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Kos – eine Insel ohne Berührungsängste

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Im Frühjahr verwandelt sich Kos in ein Blütenmeer Im Frühjahr verwandelt sich Kos in ein Blütenmeer

Kos ist neben Rhodos die einzige griechische Insel, auf der noch eine türkischstämmige Minderheit lebt. Hier kommt man gut miteinander aus und vermarktet anatolische Besonderheiten zum Wohle aller Insulaner.

Beim Blick auf die Karte erscheint Kos wie ein Fisch, der ins Maul eines kleinasiatischen Riesen schwimmen will. Die Insel liegt genau zwischen zwei langgestreckten Halbinseln, die die Bucht von Halikarnassos, auf Türkisch Gökova Körfezi genannt, im Norden und Süden begrenzen. Aber der Fisch fühlt sich hier neuerdings pudelwohl und profitiert von der großen Nähe des ehemaligen Erzfeinds. Türkische Tagestouristen kommen von Bodrum aus herüber, türkische Yachten schwemmen Geld an Land, sogar türkische Kurzurlauber sind schon zu begrüßen. Sie haben die Krise vielleicht noch vor sich, verhalten sich aber jetzt noch wie Griechen in Vorkrisenzeiten. Anders als die Europäer füttern sie nicht ihre eigenen Reiseveranstalter in All-Inclusive-Anlagen, sondern strömen in die Tavernen und lassen nach traditionell griechischer Manier viel mehr auftischen, als sie verspeisen können. Da schlägt das Herz eines jeden Wirts höher und er lässt seine Speisekarten jetzt auch gern ins Türkische übersetzen.

Spezialitäten vom Nachbarn

In einigen Inseltavernen wäre das gar nicht nötig, denn dort sind Wirte und Kellner türkischstämmige Griechen, die die Sprache ihrer Vorfahren noch immer beherrschen. Die Inseln des Dodekanes standen 1922/23, also in den Jahren der „Kleinasiatischen Katastrophe“ und des großen „Bevölkerungsaustauschs“, ja unter italienischer Herrschaft. So konnten die islamischen Minderheiten, die es in nennenswerter Zahl ohnehin nur auf Rhodos und Kos gab, in ihren Dörfern verbleiben. Ihre genaue Zahl nennt niemand, da die Erfassung der ethnischen Zugehörigkeit bei griechischen Volkszählungen tabu ist. Auf Rhodos kann man wohl von mehr als 1000, auf Kos von vielleicht 500 ausgehen. Auf Kos leben sie traditionell in Platani, einem Dorf nahe der Inselhauptstadt, wo eine moderne Moschee leise zum Freitagsgebet einlädt. Viel präsenter ist die Minderheit am Dorfplatz. Da servieren vier Tavernen mit Namen wie „Serif Karawesir“ und „Arap Memis“ Spezialitäten der türkischen Küche, kredenzt eine Konditorei neben exzellentem Eis und Crème Brulée auch süße orientalische Köstlichkeiten. Einer der Wirte ist allerdings im Winter 2012/13 in die Inselhauptstadt umgezogen, kocht, backt und grillt das ganze Jahr über erfolgreich vor allem für seine christlichen Landsleute. Nur einen sprachlichen Kompromiss ist er eingegangen: Er wirbt jetzt mit „griechischer und anatolischer Küche“.  
Wie gut die Minderheit ins koische Leben integriert ist, zeigt auch das Beispiel eines Reisebüroinhaber-Paares, das eine der in Griechenland noch sehr seltenen Mischehen zwischen Christen und Muslimen führt – und das gelungene Investment von Sevgin Karadinc, der 2012 in Tigaki einen ganz modernen Hamam als Wellness-Tempel schuf. Die meisten Öle, Salben und Massageschwämme sind aus dem Nachbarland importiert, die Mitarbeiter und Gäste multinational. Überall auf der Insel werben Hotels und Reisebüros für seine Institution, wo man an der „Garden Bar“ sogar eine Wasserpfeife rauchen kann. Schon sehr viel länger erfolgreich ist ein anderer türkischstämmiger Unternehmer auf der Insel. Vor seiner Beach Bar stehen im Hochsommer die Liegestühle so kontaktfördernd dicht beieinander, dass die Gäste in den vorderen Reihen von Bar-Booten aus versorgt werden müssen, wenn sie ein Getränk wünschen. Ansonsten bedienen die Mitarbeiter im Tarzan-Look. Der findige Wirt hatte sein Lokal anfangs nach dem griechischen Wort für einen winterlichen Bootsliegeplatz an Land „Tarsanás“ genannt. Weil die ausländischen Touristen den Namen aber mit dem Dschungelhelden gleichsetzten, glich er ihn ganz clever auf „Tarzan“ an.   

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Moscheen gehören zum Stadtbild in der Inselmetropole

Moscheen und Museen

Zahlreiche Baudenkmäler aus der Zeit der osmanischen Herrschaft erinnern den Urlauber vor allem in der Inselhauptstadt ohnehin ständig daran, wie nahe Anatolien ist. Am Rande der antiken Agora mit ihren – übrigens vor Ort gut durch Tafeln erklärten – Altertümern erheben sich zwei alte Moscheen. Die eine wird jetzt teilweise von Souvenirgeschäften genutzt, die andere als Café. Da der Bau aber noch immer der islamischen Gemeinde gehört, darf in diesem Café kein Alkohol ausgeschenkt werden. An der Haupteinkaufsgasse der Altstadt, der nach dem antiken Schmiedegott benannten Odos Ifestou, prangen an einem Brunnen noch arabische Schriftzeichen, die bis zu Kemal Atatürks Reformen ja in der Türkei allgemein in Gebrauch waren. Und in einem ehemaligen kleinen Hamam direkt im heutigen Nightlife-Viertel wird jetzt allnächtlich zu Disko-Klängen getanzt.
Leider werden die antiken Relikte in der Stadt nicht so gut genutzt. Das Archäologische Museum ist schon seit Jahren wegen Renovierung geschlossen und wird wohl frühestens 2015/16 wiedereröffnet. Die einzigartige Casa Romana, eine sehr aufwändig restaurierte römische Villa mit Spuren von Wandmalereien, ist ständig geschlossen, der Zugang zu den römischen Zentralthermen gesperrt. Und im römischen Odeon, dessen Innengewölbe noch vor einigen Jahren eine interessante Ausstellung zum Thema „Antike Theater“ zeigte, ist die Tür zu dieser einzigartigen Sehenswürdigkeit fest verrammelt. Dafür hält man auf dem Gelände der größten und bedeutendsten archäologischen Stätte der Insel, dem Asklipieion, ein winziges neues Museum offen. Es zeigt ein paar Steine mit griechischen Inschriften, die kaum ein Urlauber lesen kann. Da ist es gar nicht einmal so schlimm, dass kaum ein Besucher des antiken Kurzentrums und Pilgerheiligtums für Heilgott Äskulap das Museum entdeckt. Es steht nämlich wohl versteckt abseits der Rundgangsroute; nur am Eingang macht ein unscheinbarer Wegweiser ausschließlich auf Griechisch darauf aufmerksam.  

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Für die Öffentlichkeit leider gesperrt - die Casa Romana

Alte Windmühlen

Erfreulicherweise gibt es aber auf Kos wie in so vielen anderen Regionen Griechenlands private Enthusiasten, die ihren Privatmuseen viel Kraft, Zeit und auch Geld opfern. Im Binnendorf Antimachia zeigt ein örtlicher Kulturverein weiterhin in liebevoll nachgestalteten Räumen, wie einfach eine koische Bauernfamilie noch vor 60 Jahren lebte. Gleich gegenüber hat ein privater Liebhaber eine der vielen alten Windmühlen der Insel wieder funktionsfähig gemacht. Täglich werden die Leinentücher ausgerollt, dreht sich das Mühlrad und mahlt – wenn auch nur zur Schau – Mehl. Im lange menschenleeren Dorf Agios Dimitrios zwischen dem Bergdorf Zia und dem Asklipieion wurden einige der verfallenden Häuser wieder hergerichtet. Eins dient jetzt als Kafeneion in absolut stiller Lage, ein anderes hat gerade als Museum seine schmale Tür geöffnet. Am meisten Privatinitiative hat eine Lehrerfamilie in der Wildnis zwischen dem Flughafen und dem Elektrizitätswerk der Insel bewiesen. Sie hat abseits einer gut befahrbaren Staubpiste Brachland zu „Hippocrates Garden“ erhoben und darin ein kleines Freilichtmuseum errichtet. Man hat ein zweigeschossiges Haus errichtet, das zeigen soll, wie wohlhabende Griechen in der Antike lebten, ein kleines Theater und eine Philosophenarkade errichtet. Im Winter kommen Schulklassen, im Sommer bisher nur ganz vereinzelt Touristen. Ihnen kredenzt ein Mitglied der Gründerfamilie am Ende des Rundgangs – ganz Hippokrates gemäß – einen frisch gebrühten Kräutertee auf schattiger Terrasse.  

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Traditional Haus in Antimachia auf Kos

Neues und Altbewährtes

Ansonsten gibt es aus Kos nur wenig Neues zu vermelden. Zum natürlichen Thermalschwimmbecken im Meer, der Embros Therme, kann man jetzt auch mit dem Esel hinunter reiten und auch Gelegenheitsreiter finden immer mehr Reitställe vor allem in der Region zwischen Tigaki und Marmari. Entlang der über 16 Kilometer langen Sandstrände im Osten der Südküste ist im Mai 2011 mit dem „Blue Lagoon Village“ ein erstes luxuriöses Großhotel in der bis dahin unberührten Natur entstanden, in der Kambos-Ebene unterhalb von Kefalos ganz im Osten durfte nach 15-jährigem Baustopp in diesem Winter mit dem „Royal Bay“ ein angenehm in die Umgebung eingepasstes Strandhotel direkt über den Ausgrabungen einer antiken Hafensiedlung fertig gestellt werden. Was die Archäologen auf dem Bauplatz fanden, ist jetzt teilweise im Hotel zu sehen  Die Krise war in beiden Fällen wohl der Motor bei der Genehmigung der Neubauten, die früher wohl an den Einsprüchen von Archäologen und Umweltschützern gescheitert wären.  
Die meisten alten Vorzüge der Insel blieben erfreulicherweise erhalten. Kos besitzt insbesondere in der Umgebung der Inselhauptstadt noch immer das beste Radwegenetz aller griechischen Inseln und trotz Massentourismus noch immer viele lange, meist menschenleere Sandstrände. Die Wassersportangebote wurden sogar noch ausgebaut, Kite-Surfen ist jetzt auch gleich östlich der Inselmetropole in Psalidi und wie bisher auch bei Kefalos möglich. Die koischen Restaurants und Tavernen haben ihr allgemein hohes Niveau bewahrt, selbst im Touristenort Kardamena ist jetzt mit dem „O Daskalos“ wieder ein Kafeneion ganz traditioneller Art zu finden. Geblieben ist auch das breite Angebot an Tagesausflügen per Boot. Sie führen hinüber zur Vulkaninsel Nissyros, zur Schwammtaucherinsel Kalymnos und zum Strandparadies auf dem Inselzwerg Pserimos – und natürlich auch hinüber ins türkische Bodrum, das antike Halikarnassos. Da kann man nicht nur nachschauen, wo einst mit dem Mausoleum eins der sieben Weltwunder der Antike stand, sondern auch ganz aus der Nähe entscheiden, wo man lieber Urlaub macht: In den riesigen, ungeheuer gleichförmigen und von Großinvestoren finanzierten Urbanisationen der türkischen Küste oder im von vielen einzelnen Griechen wie Du und Ich geschaffenen liebenswerten Chaos hellenischer Küstenorte.

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Sandstrände und niedrige Dünen sind häufig auf Kos

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Überall in der Landschaft verstreut: weiß-blaue Kapellen


Text und Fotos von Klaus Bötig

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