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Ikaria: Die vielschichtige Insel

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Ikaria: Die vielschichtige Insel
Von Hubert Eichheim Jemand hatte kräftig an die Kabinentür geklopft und gerufen „nach Ajos Kyrikos!" Der über mir knipst das Licht an.
ial, Helvetica, sans-serif" size="1">Jemand hatte kräftig an die Kabinentür geklopft und gerufen „nach Ajos Kyrikos!" Der über mir knipst das Licht an. Es entsteht Bewegung im Raum. Ein paar Worte werden gewechselt. Ich richte mich auf, gehe ins Bad, schütte ein paar Tropfen Wasser in das verquollene Gesicht, schlüpfe in meine Schuhe, nehme den Rucksack und arbeite mich durch die Korridore, die teils in Schlafsäcke eingemummte Deckpassagiere bevölkern. Noch herrscht wenig Leben, auch oben an der Bar stehen nur ein paar junge Leute, die sich ihren Frappee rühren lassen.Ich bestelle einen Metrio Elliniko und gehe dann hinauf aufs Deck. Dort weht mir ein scharfer Wind entgegen. Die Sonne geht gerade am Horizont hinter den Fourni-Inseln auf. Die altersschwache Fähre kämpft sich tapfer durch das aufgewühlte Meer an den gewaltigen Felsmassen entlang, die sich gute 1000 Meter auftürmen, von der Sonne in einen rosaroten Schimmer getaucht. Ein unwirtliches Land. Nichts als Fels, kaum ein grüner Fleck. Ikaria, die rote Insel, wie man sie nennt – nicht nur wegen der roten Felsen. Neben mir steht plötzlich der junge Mann, der über mir geschlafen hat. Er zieht einen Spiegel aus der Tasche und beginnt das Sonnenlicht damit einzufangen und auf das Land zu werfen. Es dauert nicht lang, da kommt ein Blinken zurück. Jetzt erkenne ich, dass dort auch ein paar Häuser stehen. „Kennst du da jemand?" frage ich ihn. „Das ist meine Schwester, die lebt da bei den Eltern mit ihrer Familie." Der junge Mann, nennen wir ihn Stelios, studiert Agrarwissenschaft in Ioannina, jetzt will er für 10 Tage zu seinen Leuten in Karkinagri, so heißt das Dorf. Er wird da erst am Nachmittag ankommen nach einer etwa 50 km langen Fahrt mit dem Bus nach Armenistis und von dort weitere 35 km mit dem Wagen des Schwagers, der ihn von dort abholen wird. Bevor wir in Agios Kyrikos anlegen, fahren wir noch an zwei drei solcher kargen Dörfer vorbei. Von überall kommt der Spiegelgruß, ein alter Brauch aus Zeiten, wo Abfahrt und Ankunft seltener und zeitraubender waren.

Schwindel erregenden Abgründe

Agios Kyrikos ist die Hauptstadt der Insel Ikaria, die zum Bezirk Samos gehört. Es gibt dort einige Verwaltungsstellen, Banken, Schulen, ein Krankenhaus, die Büros des nahe gelegenen Flughafens und neben der Hauptlinie von Piräus nach Samos auch Schiffsverbindungen nach Fourni und Patmos. Für viele alte Leute mit Gelenk- oder Herzbeschwerden sind es die heißen Heilbäder von Therma nur 3 km hinter dem Ort, die sie hierher gebracht haben. Der Zulauf sei wieder stärker geworden, nachdem die Gemeinde die altersschwachen Badeeinrichtungen erneuert habe, erzählt mir Stelios, mit dem ich einen Kaffee trinke. Kurz nach 11 Uhr gehen wir zum Linienbus nach Armenistis. Da steht schon eine Gruppe von jungen Leuten mit Rastalocken, barfüßig und eine Gitarre im Gepäck. „Gruvali", sagt leicht verächtlich Stelios. Diese Typen findet man auf allen Festen. „Schmarotzer!" Wir steigen ein und es beginnt die schönste Inselüberquerung, die ich kenne. Bis auf 800 Meter schlängelt sich die Straße die steile Südseite hinauf mit einem hinreißenden Blick auf Samos, die Fourni-Inseln, Patmos und die in der Ferne liegende türkische Küste. Oben am Kamm erreicht der Bus die Nordseite der Insel, ändert nun die Richtung bei fünf Windgeneratoren und bewegt sich an Schwindel erregenden Abgründen entlang in Richtung Westen. Langsam geht es bergabwärts, die Kluften und talartigen Einschnitte werden breiter und flacher. Auch die Vegetation wird immer üppiger. Unten am Meer angelangt hält der Bus in der Ortschaft Karavostamon, einem seltsamen Gebilde von einzeln stehenden Häusern, die über 300 Höhenmeter verteilt sind, eingesäumt von Platanen, riesigen Eichen, Pinien und Ölbäumen.

Kompaktes Städtchen Evdilos

Ganz anders ist dann 8 km weiter das kompakte Städtchen Evdilos mit dem zweiten gut ausgebauten Hafen der Insel und den entsprechenden Einrichtungen. Rund um den Hafen reihen sich Cafés, Tavernen, Souvlakibuden. Ich hätte von Piräus auch ein Schiff nach Evdilos nehmen können, das zumindest im Sommer täglich fährt. Evdilos trägt nämlich die Hauptlast des Tourismus, aber auch des Warenhandels; die landwirtschaftliche Produktion konzentriert sich auf die auf den Höhen liegenden zahlreichen Dörfer. Gleich hinter Evdilos beginnen auch die Strände, die seit den 70er Jahren zunächst Fremde, dann aber auch Griechen angezogen haben. Die berühmtesten und sandigsten liegen zwischen Jaliskari und Armenistis, dem neu entstandenen Agglomerat von Hotels und Pensionen, und weiter im Westen der wohl exklusivste von Nas, gleich hinter den Ruinen eines hellenistischen Artemistempels.

Ökotouristische Wanderpfade

Die Strände allein sind es nicht, die die Insel so attraktiv machen. Häßliche Hotelbauten und die kahlen Anhöhen, von Waldbränden leer gefressen, haben in den letzten 20 Jahren viel Ursprüngliches dort vernichtet. Es ist vor allem das Hinterland mit seinen idyllischen Dörfern, mit deren originellen Bewohnern sowie seiner hinreißenden Natur. Von den Bergkämmen des Pramnosgebirges und des Atheras haben sich Rinnsale und kleine Flüsse in Richtung Norden ihr Bett gebahnt, von denen die meisten ganzjährig Wasser führen. Da die Neigung relativ steil ist und nicht viel Strecke bleibt, bis sie ins Meer münden, sind bizarre Felsabbrüche und Schluchten entstanden. Die Bewohner haben schon seit dem Altertum die Quellen und Flussläufe für die Landwirtschaft und den Anbau von Wäldern benutzt. In den letzten zwanzig Jahren sind sogar zwei Stauseen entstanden, die eine weitere Attraktion in Ikaria bilden. Neben den Ortschaften Arethoussa und Akamatra in Messaria ist es vor allem die Umgebung von Raches mit den Dörfern Christos und Ag. Polykarpos, die als Ausgangspunkt von Wanderungen in der überwältigenden Landschaft sich anbieten. Ein Bürgerverein in Raches hat viele der verkommenen Fuß- und Eselspfade wieder hergestellt und eine ökotouristische Wanderkarte herausgegeben. Für die Wanderwege in Messaria mit den sagenhaften Wäldern gibt es leider etwas Vergleichbares noch nicht, auch nicht für den kargen Westteil mit der Hochebene von Pesi, die mich an die Wicklow Mountains in Irland erinnert. Von dort bin ich eine Woche später hinabgewandert in das Dorf Karkinagri auf der Südseite. Stelios und seine Familie hatten mich schon erwartet; ein fürstlicher Empfang. Dann abends zum Panejiri an der Kirche des Heiligen Isidor mit Ziegenfleisch und dem starken pramnischen Rotwein. Bis zum Morgengrauen tanzte man Ikariotiko. Wir kommen gerade rechtzeitig hinunter, um das Boot zu erreichen, das mich nach Ag. Kyrikos bringt.

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