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Die Sonne steigt hoch, das Meer glitzert und glänzt

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Foto (© GZhk): Diese unbeschreiblichen Sonnenuntergänge in der Ägäis ... Foto (© GZhk): Diese unbeschreiblichen Sonnenuntergänge in der Ägäis ...

Viele Menschen denken, dass man immer ein Kreuzfahrtschiff besteigen müsse, um den Genuss einer Inselrundfahrt in der Ägäis zu erleben. Das ist ein großer Irrtum. Die existierenden Verbindungen bieten – wenn man die nötige Zeit hat – ein wahres Fähr-Vergnügen.

Am Hafen von Iraklion auf Kreta kaufen wir die Tickets für die „Prevelis“, eine große Fähre. Sie wird heute erst spät erwartet, irgendwann zwischen sechs und sieben am Abend. Als jedoch die Abfahrtszeit näherrückt, reihen wir uns unter die aufgeregt-kribblig Wartenden. Sie stürzen wie auf Kommando gleichzeitig nach vorn, behindern sich gegenseitig mit ihrem Gepäck, bloß weil sie die Fähre erblicken, die um die Ecke biegt. Halt, nicht so eilig! Erst einmal muss das Schiff sich drehen, dann anlegen und vertäut werden. Die Klappe senkt sich langsam herab, die Passagiere steigen aus, die Lastwagen und Autos verlassen die Fähre. Erst jetzt könnt ihr Passagiere die Fähre stürmen – aber erst, wenn die Hafenpolizisten und die Besatzung das Zeichen geben: Ella, ella, los, los!

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Abfahrt zur „Kreuzfahrttour“ im Hafen von Irakli
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Von Kreta nach Anafi

Die Reihenfolge beim „Entern“ des Schiffes wird natürlich nie ganz korrekt eingehalten. Den Ordnungskräften gelingt es nicht wirklich, die Schlange der neuen Fahrgäste von den herausfahrenden Autos zu trennen. Überhaupt verhält sich die Crew so, als ob sie den Job des Anlegens, Beladens, Rangierens nicht täglich mehrmals mit Routine erledigen würden, sondern als ob alles ein einmaliges Vorkommnis darstellte. So viel Gewühl, Aufregung, Schubsen, Schieben! Bei der Kofferabgabe hält die junge Frau vor uns mit ihrem Kind den Laden auf, weil sie lange den Weg versperrt: Sie muss sich mit einer Bekannten unterhalten, sie herzen und küssen. Die Geduld der Griechinnen und Griechen scheint schier grenzenlos und auch die Forderung, anderen Geduld abzuverlangen.

Solides, leckeres Essen

Die Sonne ist schon untergegangen, als wir uns von der Mole lösen. Die Hafenfestung und die Segelboote von Iraklion liegen im Dämmerlicht. Blaugraue Wolken flattern am rosa Himmel. Letzte Strahlen beleuchten grellweiß den Rand einer grauen Wolke.
Die Fähre ist trotz des Gedränges zuvor nicht voll. Es gibt viel Platz. Nach dem Ablegen suchen wir uns einen ruhigen Fleck, lesen und dösen, bis wir in der Caféteria unser Abendessen einnehmen. Solides, leckeres Essen. Ich freue mich über „Imam“, die griechische Version des türkischen „Imam bayildi“, aber sicher ist es was ganz, ganz anderes. Vier Stunden Fahrt bis nach Anafi, eine geruhsame Sache, abgesehen davon, dass man von unserer Position aus gleich drei verschiedene Fernsehprogramme verfolgen darf. Kaum kann man die wenigen Lichter unserer Insel sehen, dröhnt die Ansage laut los: Aussteigen. Mit uns warten etwa 20 Personen auf das Öffnen der Klappe. Spannung. Die Fähre dreht zum Anlegen. Die Ketten rasseln und röhren. Ein Spalt ist schon offen. Draußen warten mindestens 100 Personen auf ihre Abreise von Anfi. Ein kleiner Ruck, die Klappe schlägt auf dem Beton des Kais auf. Matten, die aus dicken Seilen geflochten wurden, werden herbeigezerrt, sodass die Autos keinen Hupfer machen, wenn sie von der Fähre rollen und dass die Karosserie nicht aufschlägt. Gedränge. Wieder vermischen sich die Pulks der Ankommenden mit denen der Wartenden. Ein Polizist bemüht sich erfolglos, die „Kinder“, wie er wieder und wieder ruft, zur Vorsicht zu mahnen. Hotel Apollon? Wo ist unser Abholdienst? Alle Befragten weisen in die gleiche Richtung. Da hinten! Maria, unsere Wirtin, lässt uns das Gepäck in ihr Auto einladen.

Von Anafi nach Sikinos

Anafi ist der Start der „Aqua Spirit“-Tour, die über viele kleine Inseln bis nach Lavrio führt. Maria busselt uns zum Abschied wie alte Freunde. Das Gepäck kommt gleich hinter der Fährklappe in einen Gepäckraum. Keiner muss es die Treppen hinauf schleppen. Die kleine Fähre ist anfangs fast leer. Höchstens zwölf Passagiere sind an Bord. Frühstück mit Kaffee und Schokohörnchen. Dann schauen wir draußen der Sonne beim Aufgehen zu. Ein roter Ball mit gelber Kappe steigt aus dem Meer auf und bringt graue Nachtwolkenhügel zum Schimmern. Schwarze und graue Silhouetten der Gebirge und der Kaps gewinnen an Konturen. Der umgekehrte Vorgang wie bei Sonnenuntergang, spiegelbildlich sozusagen. Fotos mit dem roten Ball, dem rot-goldenen Meer, könnte man zeitlich kaum zuordnen. Abends ist der Himmel nur länger rot als morgens. Zuerst zieht die Fähre eine goldene, bei aufsteigender Sonne eine silberne und dann eine weiß-blaue Straße hinter sich her, deren Ränder weiße Gischt säumt. Die weiß-blau gestreifte griechische Fahne mit dem Georgskreuz flattert am Heck. Die Sonne steigt hoch, das Meer glitzert und glänzt. Auf Deck weht einem der Wind die Haare ums Gesicht. Lieber suchen wir eine geschützte Ecke mit grandioser Aussicht.

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Der Hafen von Anafi und die Chora

„Delfine!“, ruft einer laut

Die Fahrt entlang der Ostküste von Santorin bietet ein Bild wie viele andere Inseln hier auch: kahl, einige Strände, weiße Würfelhäuser, Zeichen von zunehmendem Tourismus. An dem sehr steilen zentralen Felsmassiv sind Terrassen für den Anbau von landwirtschaftlichen Produkten angelegt. Das war uns früher nicht aufgefallen. Der berühmte Anblick der Steilküste, der Caldera mit dem schmalen Rand oben aus weißen Häusern und Kirchen mit blauer Kuppel, dominiert unsere Erinnerung. Bilder aus der Tourismuswerbung. Zwei riesige Kreuzfahrtschiffe liegen vor Thira auf Reede. Die Gäste müssen getendert werden. Wir stellen uns mit Grausen vor, was nun für ein Rummel oben in den engen Gassen herrscht, wenn mehrere tausend Besucher gleichzeitig hier abgeladen werden. Wir genießen unsere Kreuzfahrt mit der Fähre! Der zweite Stop ist Thirassia, wo das Ein- und Aussteigen der wenigen Passagiere rasend schnell vonstatten geht. Ios ist die nächste Station. Unverkennbar weist die Kirche mit dem durchbrochenen Turm den Weg zum Eingang der Bucht. Auf dieser Fähre läuft das An- und Ablegemanöver überall gleich fix und routiniert ab. Jeder auf seinem Platz, jeder Handgriff geübt und sicher. Kein Gedränge, alles geht in Ruhe vor sich. Das Schiff fährt an der Küste entlang, vorne schimmert die Reihe steiler blauer Küstenberge wie im Scherenschnitt, hinter uns ziehen wir eine glitzernde silberne Straße her. Vier kichernde junge Griechinnen amüsieren sich über flirtende Ausländer und äffen deren Englisch nach. Bald taucht die Silhouette von Sikinos auf, bald erkennt man die baumlose, kahle Felsküste. „Delfine!“, ruft einer laut. Ich suche und suche, sehe aber nichts. „Na ja. Sonst sind hier immer welche. Gucken Sie mal auf der Rückfahrt, da sehen Sie bestimmt welche!“ Lustiger Bursche, was? Einmal um die Ecke, und wir fahren in den Hafen von Sikinos ein. Wir werden erwartet.

Text und Fotos: Hiltrud Koch

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