimnisvollen Mythen und Riten von Lykosoura.

Text und Fotos von Ursula Spindler-Niros

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