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Das neue Buch von Varoufakis: Die Analyse eines paradoxen Phänomens

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Das neue Buch von Varoufakis: Die Analyse eines paradoxen Phänomens
Yanis Varoufakis, der für ein knappes halbes Jahr Finanzminister Griechenlands war, hat nach seinem Rücktritt im Sommer vergangenen Jahres nun wieder Zeit, publizistisch tätig zu sein. Das vorliegende Buch begann er bereits vor seinem Auftritt auf der politischen Bühne Europas, nun hat er es fertiggestellt. Sein Titel: „Das Euro-Paradox. Wie eine andere Geldpolitik Europa wieder zusammenführen kann.“ Es ist die Bestandsaufnahme und Analyse des paradox anmutenden Phänomens, dass eine gemeinsame Währung in Europa zur Spaltung führt. Stefan Berkholz hat das Buch gelesen.
 
Das Manuskript begann Yanis Varoufakis bereits vor vier Jahren in seiner Zeit als Dozent in den USA. Und man ist zunächst überrascht, dass der Ökonomie-Professor und selbsterklärte „unorthodoxe Marxist“ hier das hohe Lied auf den Stabilitätsfaktor der USA für die Weltwirtschaft anstimmt: „Washingtons Bereitschaft, mit roten Zahlen zu leben, war die Voraussetzung für den Erfolg der anderen“, schreibt Varoufakis.
Im Juli 1944, drei Wochen nach dem D-Day und noch während am 20. Juli das Attentat auf Hitler scheiterte, wurde in Bretton Woods im US-Bundesstaat New Hampshire mit Delegierten aus vierzig verbündeten Ländern die Nachkriegsordnung geplant. Der Dollar wurde als Leitwährung installiert, damit die neuen Währungen im zerstörten Europa nach Kriegsende auf Anhieb weltweit wieder Wert bekommen. 
 
Deprimierende Kettenreaktion
 
Dieses Kapitel sei durch Machtkämpfe zwischen Deutschland, Frankreich und Großbritannien beendet worden, behauptet Varoufakis. 1971 kam es zum Währungscut mit den US-Amerikanern. Präsident Nixon warf Europa aus der Dollarzone hinaus. Das System mit festen Wechselkursen brach zusammen, 1973 wurde Bretton Woods endgültig beerdigt. Und die Europäer hatten überstürzt ein eigenes Währungssystem auf die Beine zu stellen.
„Weil die Verantwortlichen keine Ahnung davon hatten, welche makroökonomischen Probleme eine Währungsunion aufwirft“, schreibt Varoufakis, „schufen sie ein System, das keinerlei Stoßdämpfer hatte, aber unwissentlich so ausgelegt war, dass der Schock, als er 2008 dann kam, ein gigantisches Beben erzeugte und die Europäer gegeneinander aufbrachte.“
Als Wendepunkte des 20. Jahrhunderts bezeichnet der ehemalige Finanzminister die Aufgabe des Goldstandards im Jahre 1973, die Machtkämpfe zwischen Deutschland und Frankreich um die Vorherrschaft in Europa und den Börsencrash von 2008 und seine Folgen – ein „Äquivalent zur Weltwirtschaftskrise von 1929“, urteilt Varoufakis. „Unmerklich setzte 2008 eine deprimierend ähnliche Kettenreaktion ein. Bald schon hassten unterbezahlte deutsche Arbeiter die Griechen, und unterbeschäftigte griechische Arbeiter hassten die Deutschen.“ 2010 stand Griechenland dann vor dem Bankrott.
Flexible Wechselkurse sind im Euro nicht vorgesehen, ein Ausgleich zwischen Überschüssen und Defiziten ist nicht möglich. Ein Teufelskreis. Die verschuldeten Länder geraten immer tiefer in den Abgrund, reiche Länder aber können vom Abwärtstrend angesteckt werden, das gesamte Konstrukt gerät in Schieflage. Varoufakis hebt auch politische Defizite hervor und betont, dass das US-amerikanische System demokratischer sei als das Europäische.
„Tatsächlich kann keine andere Instanz in den Vereinigten Staaten dem Kongress die Stirn bieten oder ihn übergehen“, schreibt Varoufakis. Und er fügt hinzu: „Ungeachtet aller Schwachstellen, die die amerikanische Demokratie haben mag, spielt der demokratische Prozess die entscheidende Rolle für den Zusammenhalt der Union.“
 
Paradox eines Kontinents
 
Die Europäische Union hingegen war von Beginn an ein Bürokratie-Konstrukt im Dienste der Großindustrie, behauptet Varoufakis. „Eine antisoziale, mut- und geistlose Autokratie“ sei installiert worden. Kein Wunder deshalb für ihn, wie undemokratisch und undurchsichtig in Brüssel bis heute verfügt wird.
Deshalb gründete Yanis Varoufakis Anfang vergangenen Jahres mit großem Tam-Tam seine paneuropäische Sammlungsbewegung für Demokratie und Freiheit unter dem Titel „DiEM 25“. Innerhalb der nächsten neun Jahre wolle er dazu beitragen, die Politik und die Institutionen in Europa radikal umzukrempeln und transparent zu machen. Von dieser Initiative hat man seitdem nicht mehr viel gehört. Allerdings will Varoufakis, wie kürzlich zu vernehmen war, mit seiner Initiative an den kommenden Parlamentswahlen in Griechenland teilnehmen. 
Varoufakis‘ größte Sorge ist, dass sich in Europa ein Krisenszenario wie am Ende der Weimarer Republik entwickeln könnte. In seinem neuen Buch analysiert er die Ursachen für den Aufstieg des Faschismus vor dem Zweiten Weltkrieg. Er kritisiert das Versagen von Europas Sozialdemokraten seit dem Siegeszug der Neoliberalen nach 1945. Er benennt die Hintergründe für den Aufstieg der Nazis in Griechenland seit dem Spardiktat der EU. Und so fordert der Autor in seinem Buch: „Das Paradox eines Kontinents, den eine gemeinsame Währung entzweit, muss durch ein anderes Paradox ersetzt werden: das Paradox der dezentralisierten Europäisierung – einen regelbasierten Neustart europäischer Schlüsselinstitutionen (…), um Europas (…) Krisen anzupacken und zugleich die nationalen Demokratien zu stärken.“
 
Bescheidene Vorschläge
 
Yanis Varoufakis hat eine weit ausholende, auch wiederholungsreiche historisch-ökonomische Studie vorgelegt. Der Autor gibt sich sehr moderat im Ton, seine Analysen und Argumente leuchten ein. Er wägt ab, ist selten polemisch, aber nicht ganz leicht zu verstehen und zudem wenig gefördert durch eine nicht gerade geschmeidig wirkende Übersetzung. Einige Auszüge aus seinem schmalen Buch vom vergangenen Jahr unter dem Titel: „Bescheidener Vorschlag zur Lösung der Eurokrise“ hat Varoufakis am Ende auch noch hinzugefügt. 
So bekommt die Fachwelt nun mit der Bestandsaufnahme zum „Euro-Paradox“ eine Materialsammlung an die Hand, über die diskutiert werden kann. Eine breitere Öffentlichkeit wird wohl gespannter auf Varoufakis’ nächstes Buch sein dürfen, das der Ökonomieprofessor schon jetzt als „Thriller“ ankündigt: die Chronik seiner fünf Monate als griechischer Finanzminister. Darin wird man dann Hintergründe aus dem Blickwinkel eines Außenseiters aus erster Hand erfahren und erkennen, wie Politik in den schallisolierten Räumen der Macht funktioniert.
 
Yanis Varoufakis: Das Euro-Paradox. Wie eine andere Geldpolitik Europa wieder zusammenführen kann. Aus dem Englischen von Ursel Schäfer. Kunstmann Verlag, München 2016. 320 Seiten. ISBN 978-3-95614-126-3. Preis: 24 Euro
 
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