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Eine dörfliche Gemeinde auf der Halbinsel Methana

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Kounoupitsa von oben Kounoupitsa von oben

Wer heute über die Krise in Griechenland spricht, meint zunächst überwiegend die ökonomischen Konsequenzen, die den einzelnen Bürger dieses Landes hart getroffen haben. Dabei behaupten viele, dass das nur in den großen und mittleren Städten sichtbar werde. Der Tourist, der auf einer Insel lande, würde so gut wie nichts davon mitbekommen. In Wirklichkeit verkennt man, dass der Virus des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Niedergangs schon seit Generationen die kleinen Gemeinden in der Provinz erfasst hat.  Unser Autor versucht anhand einer dörflichen Gemeinde auf der Halbinsel Methana dieses Phänomen zu beschreiben.

Über das Leben auf dem Lande

Als ich mich bei meinem Morgenspaziergang dem Dorf näherte, lag das Meer friedlich unter mir, es gab zwar Wolken, und auf einer der Inseln leuchtete das eine oder andere Dorf von der Sonne getroffen auf. Ich hatte nicht beachtet, dass hinter mir über den Bergen sich eine dunkle Wolkenwand aufgetürmt hatte. Zwei drei fette Tropfen klatschen auf meinen unbedeckten Kopf und schon schüttet die Wolke ihren Inhalt auf die Landschaft und mich. Ich beginne zu rennen, um wenigstens einen Teil meiner Kleidung trocken zu halten, und lande auf dem leeren Dorfplatz. In einem Haus finde ich eine offene Tür. Es ist der Empfangsraum für Kirchenbesucher, wo man nach einem Begräbnis den Branntwein des Trostes verabreicht. Die Mesmerin Chariklia sitzt dort mit dem Bauern Spyros. Nachdem sie das Bedauern über meinen Zustand geäußert haben, beklagen sie den Zustand der Welt. Fast alles sei einmal besser gewesen, vor allem hier im Dorf. 

vulkanische Landschaft hinter Kounoupitsa small

Vulkanische Landschaft hinter Kounoupitsa

Packender Aussichtspunkt

Kounoupitsa heißt das Dorf auf der Nordseite der Halbinsel Methana, wo wir vor 17 Jahren ein altes Bauernhaus gekauft und umgebaut haben. Wir liegen auf 120 Meter Höhe, bis zum Hauptort mit Fährhafen sind es elf Kilometer.  Hinreißend der Blick auf den Saronischen Golf, auf die Inseln Salamis, Angistri, Moni und Ägina. Die Sonne lässt mal das eine Eiland, mal das andere, mal ein Dorf hier, mal eines dort aufleuchten. Viele Male am Tag wechselt die Stimmung, vor allem im Winter, wenn die Wolken auf Sichthöhe an einem vorbeisausen. Einen packenderen Aussichtspunkt kann man sich im sonst an schönen Plätzen reichen Griechenland nicht vorstellen. Auch dann, wenn Mitte Mai der Zauber des Frühlings zu Ende geht und das Grün des Klees dem Gelbbraun des Sommers weicht und dabei den am Straßenrand weggeworfenen Müll freigibt. 
Noch vor 50 Jahren lebten in Kounoupitsa um die 500 Menschen, heute sind es noch sechzig Personen, meist alte Leute, ihr Nachwuchs ist in die Stadt gezogen und kommt höchstens zum Osterfest oder wenn gerade Wahlen stattfinden. Dann zählt der idyllische Ort 120 offizielle Bewohner. Als wir vor 15 Jahren uns hier niederließen, gab es noch zwei Kaffeehäuser und einen Krämerladen. Sie haben alle zugemacht.  Unkosten und Steuern haben den Gewinn geschluckt. Vor fünf Jahren starb Christos, der beste Kunde der Kneipe, ein Alkoholiker. Nun lohnt es sich nicht mehr, nachdem auch von der Kartenrunde einer nach dem anderen die letzte Karte gezogen hatte. Zweimal die Woche kommt nun ein wandernder Händler in einem klapprigen Lieferwagen und bringt Brot, Reis, Zucker, Mehl, Milch und Käse. Dann und wann stellen sich auch Gemüse- oder Fischhändler auf den Platz und rufen ihre Waren aus. 

fahrender Händler small

Fahrender Händler

Wie im Wilden Westen

Der Platz in der Mitte des Dorfes mit der Kirche könnte den Drehort für einen Wildwestfilm abgeben; die Fensterläden und Türen alle geschlossen, ein paar verdurstete Sträucher vor der Kirche. Die Schule stand schon lange leer, dann ist das Dach eingestürzt, die Fenster wurden eingeschlagen. Manchmal  steht noch ein Auto in der Ecke und verschwindet nach einigen Tagen wieder. Wem es gehört, weiß nur Chariklia, die den Kirchplatz überblickt und die  Kolyva bei den Seelenmessen (Mnimosino) für die Verstorbenen verteilt.
Vor sieben Jahren hatte Kounoupitsa noch einen eigenen Popen, dessen ganzer Stolz die feierlich gestalteten Festgottesdienste waren. Nach einem heftigen Streit wurde er von einigen Dörflern hinausgeekelt und durch einen äthiopischen Priester ersetzt, der in einem Nachbardorf wohnt und mehrere Gemeinden betreut. Also finden liturgische Feiern, wie die Auferstehung, nur noch selten zu den gewohnten Zeiten statt. Er könne nicht einmal richtig Griechisch, meinen manche. Dabei gehören sie selber überwiegend der Minderheit der Arvaniten an. Noch vor zehn Jahren sprachen einige Personen deren Sprache, eine auf dem Altalbanischen beruhende Mundart. Aus einem am Rande des Dorfs gelegenen Haus ertönt bisweilen frommer, aber dürftiger Gesang; die Zeugen Jehovas aus den umliegenden Dörfern haben sich dann versammelt.

die Platia small

Die Platia - wie aus einem Westernfilm

Dorfpriester aus Äthiopien small

Der Dorfpriester aus Äthiopien

Schmerzliche Vernachlässigung

Neulich begegnete ich Barbakosta auf der Platia. Er wartete auf jemanden aus Methana, der für ihn eine Stange Blätterteig mitbringen sollte. Die dicke Maria wolle ihm eine Spanakopita machen. Einige Tage später begegne ich ihm wieder. Er zieht seinen zahnlosen Esel hinter sich her, der nur noch Kleie und kein Stroh mehr fressen kann. „Wie war die Spanakopita?“ frage ich ihn. „Ach was, das lohnt sich nicht für mich. Der fertige Blätterteig kostet mich vier Euro, der Spinat drei Euro und der Käse nochmals zwei Euro, neun Euro nur, damit ich zwei Tage satt werde“. Barbakosta ist Junggeselle. Früher hatte er einen Krämerladen in Kounoupitsa. Jetzt lebt er von einer Rente von 420 Euro pro Monat. In Wirklichkeit ist er der reichste Mann im Dorf. Etwa 500 Olivenbäume auf 20 Hektar gehören ihm; sie wildern seit Jahren vor sich hin. Niemand schneidet die Bäume, niemand erntet die Oliven. Sein Neffe, der in Piräus lebt, hat keine Lust, sich um die Bäume zu kümmern. Barbakosta ist zufrieden, solange die Frau Maria ihn von Zeit zu Zeit in ihre Küche bittet.Es sind nicht so sehr die wirtschaftlichen Einschränkungen, die sie bedrücken, sondern die Abwesenheit von Dienstleistungen für die meist alten Leute. Wer Geld benötigt, muss es unter seinem Kopfkissen hervorholen oder sehen, dass ihn jemand mit dem Auto nach Methana hinunter mitnimmt; denn für eine Taxifahrt müsste er 15 Euro bezahlen. Auch Methana, der einst beliebte und blühende Kurort mit den extrem wirksamen Heilquellen unterliegt einer immer schmerzlicheren Vernachlässigung.
Die einzige Bank ist im Winter nur zweimal die Woche geöffnet. Wenn Zahlungen, wie die Wohnungssteuer. fällig sind oder die Renten abgeholt werden können, kann es sein, dass man mehrere Stunden anstehen muss. Als wir nach Ostern beim Automaten Geld abholen wollten, war das Depot leer. Wer da nicht einige Tage warten kann, muss ins 30 Kilometer entfernte Galatas fahren. Noch vor sieben Jahren verkehrten täglich zwei Fähren zwischen Piräus und Methana. Jetzt legt nur noch eine pro Woche an. Um nach Athen zu fahren, muss ich jetzt zuerst die elf Kilometer  nach Methana gebracht werden, von dort fährt ein Regionalbus, den ich zweimal wechsel, bevor ich in Athen an der  Station Eleonas nach drei Stunden die Metro nehmen kann. 

Senioren beim Spaziergang small

Der Spyros tut etwas

Argyris  ist einer der ehemaligen Seeleute, die versäumt haben, sich eine Frau zu suchen. Nun ist er über achtzig, lebt allein in seiner kleinen Hütte ohne Stromanschluss, ohne Telefon, ohne WC. Neulich traf ich ihn nach längerer Zeit wieder. „Ich hab dich lange  nicht gesehen!“ begrüße ich ihn. „Was schadet´s?“ pafft er mich an und setzt seinen täglichen Spaziergang fort. Inzwischen musste er nach Methana ziehen. Seine Beine sind wund, sie müssen zweimal in der Woche verbunden werden. Wer macht das? Für Kounoupitsa gibt es keine Krankenschwester, keinen Pfleger.
Als die Krise begann, war zu hoffen, dass der eine oder andere der jüngeren Generation zurückkommen würde, vielleicht eine Cafeteria eröffnen und die Felder mit den vernachlässigten Mandel- und Olivenbäumen wieder nutzen würde. Nichts geschah, bis vor vier Jahren Spyros kam. Der war Offizier in der Marine, trat früh in den Ruhestand und zog bei Marina, seiner Mutter, ein, die vor kurzem ihren Esel verkauft und allmählich Haus und Garten vernachlässigt hatte. Als erstes richtete er das Haus wieder her. Dann verreiste er und brachte aus Albanien eine junge Frau mit einem zehnjährigen Sohn, die dann bald schwanger wurde und einen Jungen gebar. Nun hatte das Dorf auf einmal wieder einen Schüler und einen Täufling. Nicht genug damit – Spyros gründete einen Verein zur Pflege des Dorfs, sammelte Geld und ließ das Schulhaus als Gemeindezentrum herrichten, wo nach Weihnachten erstmals zum Anschnitt der Vassilopita eingeladen wurde. Die Messnerin Chariklia ist nun auch die Beschließerin der alten Schule und hofft, dass bald jemand sich eine Genehmigung für den Betrieb eines Kafenions in dem renovierten Gebäude holen wird.


Text und Fotos von Hubert Eichheim

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