Die kleine Insel Gavdos liegt an der südlichsten Spitze Europas. Bis zur Küste Nordafrikas sind es rund 250 Kilometer. Dazwischen liegt das Libysche Meer. In diesem zweiten Teil unserer Reportage erfahren Sie etwas über das Leben der Menschen auf dieser Insel, das vor allem im Winter recht einsam ist. Der Wirt Kostas musste aus gesundheitlichen Gründen nach Kreta ziehen, weil er dort eine bessere ärztliche Betreuung erwarten kann. Von dort aus blickt er oft sehnsuchtsvoll nach Gavdos. Die Insel ist ein Paradies für Träumer, und sie kann auf eine sehr interessante Geschichte zurückblicken.
Vor allem sind es offenbar die auf Gavdos lebenden Männer, die sich auf dem Eiland richtig wohl fühlen. Nicht alle Frauen sind indes so rundum zufrieden wie die glückliche Efi in ihrem Kafenío in Vatsianá, die gern vom Athen nach Gavdos gezogen ist. Weniger, dass es dem weiblichen Teil der Bevölkerung nicht gefallen möge auf der schönen Insel, doch die Frauen sorgen sich zuweilen um die anderen Familienmitglieder, vor allem um die Kinder – aber auch um ihre Männer.
Sehnsuchtsvolle Blicke
So beispielsweise Litsas Schwiegertochter Eleni, die meint, es seien zu wenige Möglichkeiten und soziale Kontakte auf der Insel vorhanden – vor allem für die Kinder.
Durchgesetzt hat sich die Frau von Kostas, dem das Kafenío oberhalb des Fährhafens gehört. Er hat ihrem dauernden Drängen, seiner Gesundheit wegen nach Kreta umzuziehen, nachgegeben, da sein Zustand die schnelle Verfügbarkeit eines Krankenhauses mit allen Möglichkeiten moderner Notfallmedizin nötig mache, wie sie meint. Er hat sein Kafenío vermietet und führt nun stattdessen den Café- und Barbetrieb O Faros in Chora Sfakion, dem nächstgelegenen Ort auf Kreta, von dem aus er, wenn es die Wetter- und Lichtverhältnisse erlauben, sehnsuchtsvoll auf seine Heimatinsel Gavdos hinüberblicken kann. Nur ihr zuliebe sei er nun hier, betont er, sonst wäre er geblieben auf seinem geliebten Inselchen. Eine Arztstation, zu der junge Ärzte nach ihrem Studium und vor ihrer Zulassung oft auch im Rahmen ihres Militärdienstes entsandt werden, gäbe es ja schließlich auf Gavdos, und im Notfall könnten sie ja einen Helikopter anfordern. Also, was soll's? Das kretische Chora Sfakion, das bei Berg- und Schluchtenwanderern sehr beliebt und deshalb gut besucht ist, ist eben nicht seine Heimat. Hier herrscht ihm viel zu viel Trubel.
Die Insel und ihre Besucher
Berühmtester Besucher von Gavdos soll einst der Apostel Paulus gewesen sein, der auf seiner Reise nach Rom in den Gewässern vor der damals Klauda oder Cauda genannten Insel beinahe Schiffsbruch erlitten hätte und deshalb auf ihr Zuflucht suchte. Eine Gedenktafel an der ihm geweihten Kirche, die 2002 anlässlich des Besuchs des orthodoxen Patriarchen Bartholomäus angebracht worden war, erinnert daran.
Ihre Blütezeit erlebte die Insel während des byzantinischen Reiches. Damals legten Schiffe auf ihrem Weg durch das lybische Meer gern hier an. In den Jahren zwischen 900 und 1000 sollen hier mehr als achttausend Menschen gelebt haben. 1207 bis 1665 herrschten die Venezianer auf der Insel, die sie Gozzo (di Candia) nannten. Während der darauf folgenden Türkenherrschaft 1665 bis 1898 sank die Einwohnerzahl auf rund fünfhundert.
In den 1930er Jahren hat die Insel unter dem Diktator Metaxas als Verbannungsinsel für unliebsame Kommunisten gedient. Sonst waren es neben Fischerbooten aus Kreta zunächst vor allem Schwammtaucher von der Insel Kalymnos gewesen, die Gavdos besuchten und am Hafen ihre Schwämme wuschen und ausbreiteten.
Die Ankunft der Fähre im Hafen.
Die ersten Rucksacktouristen
Allmählich begannen dann seit Ende der Siebzigerjahre die ersten, vereinzelten Rucksacktouristen einzutreffen, recht beschwerlich damals noch mit einem kleinen, stark wetterabhängigen Postboot, während die Insel für fahrplangebundene Reisende aufgrund der unregelmäßigen Verbindung lange Zeit kaum in Betracht kam. Heute verkehrt mehrmals die Woche eine Autofähre zwischen den kretischen Orten Paleochora, Agia Roumeli und Chora Sfakion und Gavdos. Die etwa 10 Kilometer lange und 5 Kilometer breite Insel verfügt inzwischen über einen guten, geschützten Hafen und kann somit besser angelaufen werden als früher. Trotzdem kann es auch heute noch geschehen, dass wetterbedingt Fähren ausfallen. Denn die See zwischen Gavdos und Kreta hat nach wie vor ihre Tücken, die schon einst Apostel Paulus zu spüren bekam.
Bei gutem Wetter kann man Gavdos sogar vom mit 48 Kilometern Entfernung nächstgelegenen kretischen Ort Chora Sfakion aus in knapp mehr als einer Stunde mit dem flotten Boot des stets schwarz gekleideten stolzen Sfakioten Kostas und seiner deutschen Frau Bettina erreichen, so dass selbst Tagesausflüge möglich sind. Freilich geht dem erst einmal eine Fahrt durch die kretischen Berge voraus, wenn man als ausländischer Tourist über einen der internationalen Flughäfen Chania oder Heraklion angereist ist. Dennoch finden neben Griechen auch immer mehr Besucher aus dem Ausland den Weg nach Gavdos. In der Hauptsaison im Sommer herrscht ein richtiger Ansturm auf das kleine Eiland und Hunderte können sich an den schönsten Stränden tummeln.
Für Strandliebhaber und Wanderer
Die Strandliebhaber zieht es oft in die Bucht Sarakíniko, wo es die meisten Tavernen und Gästezimmer gibt. Ein rostiges, kaum leserliches Schild versucht, sie am schönen Sandstrand ohne viel Erfolg in die mit und ohne Badekostüm zu trennen.
Die Wanderer und die bezüglich Wohnkomfort etwas Anspruchsvolleren steigen bevorzugt im Hauptort Kastri ab, von wo die meisten der zahlreichen, großenteils gut gepflegten Wanderwege abzweigen und wo das Gavdos Princess Hotel etwas mehr Komfort als die meist recht einfachen Unterkünfte an den Stränden bietet. In Kastri gibt es auch Geschäfte, Bäcker, Tavernen und einen Arzt. Gavdos verfügt über ein gutes Netz an Wanderwegen, über das an vielen Orten aufgestellte Tafeln, auf denen auch der aktuelle Standort jeweils markiert ist, informieren. Einer davon ist der bequeme alte Weg zum nördlichsten aus Kirche mit Friedhof, zwei bewohnten Häusern, etlichen Ruinen und alten Mauern bestehenden Inselort Ambelos, auf dem man den Schatten und Duft eines Kiefernwaldes genießt. Weiter kann man von hier – Trittsicherheit und festes Schuhwerk vorausgesetzt – hinab zu dem Strand Potamos mit seinen seltsam geschichteten, geologisch interessanten, steil abfallenden Felsen gehen.
Strand und schöne Wandermöglichkeiten neben Gästezimmern und zwei Tavernen gibt es in der Bucht Korfos, der nach Süden zu nächsten nach der Hafenbucht. Hier beginnt der gut erkennbare und ausgeschilderte, vielleicht schönste und meistbegangene Wanderweg, der großenteils durch schattigen Wald vier Kilometer zu dem Kap Tripiti führt, das die geographische Südspitze Europas bildet, worauf ein dort errichteter überdimensionierter Stuhl hinweist. Von Korfos aus kann man aber beispielsweise auch hoch nach Vatsianá wandern.
Sarakiniko-Strand, eine der beliebtesten Badebuchten.
Ein Wanderweg führt hoch nach Vatsianá.
Paradies für Träumer
Manche Gavdos-Reisende träumen davon, für immer hier zu bleiben und verbringen zumindest viele Wochen oder Monate auf der Insel, wo sie bevorzugt in den Dünen mit ihren Wacholderwäldchen zwischen Agios Ioannis und Lavrakas kleine Zelte aufschlagen oder es sich einfach im Schutz von Bäumen und Steinen vielleicht mit einigen Tüchern, Planen, Decken, Hängematten, Schlafsäcken und/oder Luftmatratzen etwas wohnlich machen, nackt wie Adam und Eva im Meer baden und sich sonnen, Gymnastikübungen oder Joga mit Kopfstand machen oder stundenlang mit dem Meer zugewandtem rasterlockigen Kopf meditieren. Sie genießen die ungestörte Ruhe in der Natur und die gelassene Toleranz der Inselbewohner. Bemerkenswert ist, dass kein Müll zurückbleibt und alles einen sehr gepflegten Eindruck macht. Es wäre auch schlimm wenn es anders wäre. Denn die Gegend ist ein Naturschutzgebiet, das Teil der NATURA 2000-Initiative der Europäischen Union ist. Jeder scheint das zu respektieren und bestrebt zu sein, das Paradies zu erhalten.
Von Heidi Jovanovic