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Starke Frauen, viele Krimis

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Foto (© Griechenland Zeitung / Klaus Bötig): Naoussa ist einer der Hauptschauplätze in den Paros Krimis von Peter Pachel. Foto (© Griechenland Zeitung / Klaus Bötig): Naoussa ist einer der Hauptschauplätze in den Paros Krimis von Peter Pachel.

Starke Frauen stehen im Mittelpunkt der meisten Romane, die auf Mykonos und Andros spielen. Eine von ihnen ist eine Freiheitskämpferin aus dem frühen 19. Jahrhundert, andere sind Seemannsfrauen und -witwen oder eine antike Hetäre. Mykonos ist auch für einen Thriller gut, auf Paros spielen gleich mehrere Krimis.

Auf Andros haben die meisten Ehebetten nur eine Kuhle, lehrt uns Ioanna Karystiani in ihrem Roman Die Frauen von Andros ganz nebenbei. Die meisten Männer sind nämlich mit Schiffen andriotischer Reeder auf allen Weltmeeren unterwegs und kehren nur alle zwei bis drei Jahre für drei Monate auf ihre Insel zurück. Viele ihrer Kinder kommen da schon mit Syphilis zur Welt. Sind sie wieder unterwegs, schlagen sie ein Kreuz, bevor sie Briefe von Daheim öffnen. Witwen, deren Männer in der Ägäis ertrunken sind, essen meist nie wieder Fisch, denn der könnte ja vom Fleisch des abgesoffenen Mannes gefressen haben – und der Pope träumt davon, Jesus im Tavli geschlagen zu haben.
Überraschende Details dieser Art sind in die ganze Geschichte eingestreut, die aber vor allem vom Schicksal zweier Schwestern zwischen 1927 und 1948 erzählt. Sie heißen Orsa und Moska Saltaferos. Orsa verliebt sich in Spiros Maltabes, Moska in den Engländer David. Ihre geschäftstüchtige Mutter Mina weiß aber beide Beziehungen zu unterbinden. Sie sorgt dafür, dass Orsa Nikos Vatokoussis heiratet – und Moska jenen Spiros, den Orsa so sehr liebt. Vater Savvas Saltaferos verbringt unterdessen die Zeit bei seiner Zweitfamilie in Argentinien. Konflikte sind da vorprogrammiert und das Unvermeidbare geschieht.

Sittenbild einer Seefahrerinsel

Der Roman der kretischen Autorin ist ein Meisterwerk, der denn auch 1998 mit dem griechischen Staatspreis für Literatur ausgezeichnet wurde. Er zeichnet ein einzigartiges Sittenbild von einer Seefahrerinsel und vom Leben in Griechenland in jener Zeit überhaupt. Er vereint poetische Züge mit knallharten Psychogrammen, bindet auch das weltweite Zeitgeschehen, an dem die andriotischen Seemannsfrauen viel Interesse zeigen, kurz und bündig mit ein. Die Übersetzung scheint erstklassig gelungen – und griechische Eigennamen tragen in diesem Buch sogar die ihnen zustehenden Akzente. Was fehlt, ist nur eine Liste der wichtigsten Figuren. Die sollte man sich unbedingt selbst beim Lesen anlegen. Und nach der Lektüre wartet dann noch die Romanverfilmung auf den Leser: Pantelis Voulgaris, der Ehemann der Autorin, hat ihn 2013 unter dem Originaltitel auch des Buches, Little England, in Szene gesetzt. Auf YouTube kann man ihn sich kostenlos anschauen (Griechisch mit englischen Untertiteln).

Spannung in Hellas: zwei US-Autoren

Nur der Titel des Romans von Thornton Wilder ähnelt dem des Meisterwerks von Ioanna Karystiani: Die Frau aus Andros. Inhaltlich geht es in Wilders erst drittem Roman, der 1939 in den USA zum drittmeist verkauften Buch überhaupt wurde, um etwas völlig anderes. Sein Schauplatz ist eine namentlich nicht genannte Insel in Sichtweite von Andros, bei der es sich wohl um Mykonos handelt. Dort lebt eine ungewöhnliche, aus Andros stammende Frau. Sie „pflegt die Tradition des Hetärengastmahls“ und „die gewohnheitsmäßige Ausübung der Liebe“, hat sozial Schwachen Unterschlupf gewährt und auch ihrer eigenen jüngeren Schwester. Sie ist dem Insel-Establishment ein Dorn im Auge, obwohl die Männer sie umschwärmen. Ausgerechnet in diese Hetäre verliebt sich nun der feinfühlige Sohn eines vornehmen Insulaners, der eigentlich schon einer standesgemäßen Inseltochter versprochen war. Das Buch liest sich leicht, ist auch recht dünn, eignet sich durchaus als Urlaubslektüre – wenn auch nicht klar wird, warum es zu seiner Zeit in Amerika so erfolgreich war.
Einen der spannendsten Griechenland-Krimis überhaupt hat 2009 der US-amerikanische Anwalt Jeffrey Siger veröffentlicht. Er lebte zuvor längere Zeit auf Mykonos und bringt hervorragende Ortskenntnisse ein. Ihm gelingt es, in seinem Roman Opfergaben von der ersten bis zur letzten Seite (S. 410) Hochspannung zu erzeugen, leistet sich keinen einzigen Durchhänger. Wer der Täter war, erfährt man erst im vorletzten Satz. Inhaltlich geht es um einen Ritualmörder, der schon 16 blonde, ausländische junge Frauen auf Mykonos ermordet hat. Ein Inspektor aus Syros und einer aus Mykonos sind ihm auf der Spur. Geschossen wird erst ganz zum Schluss, aber das ganze Buch über schießt der Autor mit scharfer Munition auf griechische Politiker, die griechische Polizei und Justiz, Vetternwirtschaft und Korruption. Das ist vergnüglich, aber Sympathien für Mykonos schafft diese Story bestimmt nicht.

Zwei Autoren aus NRW

Gleich drei Kykladen-Inseln sind Schauplätze des historischen Romans Die Rebellin von Mykonos, den die im Bergischen Land lebende Schriftstellerin Martina Kempff 2007 verfasste. Sie bringt dem Leser die neben Bouboulina zweite griechische Freiheitsheldin Mando Mavrojennous in ihrem Roman Die Rebellin von Mykonos näher. Sehr nahe in der Tat: Der Leser darf sie sogar ausführlich ins Bett begleiten. Martina Kempff erweist sich dabei als Meisterin der prickelnden Schilderung erotischer Szenen, ohne jemals ins Pornographische abzugleiten. Selbst Masturbation, Fellatio und Analsex sind dabei keine Tabus. Mandos Liebe zu ihrem Cousin ist zwar ein wesentliches Thema des Buches, aber zugleich lernt man auch viel über den griechischen Freiheitskampf von 1821 bis hin zu den ersten Regierungsjahren König Ottos. Viele Namen von Freiheitskämpfern, nach denen in fast jeder griechischen Stadt Straßen und Plätze benannt sind, tauchen auf; die Gestalten werden facettenreich charakterisiert. Die historischen Fakten stimmen, wenn auch viele Details der blühenden Fantasie der Autorin entspringen. Die gipfelt in einer Szene gegen Ende des Buches, in der sich Mando vor dem alten General Kolokotronis in dessen Gefängniszelle in Nauplia völlig entblößt, um ihm damit für seine Taten zu danken. Das mag mancher denn doch als zu viel des Guten empfinden – trotzdem bleibt der Roman eine empfehlenswerte Reiselektüre.

Spezielle Inselthemen

Auf Paros wird viel gemordet. Der Kölner Krimi-Autor Peter Pachel hat die Delikte freilich alle nur frei erfunden. 2014 erschien sein erstes Buch, Maroulas Geheimnis. In seinem gerade erschienenen sechsten Paros-Krimi Brennender Sommer ermitteln Kommissarin Katharina Waldmann und ihr in diesem Band zu ihrem Chef avancierter ehemaliger Kollege Filippos Panos wieder erfolgreich den Täter (oder war es eine Täterin?). Einige Szenen des Buches spielen auch auf Naxos und Mykonos. Alle drei Inseln sind für den inselkundigen Leser gut wiederzuerkennen, die Dialoge und die gesamte Handlung sind spannungsreich und dicht. Erfreulicherweise ist dem Band auch ein Verzeichnis der handelnden Personen beigegeben – nur ein Name fehlt. Raten Sie mal, welcher …
Lobenswert ist, dass Pachel in jedem Band auch ein spezielles Inselthema anreißt. In Blutiger Marmor ist das der edle parische Marmor, aus dem viele der berühmtesten antiken Statuen gearbeitet sind. In Bittere Kapern geht es um den Anbau dieser Pflanzen, im Anhang stehen parische Rezepte zum Nachkochen. Und in Brennender Sommer ist ein Nebenthema der naxische Kitro und Tsipouro.

Ein Antiheld der Antike

Der einzige parische Autor, dessen Texte auch auf Deutsch erschienen sind, lebte schon vor über 2.600 Jahren. Die erhaltenen Textfragmente sind als Insel-Taschenbuch unter dem Titel Gedichte in einer deutsch-griechischen Ausgabe zugänglich. Ihr Verfasser, der archaische Krieger Archilochos, war einer der ersten Lyriker der Weltliteratur. Anders als beim Epiker Homer sind nicht Geschichte und Mythos die Themen seiner Verse, sondern Liebe und Hass, der Moment und das Ich. Gerade revolutionär ist seine Einstellung zum kriegerischen Kampf: Um sein Leben zu retten, flüchtet er und lässt sein Schild zurück – er kann sich ja ein neues Schild kaufen. In der Antike wurde er dennoch nicht als Deserteur betrachtet, sondern als Held, dem man am Rande der Inselhauptstadt Parikia schon im 6. Jahrhundert v. Chr. ein eigenes kleines Heiligtum, das Archilochoeion, errichtete.

Text und Fotos: Klaus Bötig

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