Thassos in der Nordägäis gilt immer noch als fast unberührtes Territorium auf der griechischen Insellandkarte. GZ-Autor Jürgen Weidner besuchte das grüne Eiland. Versorgt mit Spezialtipps seines Apartment-Vermieters Dimitris konnte er versteckte Seiten dieses kleinen Paradieses entdecken – prähistorische Funde gehören ebenso dazu wie eine Felsenpool direkt am Meer und ein Honigmuseum.
Nach einem Besuch des Aliki-Strandes im Süden der Insel wartet einige Kilometer weiter westlich das Kloster des Erzengels Michael (Iera Moni Archangelou Michail) auf mich. Hier soll einer der drei Nägel aufbewahrt werden, mit denen Jesus ans Kreuz geschlagen wurde. Ich betrete das schmucke Kloster und sehe Nonnen, die Unkraut zupfen, irgendetwas streichen oder anderen Arbeiten nachgehen. Mein Apartment-Vermieter und Informant Dimitris hatte bei einem unserer Gespräche eine Ikone erwähnt, in die ein Teil des Kreuznagels eingearbeitet sein soll und die in der alten Kirche aufbewahrt würde. Also mache ich mich auf die Suche. Eine alte Nonne zeigt mir den Weg und die Ikone. Sie besteht aus Silber. Und tatsächlich kann man den großen Kopf eines Nagels erkennen.
Pool direkt am Meer
Wer sich im südlichen Teil der Insel noch etwas weiter vorwagt, kommt an dem natürlichen Pool Giola vorbei – eine der bedeutendsten Sehenswürdigkeiten von Thassos. Es handelt sich dabei um eine kleine Lagune, von Felsen umrahmt, direkt am Meer. Der Weg vom Parkplatz bergab führt über unwirtliches Terrain; zumindest Turnschuhe sollte man hier tragen. In der Lagune selbst schimmert klares, grünliches Wasser, dahinter das unendliche Blau des Meeres. Der „Pool“ ist fast kreisrund, und der Durchmesser beträgt etwa 15 Meter. Als Arzt hat mich Dimitris schon gewarnt, dass man sich dort vor allem im Hochsommer nicht allzu lange aufhalten sollte – „Die Felsen reflektieren die Hitze sehr stark, und es gibt keinen natürlichen Schutz vor der Sonne“, äußerte er mir gegenüber seine Bedenken. Aber wer vernünftig ist, setzt sich eventueller Hitze oder Sonneneinstrahlung ohnehin nicht lange aus. Nach dem kurzen Aufstieg vom Pool zurück bis zum Parkplatz führt die Straße an weiteren Stränden vorbei durch Potos, das „Partydorf“ der Insel, nach Limenaria, dem zweitgrößten Ort des Eilands an der Südostküste. Hier esse ich etwas, trinke einen Frappé und beende meine Erkundungen für heute. Zügig geht es anschließend über die kurvige Straße zurück nach Limenas.
Das Leben der Bienen
Um mir den Norden und den westlichen Teil von Thassos anzuschauen, starte ich meine Tour am nächsten Tag gleich nach dem Frühstück. Von Limenas aus fahre ich langsam an schönen Badestränden vorbei, bis mich kurz vor dem Dorf Prinos ein Schild auf ein Museum aufmerksam macht. Neugierig wie ich bin, wende ich die Maschine und lande im Hof einer Genossenschaft. Ein Gebäude mit geschlossenen Holzläden und verschlossener Tür stellt sich als ein Honigmuseum heraus. In einem Büro treffe ich auf zwei junge Frauen, die mir erklären, dass das Museum regulär erst im Mai öffnet. „Aber wenn sich jemand dafür interessiert, zeigen wir es auch außerhalb der Öffnungszeiten“, ergänzt eine der hilfsbereiten Damen, schließt auf und beginnt mit der Führung. Über das Leben der Bienen, die Pflanzen, die sie zum Sammeln der Pollen nutzen, über die Bienenstöcke und die für den Imker notwendigen Gerätschaften bis zu den verschiedenen Honigsorten – über all das wird auf Schautafeln und mithilfe von Exponaten umfassend informiert. Nur einige Meter weiter befindet sich auch ein Oliven- und Ölmuseum, aber heute ist es leider geschlossen.
I
m Honigmuseum erfährt man viel über die fleißigen Bienen.
Kirchen auf alten Tempeln
Ein weiterer Geheimtipp von Dimitris steht in der Ortschaft Skala Sotiros auf meinem Programm. An einer Tankstelle frage ich nach der Kirche des Profitis Ilias. „Nur 30 Meter von hier steht, was du suchst“, klärt mich eine freundliche Dame auf. Und tatsächlich steht dort, etwas erhöht, eine kleine Kirche. Links und rechts davon führen asphaltierte Wege steil hinab, und hier unten offenbart sich auch ihr Geheimnis. Es ist bekannt, dass Christen, um konkurrierende Religionen zu eliminieren, nicht gerade zimperlich vorgingen. Häufig wurden Kirchen über Heiligtümern oder Tempeln errichtet, die zu diesem Zweck natürlich zerstört wurden. Oft hat man dann deren Steine als Baumaterial für die neuen Gotteshäuser verwendet. Unter dieser Kirche des Propheten Elias ist noch ein Teil des überbauten Heiligtums zu sehen. Den ausgestellten steinernen Idolen nach zu urteilen, stammt es aus prähistorischer Zeit. An der Küste entlang führt die Straße dann wieder Richtung Limenaria zum Strand von Tripiti. Direkt neben dem „Blue Dream“ Hotel, das an einen bewaldeten Felsen grenzt, liegt eine kleine Bucht, die eben durch diesen Felsen vom Meer getrennt wird. Die Natur hat aber im Gestein eine Öffnung geschaffen, und so man kann durch diesen Minitunnel hindurchschwimmen und dort an besonders heißen Tagen auch im Schatten baden.
Der kleine Palast
Der Stadt Limenaria nähere ich mich heute vom Westen her und biege ab Richtung Strand und Hafen. Von der Promenade aus sieht man ein gelbes Gebäude über der Stadt thronen, das Palataki, der kleine Palast. Er wurde 1903 erbaut und diente Anfang des 20. Jahrhunderts und bis zum Ersten Weltkrieg als Firmensitz des Bergbauunternehmens Speidel aus Pforzheim. Ab 1963 war das schmucke Schlösschen nicht mehr bewohnt und verfällt. Leider ist es inzwischen eingezäunt und kann nicht mehr betreten werden. „Achte auf die Fensterrahmen“, gab mir Dimitris mit auf den Weg, „wenn du genau hinsiehst, kannst du einen Farbverlauf von Blau nach Grün erkennen. Wenn du dann nur 50 Meter weiter bergauf gehst, kommst du in einen kleinen Park mit modernen Marmorkunstwerken“. So schlendere ich durch den Park und fotografiere fast unentwegt. Die Künstler haben hier ein modernes Kontrastprogramm zu den marmornen Skulpturen in den Museen geschaffen.
Der heute leer stehende kleine Palast wurde 1903 erbaut.
Häuser in Naturstein
Über Potos aus führt eine Asphaltstraße bergauf nach Theologos, das auf 240 Höhenmetern liegt. Während die Wälder am Meer oft aus Nadelbäumen bestehen, wachsen in höheren Lagen auch Laubbäume. Das rund 500 Seelen zählende Dorf erreicht man nach rund zehn Kilometern im Inselinneren. Am Ortseingang informiert eine Tafel darüber, dass Theologos während der osmanischen Herrschaft von 1455 bis 1813 sowie während der folgenden ägyptischen Herrschaft bis 1902 die Hauptstadt sowie das wirtschaftliche Zentrum der Insel war. Die erste Erwähnung stammt schon aus byzantinischer Zeit. Wenige Kilometer vom Meer entfernt zeigt die Insel hier ihr zweites Gesicht. Die Häuser sind aus Natursteinen gebaut und meist mit Steinplatten gedeckt. Tavernen und kleine Geschäfte laden dazu ein, die lokalen Spezialitäten zu probieren: gegrilltes Lamm, Honig und Süßigkeiten. In den alten Kirchen findet man noch handgeschnitzte Ikonostasen. Im örtlichen Volkskundemuseum wird ein Eindruck vom beschwerlichen Leben der vergangenen Jahrhunderte vermittelt.
Das andere Thassos: Häuser aus Natursteinen in Theologos.
Wiederholung eingeplant
Auf der Rückfahrt genieße ich noch einmal die Kurven der Küstenstraße. In Limenas angekommen, schlendere ich wieder zum Hafen und erfrage die Abfahrtszeiten der Fähren. Noch einmal geht es an der Promenade mit den Cafés, Tavernen und den Marmorskulpturen entlang. In meinem Apartment angekommen, verabschiede ich mich von Dimitris. Ohne seine Tipps wäre ich an vielen Sehenswürdigkeiten wohl einfach vorbeigefahren. Es ist seltsam, aber die Fahrt zurück nach Hause kommt mir länger vor als die Hinreise. Auch das Motorrad scheint sich bei der gleichbleibenden Geradeausfahrt zu langweilen – wir waren in den letzten Tagen Besseres gewohnt. So beschließe ich, diese Reise zu wiederholen. Zu einem Zeitpunkt, zu dem man an den herrlichen Stränden baden kann. Und vielleicht hat Dimitris ohnehin noch mehr Tipps für mich? Wer weiß ...
Text und Fotos von Jürgen Weidner
Diese Reportage erschien in der Griechenland Zeitung Nr. 927 am 19. Juni 2024.