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Auf Korfus schönsten Anhöhen ticken die Uhren anders

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Auf Korfus schönsten Anhöhen ticken die Uhren anders
Von Juliane Henkel Das Flugzeug sinkt im Landeanflug auf Korfu so tief, dass der östliche Küstenstreifen der Insel zum Greifen nahe kommt: Benitses und Perama ziehen links an den Fenstern vorbei. Direkt unter sich sieht man die ganze Zeit nur das tiefblaue Meer, während die Maschine beständig sinkt.
nt size="2">Das Flugzeug sinkt im Landeanflug auf Korfu so tief, dass der östliche
Küstenstreifen der Insel zum Greifen nahe kommt: Benitses und Perama
ziehen links an den Fenstern vorbei. Direkt unter sich sieht man die ganze Zeit nur das tiefblaue Meer, während die Maschine beständig sinkt. Für einen
kurzen Augenblick huscht eine schmale Brücke vorbei, dann wieder Wasser. Erst im letzten Moment taucht der Asphalt der Landebahn auf und augenblicklich holpern auch schon die Flugzeugräder über das aufgeheizte Rollfeld.

Griechenland / Korfu. Die Start- und Landebahn des Flughafens Kapodistrias ist wie eine Mole in die Lagune Chalkiopoulou gebaut und somit von Wasser umgeben. So genießt man bis zur Landung nicht nur einen Tiefflug über die Meeresoberfläche, sondern besonders das Aussteigen über die Flugzeugtreppe: Denn das Erste, was jedem Neuankömmling in Korfu um die Nase weht, ist eine warme, salzige Meeresbrise. Ein schönes Willkommen! 
Beeindruckend ist eine Landung in Korfu übrigens nicht nur, wenn man selbst im Flugzeug sitzt, sondern auch von der Insel aus. Die schmale Fußgängerbrücke kurz vor der Landebahn trennt die Lagune vom Meer, verbindet Kanoni mit Perama, und bietet einen hervorragenden Standpunkt für ein einmaliges Schauspiel: Wenn ein Flieger kurz vor der Landung so tief über einen hinwegbraust, glaubt man, den gigantischen Flugzeugbauch und die Tragflächen buchstäblich berühren zu können.
Wem die Flugzeuge hier doch zu nah kommen, kann – mit etwas Abstand – dies von Kanoni aus erleben. Hier ist man weiter entfernt und trinkt gemütlich seinen Kaffee unter den schattigen Bäumen des Aussichtscafés.
Eigentlich ist Kanoni für einen ganz anderen Ausblick bekannt, für das Postkartenmotiv Nummer Eins Korfus: das kleine weiße Kloster Vlachernon auf seiner winzigen Insel. Im Hintergrund hält eine zweite kleine Insel, das Pontikonissi, unter einer Baumgruppe ein weiteres Kloster versteckt. Je nach Tageszeit schimmert das Meer in den unterschiedlichsten Blaunuancen und vermittelt so immer wieder neue Stimmungen.
Kanoni zeugt durch viele Ausgrabungsstätten von der einstigen Lage der antiken Stadt. Heute gehört dieses Gebiet jedoch zu den Vororten Korfus – die belebte Altstadt befindet sich eingebettet zwischen zwei Festungen nur wenige Kilometer entfernt.

Italienisches Flair in Korfus Altstadt

Von der alten Festung hat man einen hervorragenden Blick über die Stadt. Zwischen diesem imposanten Bau aus dem 16. Jahrhundert – seine Wurzeln reichen bis in die die byzantinische Zeit im 8. Jahrhundert – und der Altstadt liegt die Spianada, der große freie Platz, der ursprünglich den Schützen der Festung ein freies Schussfeld bieten sollte. Heute ist ein großer Teil davon ein schöner Park mit schattenspendenden Bäumen, Bänken zum Verweilen und einem Musikpavillon, in dem im Sommer regelmäßig Orchester Einheimische und Gäste mit Musik erfreuen.
Nicht weit entfernt, an der Westseite der Spianada, befindet sich eines der berühmtesten Gebäude der Inselhauptstadt: das Liston. Diese malerische Arkade beherbergt eine ganze Reihe von Cafés. Hier flaniert Jung und Alt,   Einheimische wie Touristen lassen sich im Schatten der Platanen zum Kaffee nieder. Das Liston bildet in seiner Schönheit außerdem den Auftakt eines Augenschmauses der ganz besonderen Art: der Architektur der Altstadt Korfus.
Kleine Gassen verlieren sich wie ein Labyrinth zwischen den Häusern, herausgeputzte Fassaden grenzen an abblätternden Putz, Arkaden zieren die bezaubernden Straßen. Gespannte Wäscheleinen verbinden die sich eng gegenüberstehenden Fassaden und erinnern an italienische Gässchen.
Dieser Eindruck zeugt von der über vier Jahrhunderte andauernden venezianischen Herrschaft, die Korfu in vielfältiger Weise prägte: Lebensweise, Architektur, Literatur und Musik erhielten in diesem Zeitraum – von 1386 bis 1797 – eine italienische Note. Zugleich fehlen dagegen türkische Einflüsse, da Korfu der türkischen Belagerung von 1571 bis 1573 standhalten konnte und somit nicht von den Türken besetzt wurde.
Den Venezianern verdankt die Insel Korfu übrigens noch die uralten Olivenbäume. Der damalige Anbau der Bäume sicherte die Versorgung Venedigs mit dem kostbaren Öl. Und so kommt es, dass man selten in Griechenland so schöne Olivenhaine sieht wie auf Korfu: Dreihundert Jahre alte Bäume breiten ihre dichten Äste aus und lassen nur an wenigen Stellen die Sonne auf dem Boden kleine Lichtflecken malen. Verknöcherungen und große Hohlräume in den dicken Stämmen verleihen den silberblättrigen Olivenbäumen geradezu etwas Märchenhaftes.

Besinnliche Stille und herrlicher Ausblick: Paläokastritsa


Nicht nur die Olivenhaine auf Korfu sind von besonderer Schönheit. Auf der gesamten Fläche von 592 Quadratkilometern gibt es zahlreiche idyllische Buchten, Berge und Täler.
Wie eine Perle in der grünen und felsigen Umgebung erstrahlt zum Beispiel der kleine sichelförmige Strand von Paläokastritsa im Nordwesten Korfus. Das Wasser der kleinen Bucht leuchtet türkisblau, ist hier besonders klar und auch im Sommer erfrischend kühl.
Den angrenzenden kleinen Berg hinauf windet sich eine schmale Straße, die an manchen Stellen so eng ist, dass sie abwechselnd bergauf und bergab zur Einbahnstrasse wird – eine Ampel am Fuße des Felsens und ganz oben entscheidet, wer fährt und wer wartet. 
Oben angekommen erwartet einen das Kloster der Panagia Paläokastritsas und ein herrlicher Ausblick. Das Kloster wurde 1255 gegründet, der heutige Bau aber stammt aus dem 18. und 19. Jahrhundert und zeigt beispielhaft die griechische Klosterarchitektur.
Arkaden führen den Besucher durch das Innere. Meist dösen einige Katzen in der Wärme und verbreiten eine friedliche Stimmung.
Eine Treppe führt in einen erhöhten kleinen Innenhof, in dessen Mitte ein tiefer Brun
nen steht. Kein Wasser glitzert jedoch auf seinem Grund, sondern Münzen aus den verschiedensten Ländern zeugen von vielen Besuchern – zugleich Erinnerungen an die Zeit vor dem Euro.
Senkt sich die Sonne bereits, erstrahlt der Glockenturm in einem besonders warmen Gelb und langsam klettert sein Schatten über die berankte Wand in den Hof. Nichts stört die Ruhe hier oben. Nur tief unter dem Kloster schlagen die Wellen an den Felsen.

Vergangene Macht und heutige Pracht: Angelokastro


Nicht weit ist es von Paläokastritsa zum Angelokastro. Der Weg führt über das malerische Dorf Lakones. Die imposante Festung aus dem 13. Jahrhundert taucht plötzlich nach einer Wegesbiegung vor einem auf. Als würde sie auf ihrem schmalen Felsen balancieren, thront sie majestätisch in der Höhe und wirkt in ihrer Verlassenheit und Ruinenhaftigkeit zugleich gespenstisch und märchenhaft. Sie ist eins mit dem Felsen geworden: Wildes Grün lässt die Grenzen von natürlichem Fels und von Menschenhand gesetztem Stein verschwimmen.
Am Fuße des Felsens angekommen, lässt man das Auto stehen und begibt sich zu Fuß auf den steilen Weg nach oben. Unten säumen knochige Olivenbäume die ausgetretenen steinernen Stufen, weiter oben werden sie abgelöst von wildem Oregano, Sträuchern und hohen Gräsern. Wer wohl schon alles vor langer Zeit diese Treppe erklommen hat?
Oben angekommen gewährt ein Tor in der dicken Mauer Eintritt in die Festungsanlage.
Im Jahre 1571 retteten sich hierher die Bauern der umliegenden Dörfer, um Schutz vor den angreifenden Türken zu suchen. Sie verteidigten erfolgreich ihre Festung, indem sie Felsbrocken und Steine den steilen Abhang hinunterstießen.
Viele feindliche Kämpfer wurden von diesen Brocken überrollt, die überlebenden Türken schlug es in die Flucht. Sie zogen sich auf ihr Schiff zurück und erlebten anschließend in der Seeschlacht von Nafpaktos im Golf von Korinth eine entscheidende Niederlage.
Verschiedene Wege innerhalb der Festung führen hinauf zu einer kleinen, schlichten Kapelle. Hier befindet man sich auf dem höchsten Punkt der Anlage und hat einen einmaligen Ausblick auf die malerischen Buchten von und um Paläokastritsa. Mutige wagen auch einen Blick in die Tiefe – es geht unglaublich steil hinab; weit unten enden die Klippen senkrecht im Meer.
Die exponierte Lage des „Kastro" mit dem weitreichendem Ausblick auf das offene Meer machte es möglich, Angreifer früh zu entdecken und die Stadt Korfu zu informieren.
Außerdem war das Angelokastro der westlichste Wachposten des Despotats von Epirus. Epirus war eine der griechisch-orthodoxen Staatenbildungen, die den westlichen Balkan beherrschten, als im Mittelalter die Macht von Byzanz schwächer wurde. Das Despotat von Epirus umfasste Teile Makedoniens, Albaniens, Thessaliens, Epirus selbst und von 1214 bis 1267 auch Korfu. Während der venezianischen Herrschaft von 1386 bis 1797 hatte der vom Korfiotischen Senat gewählte Regent der Insel hier seinen Amtssitz.

Romantische Wildheit  und wehmütige Verlassenheit: Palia Perithia


Ein Hauch von jüngerer Vergangenheit erwartet den Besucher in Palia Perithia. Dieses Bergdorf liegt hoch oben auf dem Pantokrator – mit 914 Metern Korfus höchstem Berg, der mit seiner Fläche einen Großteil des Inselnordens einnimmt.
Um ihn zu erklimmen, empfiehlt es sich, über Kassiopi im Nordosten Korfus zu fahren – in dessen idyllischen Hafen man auf dem Hin- oder Rückweg auch in jedem Fall verweilen sollte. Etwa nach sechs Kilometern hinter Kassiopi in Richtung Norden schlängelt sich links eine Straße den Berg hinauf nach Palia Perithia.
Das Auto bleibt am Dorfeingang geparkt. Über Wege mit zugewucherten Pflastersteinen und die typischen Treppchen schlendernd, taucht der Besucher in die Vergangenheit des Dorfes ein. Vor einigen Jahrzehnten starb dieses Bergdorf langsam aus, weil das Leben hier den Bewohnern keine Zukunft mehr bot. Die Häuser verfielen und die Natur eroberte sich mit Leichtigkeit ihr Terrain zurück.
Feigenbäume breiten ihre großen Blätter in ehemaligen Wohnzimmern aus, erstrecken sich dort in den Himmel, wo früher einmal ein Dach Schutz bot. Seltsam anmutend ist der Blick durch zerfallenes Mauerwerk in ein Schlafzimmer, wo ein altes Bett verloren im sonst leeren Zimmer steht. Ein alter schmiedeeiserner Ofen in einer verlassenen Küche erinnert an duftendes Essen und lebhaftere Zeiten.
So schlendert man von einem Haus zum anderen und stellt sich vor, wer wohl einst darin wohnte und wie es war, als das Dorf noch mit Leben erfüllt war.
Von kleinen Anhöhen lässt man den Blick über die Häuserdächer streifen, von denen manchmal nur mehr die Balken übrig sind, andere aber ganz gut erhalten scheinen.
An einigen Hauswänden sind Schilder angeschlagen: „Zu verkaufen" steht dort sowie die Telefonnummer des jetzigen Eigentümers. In den letzten Jahren haben sich so bereits einige Käufer gefunden. Die Häuser wurden stilgerecht renoviert und ihre neuen Besitzer verwirklichen eine Geschäftsidee: Auf den steinernen Terrassen im Schatten der Weintraubenreben bieten sie nun den Touristen, die um den Charme dieser Bergwelt wissen, hervorragende griechische Kost an.
So kommt also mit dem Tourismus, der gerade von der Ruinenhaftigkeit und Ausgestorbenheit des Dorfes zehrt, wieder Leben in das verlassene Palia Perithia.
Jedem Besucher bietet dieses kleine Bergdorf die unterschiedlichsten Eindrücke: Seine Dörflichkeit ist unbeschreiblich romantisch, seine Verlassenheit so wehmütig, seine Baufälligkeit magisch und fantasieanregend, manchmal sogar ein bisschen unheimlich, und in seinem verwilderten Zustand ist es unglaublich schön und beeindruckend.

Abschied mit Wehmut


Von Korfu Abschied zu nehmen, ist wahrlich nicht leicht. Und es ist ebenso schwer zu sagen, ob die Schönheit Korfus, die sich einem von der Fähre aus bietet, den Abschied versüßt und erleichtert oder gerade noch erschwert. Nur eines ist sicher: Sie ist so atemberaubend, dass man sie bestimmt nie vergisst.
Von der Schiffsreling aus zeigt sich die Inselhauptstadt Korfu noch einmal in ihrer ganzen Pracht. Dicht aneinandergereiht drängen sich die Häuser der Altstadt bis an den Rand des Meeres. Dem Betrachter eröffnet sich ein buntes Durcheinander von Fassaden und Häuserdächern, über das der Kirchturm des Agios Spyridonas – der Kirche des Inselheiligen – lugt. Einblicke in enge Gassen tauchen im Vorbeigleiten des Schiffes für einen Moment auf, um sogleich wieder zu verschwinden.
Langsam bleibt die Stadt zurück, wird abgelöst vom Grün der Spianada und sodann vom Grau der alten Festung. Imposant erstreckt diese sich wie ein Wächter als weitester Punkt ins tiefblaue Meer und bleibt noch lange im Blickfeld desjenigen, der an der Reling steht und Abschied nimmt.

©Griechenlandzeitung, erschienen im Ausgabe Nr.0 vom 3.10.05

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