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Mein Dorf, meine Dörfer, meine Insel

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Foto (©GZhk) Das Dorf Pournari in Thessalien ist umgeben von schützenden Gebirgen. Foto (©GZhk) Das Dorf Pournari in Thessalien ist umgeben von schützenden Gebirgen.

Die Idylle vom Dorf hat auch ihre Schattenseiten. Ein Besuch im thessalischen Pournari zeigt ein ganz anderes Griechenland als jenes, das Touristen zu sehen bekommen. „Kommt ihr wieder?“, fragt Petros, „im September und Oktober brauchen wir Helfer zur Olivenernte“ …

Unsere Freunde Petros und Despina aus Athen leben nicht das ganze Jahr dort. Sie pendeln zwischen drei Orten. „Mein Dorf, meine Insel“. Dieses Motto vieler Griechen setzen sie praktisch um, seit sie beide in Rente gegangen sind. Auf Korfu kümmern sie sich um Petros' Elternhaus, das sie nicht verkommen lassen wollen. Außerdem haben sie viele Freunde und Verwandte dort und genießen die Nähe zum Strand. In Athen sind sie nur, um etwas zu erledigen und ihre Freunde zu treffen. Der arbeitslose Sohn, Lebensmittelchemiker, der sich mit Aushilfsjobs über Wasser hält, wohnt auf diese Weise mietfrei in ihrer Wohnung, kümmert sich um den Garten und die Mieter im Haus. Die meiste Zeit des Jahres verbringen unsere Freunde in Despinas Dorf, Pournari, am Rande der sehr fruchtbaren thessalischen Ebene in der Nähe von Larissa, zwischen Olymp und Kissavos.

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Bei der Suche nach ruhigen Orten ist man immer erfolgreich ...

Familienbande

Der Grund? Despinas Mutter Paraskevi hat die 90 überschritten, ist zwar noch grundgesund, braucht aber Unterstützung bei ihrer kleinen Landwirtschaft, die sie unter keinen Umständen aufgeben will. Das ist ihr Leben, davon kann sie nicht lassen. Der große Garten mit Gemüse und Wein, Blumen und Obst will versorgt sein. Petros kümmert sich um die rund 1.500 Olivenbäume, organisiert Beistand durch albanische Helfer, die im Februar zum Beschneiden der Bäume anreisen und im Herbst noch einmal zur Ernte. Er sorgt für die Instandhaltung des traditionellen zweistöckigen Bruchsteinmauerhauses. Es ist immer was zu tun, immer sehr viel zu tun.
Früher wurde das niedrige Erdgeschoss als Abstell- und Lagerraum genutzt, man wohnte in den vielleicht drei Zimmern oben. Petros hat einen Trakt mit modernen Bädern und weiteren Räumen anbauen lassen. Um Kyria Paraskevi das Treppensteigen zu ersparen, wurde das Erdgeschoss für bequemeres Wohnen umgestaltet. Noch kann sie die verschiedenen Stufen und Schwellen im Haus bewältigen, aber man muss in die Zukunft schauen.

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Mutter Paraskevi kann sich ein Leben in der Stadt nicht vorstellen.

Dorfidylle?

Despina ist das einzige Kind. Sie mag ihre Mutter nicht im Dorf allein lassen. Was ist, wenn sie mal hinfällt? Einen Service mit Rufknopf, wie er in Deutschland üblich ist, gibt es hier nicht. Was ist, wenn ein medizinischer Notfall eintritt? Gäbe es aufmerksame Nachbarn, die helfen könnten? Die meisten Alten in diesem Dorf leben allein hinter ihren Gartenmauern, die Häuser stehen weit auseinander. Wir haben uns ganz falsche, idyllische Vorstellungen gemacht über enge Kontakte zwischen Verwandten und Nachbarn im Dorf. Despina winkt ab. Ihre Mutter wurde nach sieben Jahren Ehe Witwe und lebte mit ihrer Tochter recht zurückgezogen. Es schickte sich für eine Witwe nicht, an den dörflichen Lustbarkeiten teilzunehmen. Sie hatte immer hart arbeiten müssen, um sich und ihre Tochter durchzubringen. Ihr Erfolg zog Neid an, sagt Petros. Eine Frau allein, das war früher ein echtes Schicksal, ergänzt Despina. Heute sind die wenigen Verwandten und Freundinnen selbst alt, die Jungen abgewandert. Wir sehen fast nur sehr, sehr alte Frauen, wenn wir überhaupt mal Menschen draußen treffen. Tagsüber ist das Dorf wie ausgestorben, alle gehen ihrer Arbeit nach.
In allen Fragen der Versorgung der Alten ist die Familie zuständig, eben nur die Familie. Einen Umzug nach Athen lehnt die Mutter kategorisch ab. Despina kann sich nicht durchsetzen. Haus und Grund verkaufen? Das kommt nicht infrage. Ein Haus verkauft man nicht, außer in einer allergrößten Notlage. Die Bindung an die Scholle ist nach wie vor stark. Die Erfahrung, dass Geld seinen Wert verlieren kann, Grund und Boden aber bleiben, prägt das Denken beider Generationen – jene der Mutter und der Tochter.

Goldener Boden

Der Rundgang durch Pournari zeigt uns die Besonderheit der Orte in dieser Gegend: Es wirkt relativ reich und gepflegt. Das Dorf lebt von der Landwirtschaft und der Verarbeitung der Produkte. Lebensmittelindustrie hat sich angesiedelt.
Der Anbau von Oliven und Mandeln scheint sich zu lohnen. Eine Kooperative verarbeitet und vermarktet die sorgsam handgepflückten Oliven, die auf verschiedene Weise für den Verzehr eingelegt werden. Eine Ölpresse verarbeitet die nicht zum Essen geeigneten Früchte, z. B. die zu kleinen oder verformten Oliven, zu gutem Öl. Ihre Mandelernte können die Erzeuger zu einer Firma bringen, die mit einer Maschine die harten Schalen aufbricht, so dass die Kerne herauspurzeln ohne allzu viel Bruch und Schalensplitter. Wein, Weizen, Wassermelonen werden produziert, es gibt hier keine Monokultur. Die Milch- und Fleischwirtschaft floriert. Offenbar hat Landwirtschaft, professionell betrieben, in Griechenland immer noch goldenen Boden.
Die thessalische Ebene in Mittelgriechenland ist günstig für den Ackerbau, weil die Felder großräumig mit modernen landwirtschaftlichen Maschinen zu bearbeiten sind. Kein Vergleich zu den winzigen Äckern am Hang wie in so vielen Bergregionen Griechenlands. Schützende hohe Gebirge umgeben die Hochebene, die von mehreren Flüssen durchzogen wird. Früher gab es genügend Wasser für die Landwirtschaft. Als der Baumwollanbau zunahm, unterstützt durch EU-Subventionen, verursachte der große Wasserbedarf zunehmende Knappheit. Immer tiefere Brunnen wurden gebohrt, der Grundwasserspiegel dadurch stark abgesenkt. Die Baumwolle hat kaum Zukunft in Griechenland. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist eine allmähliche Rückbesinnung auf traditionelle Pflanzen und eine Orientierung auf hochwertige ökologische Produkte zu beobachten.

Dorf im Wandel

Das Leben im Dorf hat sich stark gewandelt in den letzten 50 Jahren. Ein Rest von Dorfleben ist erhalten geblieben. Eine Kirche, ein Kafenion, ein Kinderspielplatz und ein Fußballfeld für die Jugend. Die Dorfschule ist geschlossen, die wenigen Kinder werden mit Bussen ins größere Dorf gefahren. Nun treffen sich die Frauen von Pournari ab dem Frühling einmal wöchentlich zum Tanzen im früheren Unterrichtsraum. Im Sommer fährt ein Bus einmal am Tag die Bewohner an den Strand. Kostenlos! Der Hauptplatz unter den zwei uralten Platanen wird gerade neu gepflastert. Bis zum Fest im Mai muss alles fertig sein.
Die Anbindung an Larissa mit dem öffentlichen Nahverkehr ist zufriedenstellend, so dass die Pendler gut zum Arbeitsplatz in der Stadt kommen. Viele sind es nicht, die meisten möchten lieber in Larissa wohnen. Auch Studenten der Universität zieht es nicht aufs Dorf. Es gibt nur wenige junge Familien im 500-Seelen-Ort.
Der Trend zur Landflucht wurde selbst hier, trotz wirtschaftlichem Erfolg, nicht aufgehalten. Etliche verlassene Häuser machen das nur zu deutlich. Es geht nicht nur um Abwanderung, denn Neubauten stehen durchaus nebenan. Der traditionelle Typ des Bruchsteinmauerhauses mit flach geneigtem Ziegeldach, mit niedrigem Erdgeschoss und der steilen Treppe zum Obergeschoss genügt nicht mehr den Ansprüchen an modernen Wohnkomfort. Neubau statt Modernisierung, dahin geht der Trend. Schließlich bereitet die Abwanderung der Ärzte Sorgen, ein Problem speziell für die immobilen Alten. „Die Krise“ besteht aus vielen Krisen.
Die Zuwanderung von gut integrierten albanischen Landarbeitern, die mit ihren Familien ganzjährig im Dorf bleiben, Häuser mieten oder kaufen und perfekt Griechisch sprechen, belebt das Dorf. Sie bleiben aber immer noch Fremde, egal wie lange sie schon im Dorf wohnen, wenn man Kyria Paraskevi so zuhört. Sie werden als sehr fleißige Arbeiter geachtet, man kann ohne sie nicht auskommen, aber sie sind eben Xeni, Fremde.

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Der uralte Baum neben der Dorfkirche

Uns hat der Besuch im Dorf ein ganz anderes Griechenland als das der Touristen gezeigt, wofür wir sehr dankbar sind. Wir sind auch Xeni, aber willkommene Gäste, und wurden daher sehr gastfreundlich aufgenommen. „Kommt ihr wieder?“, fragt Petros. „Im September und Oktober brauchen wir Helfer zur Olivenernte.“ Hm, vielleicht. Wenn wir wie ein Teil der Familie behandelt werden, sollten wir auch die Konsequenz akzeptieren: mit der Familie arbeiten. Hm, vielleicht doch?

Text und Fotos von Hiltrud Koch

Diese Reportage erschien in der Griechenland Zeitung Nr. 667 am 6. März 2019.

 

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