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In und über den Gassen des magischen Monemvassia

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Foto (© Roland Hanewald) Foto (© Roland Hanewald)

„Sie müssen unbedingt Monemvassia besuchen!“, hatte es schon die ganze Zeit auf meiner Tour durch den Peloponnes geraunt. „Monemvassia ist unglaublich, einmalig, atemraubend!“

Ich wollte mir den Atem aber nicht rauben lassen. Zunächst genoss ich die klare, mit den herben Düften der griechischen Macchie gewürzte Luft der Peloponnes in tiefen Zügen. Sie war so sauber, dass man jedes Auto roch, gänzlich ungewohnt für den umqualmten Großstädter. Außerdem hatte ich keinen Reiseführer bei mir und dachte angesichts der vielen Lobpreisungen: „Nun ja. Schon wieder eine Ruinenstadt mit ein paar alten Tempeln.“ Derer sieht man nämlich in Griechenland so viele, dass man irgendwann einmal genug hat.
Aber nun hatte es mich doch an die Ostküste von Lakonien verschlagen, ich hatte die vielgepriesene Destination erreicht, und ich war bitter enttäuscht. Monemvassia erwies sich als eine nicht besonders schöne Kleinstadt, vor der sich ein riesiger nackter Felsen erhob, und das war's dann auch schon. Recht hübsch der kleine Fischereihafen, aber mit teuren Produkten. Ich teilte meiner Wirtin, die mir ein sauberes und preiswertes Zimmer gegeben hatte, meine Eindrücke mit, und sie lachte. „Dies ist Neu-Monemvassia“, klärte sie mich auf. „Jetzt heißt es Gefira.“ Das bedeutete „Brücke“, wusste ich. Und sie setzte hinzu: „Alt-Monemvassia liegt dort drüben auf dem Felsen!“
Um nach Palaea Monemvassia zu gelangen, wanderte ich am nächsten Tag über die gefira, trat in ein uraltes Tor – und befand mich im nächsten Moment in einer Wunderwelt. Vom ersten Blick an war hier alles unglaublich, einmalig, atemraubend ...

Das Gibraltar Griechenlands

Man nennt den Felsen von Monemvassia auch „das Gibraltar Griechenlands“. Ein solcher Vergleich ist in jeder Beziehung zulässig, denn sowohl Form als auch Dimensionen der beiden Monolithen ähneln sich. Auch die einstige strategische Bedeutung Monemvassias ist offensichtlich; ein steiler Felskoloss wie dieser musste früher uneinnehmbar gewesen sein, und so war es auch. Nur „ein Zugang“ – auf griechisch moni embassia – existierte stets, die Sandbrücke zum Festland, und wenn dort Feinde auftauchten, machte man einfach das Tor dicht. Über seine Außenwände ließ sich dieses natürliche Fort nicht erobern.
Wann Monemvassia erstmals diese Rolle spielte, ist im Dunkel der Zeit verborgen. Der Grieche Pausanias, eine Art früher Baedeker, der seine Heimat im 2. Jahrhundert n. Chr. ausgedehnt bereiste, erwähnt keine Besiedlung, wohl aber den damaligen Namen der Felseninsel: Minoa, eine bis in die jüngere Vergangenheit gültige Bezeichnung. Dokumentiert wird der Ort anno 723 – und zwar von deutscher Hand: Der Bischof von Eichstädt, aus einem irischen Mönch hervorgegangen, legte dort, „in der Stadt Manafasia“, einen Reiseaufenthalt ein. Zu diesem Zeitpunkt besaß Monemvassia offenbar schon eine gewisse Bedeutung.
Im Jahre 396 hatte der finstere Gotenkönig Alarich Athen und Sparta erobert, letzteres nur 100 Kilometer von Monemvassia entfernt. Dorthin flüchtete ein Großteil der Besiegten und wetterte den Sturm auf dem Felsen sozusagen ab. Anno 583 wurde regulär Einzug gehalten, und 746 ist bereits die Rede von Monemvassia als wichtigster Stadt an der Ostküste der Peloponnes. Der landseitig gelegene Hafen mit seinen zwei Buchten galt bald als einer der besten des Mittelmeers; hier legten Schiffe aus dem fernen mediterranen Westen und aus der Levante an, um Handel zu treiben, Proviant aufzunehmen oder die tüchtigen Seeleute anzuheuern, für die Monemvassia damals bekannt war. Einer der gängigsten Handelsartikel und beliebtes Getränk an den Fürstenhöfen Europas war Malvasier-Wein, eine venezianische Korrumpierung des Ortsnamens („Malvasia“) übrigens.

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Reich auch durch Eroberung

Der rege Handel und Wandel machte Monemvassia schnell reich, und wer immer nach diesem Reichtum gierte, dem wurde durch die schroffen Wände der natürlichen Zitadelle der Zugang verwehrt. Arabische Korsaren, normannische Abenteurer, türkische Invasoren – sie alle blitzten ab. Wenn „die Stadt, die Gott uneinnehmbar gemacht hatte“, so einer ihrer Herrscher, doch in andere Hände fiel, so geriet ihr das nur zum Vorteil. 1249 ging sie nach dreijähriger Belagerung in den Besitz fränkischer Kreuzritter über, ohne dadurch ärmer zu werden. Schon wenig später (1263) wehte das Banner von Byzanz über dem Felsen und leitete eine goldene Ära ein – die erste. Noch besser ging es Monemvassia unter den Veneziern im 15., 16. und, nach einem türkischen Intermezzo, im 17. und 18. Jahrhundert. 1715 wurde die Stadt erneut türkisch, und von da an ging es ständig bergab. 1570 lebten in Monemvassia bis zu 40.000 Menschen, 1911 kein einziger mehr.

Historischer Schutthaufen

Auf dem Höhepunkt ihres Glanzes muss die Stadt wie eine Bienenwabe konstruiert gewesen sein, gestaffelt auf zwei Ebenen, die Ober- und die Unterstadt, letztere besonders verschachtelt und verwoben. Ein Wolkenkratzer, 300 Meter hoch, auf natürlichen Grundlagen gebaut, mit griechischen, türkischen, venezianischen Etagen. Mehr Raum hatten die Kirchen, an die vierzig von ihnen. Doch alles verfiel. In den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts war Monemvassia eine Ruinenstadt, wenig mehr als ein historischer Schutthaufen.

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Träumen von alten Zeiten

Dann begannen eigenwillige, der Geschichte Griechenlands verhaftete Menschen, weniger aus Monemvassias unmittelbarem Umfeld als aus Athen und sogar aus dem Ausland, die Stadt so wieder aufzubauen, wie sie einmal ausgesehen haben musste. Sie gingen dabei überaus kunstsinnig, sachverständig, stil- und geschmackvoll zu Werke. Die Unterstadt mit ihren verschlungenen Gässchen gibt heute ein getreues Abbild der venezianischen Epoche wieder, in dem keine Stromleitung, keine Fernsehantenne und vor allem kein Kraftfahrzeug das gelungene Ganze unharmonisch stört. Auch die Kirchen stehen wieder zum Teil, schön vor allem die dem vom Kreuz genommenen Christus geweihte Eikomenos auf der zentral gelegenen Platia. Die Oberstadt, inmitten einer verwilderten Natur und weitgehend in Ruinen, wird von der Agia Sophia mit einer venezianischen Loggia geziert. Von hier schweift der Blick weit über die zumeist blaue Ägäis und ein vom Festland gebildetes grünes und braunes Panorama. Pünktchen in der Tiefe: Touristen. Sie verstopfen die Gassen, keuchen über uralte, abgewetzte Steintreppen den Fels hinauf. Von Eroberungsgelüsten beflügelt bevölkern sie Griechenlands Gibraltar in den Dimensionen des Jahres 1570, ziehen sich jedoch rasch zurück, wenn es im Spätherbst kalt von Norden zu wehen beginnt. Aber selbst auf der Höhe der touristischen Invasion findet man auf dem Felsen immer ein Fleckchen, auf dem man allein ist und Träumen von einer Zeit nachhängen kann, als Ritter in Rüstung und schimmernder Helmzier hier den Ton angaben. Damals muss Monemvassia „unglaublich, einmalig, atemraubend“ gewesen sein. Aber das ist es eigentlich immer noch.

Text und Fotos: Roland Hanewald

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