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„Ich verliere den Blick hinab in die Kalamitsi-Bucht“

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„Ich verliere den Blick hinab in die Kalamitsi-Bucht“

Auf den Spuren von Patrick Leigh Fermor durch das bitterschöne Land der Manioten, Teil 2

Patrick Leigh Fermor (1915-2011) wanderte in den 1930er Jahren Fuß quer durch Europa. Während des II. Weltkrieges entführte er einen deutschen General auf Kreta. Lage Jahre lebte er später in seinem Haus in der südgriechischen Mani. Ein Bericht über eine Begegnung im kargen Süden der Peloponnes.

Jetzt tönt aus dem Haus mit dem blauen Portal gerade ein Staubsauger. Ein Fenster steht auf, die blauen Fensterläden sind geöffnet. Ich bin aufgeregt. Mein Herz schlägt spürbar. Meine Hände sind feucht. Das Haus scheint bewohnt. Ob er wohl da ist? Schon meine Ankunft in Kardamili hatte diese Frage überschattet. Eine Ankunft, die deutlich profaner ausfiel als die von Leigh Fermor zu Beginn der 1950er Jahre; glaubte dieser in dem kleinen Ort damals doch, das alte Byzanz wiederzuentdecken.

Kardamili – ein Hauch von Byzanz

Als ich in Kardamili ankomme, hat die örtliche Schülermannschaft gerade Fußballtraining. Am Rand des grauen Schotterplatzes sitzen neun kleine Fußballer unter drei hohen Eukalyptusbäumen und lauschen gebannt ihrem wild gestikulierenden Trainer. An der neuen Dorfkirche vorbei erreiche ich die Hauptstraße. Kardamili ist heute ein touristisch längst entdecktes Strand-Straßendorf mit großen steinernen Häusern und einer Industrieruine. Unschlüssig stapfe ich die Dorfstraße ab, vorbei an der Bäckerei mit dem Kieselsteinboden, der wunderschön gelb leuchtenden Post sowie einigen Bars und Kafenia mit dem gegenwärtig angesagten Lounge-Mobiliar. Ein wenig enttäuscht biege ich nach rechts zum Strand hin ab und stoße unverhofft auf ein großes „Domatio“-Schild. Gegenüber dem Schild macht sich ein altes Mütterchen im Garten zu schaffen. Ich frage sie nach einer Übernachtungsgelegenheit. Sie bedauert, mir keine bieten zu können, sichert mir aber zu, telefonisch eine jüngere Frau herbeizurufen. Und tatsächlich. Nach fünf Minuten holt mich eine unwesentlich jüngere Frau ab. Sie führt mich quer durch einen Oliven- und Orangengarten zu ihrem Haus. Schnell werden wir uns einig. Das Zimmer ist so, wie Zimmer in Griechenland sind: zweckmäßig, weiß gekalkt, fast sauber. Gleich nachdem die Übernachtungsmodalitäten mit ihr geklärt sind, sie mir Frappé, Ostergebäck und Orangen gebracht hat, spreche ich Stella, so war ihr Name, auf Leigh Fermor an: Ob Michalis vor Ort sei, frage ich, indem ich Leigh Fermors griechischen Namen verwende. Michalis? Na klar, sei der da. Der wohne gar nicht weit von hier. Ob sie ihn anrufen solle, fragt sie dann noch und macht sich sogleich in Richtung Telefon auf. Ein großer Schriftsteller sei Michalis, murmelt sie dann noch, kaum verständlich, auf dem Weg ins Haus. „Ochi, Ochi“, verneine ich zügig, Michalis sei wirklich ein großer Schriftsteller und ich wolle ihn nicht stören. Nur, wo das Haus denn läge, das würde mich dann doch interessieren. „Hmmh“, sagt sie, das sei nicht ganz einfach. Von der Straße aus könne man das auch gar nicht sehen, aber es sei zu Fuß nur einige Minuten. Dabei zeigt sie in Richtung Süden. 

171207 Teil 2 Abb. 5 Wehrhafte Wohntürme in Vathia

Wehrhafte Wohntürme in Vathia

171207 Teil 2 Abb. 6 Gemüsehändler in der Inneren Mani

Gemüsehändler in der Inneren Mani

Staubige Landstraße als Universität des Lebens

Doch wer ist dieser Patrick Leigh Fermor eigentlich? Der Mann, auf dessen Spuren ich durch diese archaische Peloponnes-Landschaft wandere und dem zu begegnen ich träume? Obwohl in England ein Kultautor und in Griechenland ein Kriegsheld ist Patrick Leigh Fermor im deutschsprachigen Raum nach wie vor weitgehend unbekannt. Dabei lässt sich die Lebensgeschichte dieses großen Reiseschriftstellers als Aneinanderreihung einiger unterhaltsamer Anekdoten erzählen. Seine Berühmtheit verdankt Patrick Leigh Fermor vor allem drei Episoden seines Lebens:

Da ist zunächst seine große Fußwanderung, die ihn in den 1930er Jahren quer durch Europa von Rotterdam nach Konstantinopel führte. Knall auf Fall brach er als 18-Jähriger sein früh ramponiertes Dasein als Sprössling einer etablierten Geologen-Familie und gefeuerter Eliteschüler hinter sich lassend von London aus auf, um zu Fuß quer durch Europa nach Konstantinopel zu gehen. All das nur, weil er Robert Byrons Buch über Griechenlands Heiligen Berg Athos gelesen hatte und nun das byzantinische Griechenland kennen lernen wollte. Seine Wanderschaft führte ihn zu Fuß, per Schiff und auf einem geliehenen Pferd durch verschneite Städte, grüne Wiesen und wilde Wälder. Er besuchte Bälle, Kaffeehäuser und urige Spelunken, übernachtete in Heustadln, auf Schlössern, schwamm nackt durch einen Fluss und verliebte sich schließlich in eine moldawische Prinzessin. Diese einjährige Wanderschaft, über die er Jahrzehnte später in den Reiseberichten „Zeit der Gaben“, „Zwischen Wäldern und Wasser“ und „Die unterbrochene Reise“ erzählt, wird ihm zur Schule des Lebens. In einem Interview sagte er später einmal: „Ich habe nicht die Universität besucht, ich bin stattdessen auf Reisen gegangen.“ Und ein Forschungsreisender geworden. Lebenslang.

Da ist zum Zweiten die Entführung des deutschen Oberbefehlshabers der Insel Kreta, an der Leigh Fermor im Alter von gerade einmal 25 Jahren als Verbindungsoffizier der englischen Armee im Zweiten Weltkrieg maßgeblich beteiligt war. Knapp zwei Jahre lang lebte Leigh Fermor damals als Ziegenhirte getarnt unter Bauern und Partisanen hoch oben in den kretischen Bergen.

Und da ist zum Dritten seine Freundschaft zu Bruce Chatwin, der ihn, den älteren, so sehr verehrte und bewunderte, dass er sich zum Ende seines Lebens – Chatwin starb schon 49-jährig an Aids – wünschte, seine Asche möge in der Nähe von Leigh Fermors Haus verstreut werden. 

171207 Teil 2 Abb. 7 Überall uralte Kirchen

Eine von vielen uralten Kirchen

Romantisches Landhaus in Strandnähe

Am nächsten Morgen stapfe ich – noch ein wenig schlaftrunken – auf der Asphaltstraße nach Süden aus dem Dorf heraus. Hätte ich mich von meiner Vermieterin telefonisch bei ihm anmelden lassen sollen? Zumindest hätte ich dann schon mal gewusst, dass er auch wirklich da ist. Nach einigen Gehminuten öffnet sich mein Blick auf die Kalamitsi-Bucht mit ihrem sanft ansteigenden Hinterland. Unterhalb eines Sammelsuriums an neuen Häusern verläuft rechts ein alter Fußweg. Unschlüssig folge ich dem Pfad. Ich bin unsicher, ob ich gerade in Privatgelände eindringe. Dann stehe ich vor einem schlichten Portal und bin mir sicher, sein Haus gefunden zu haben. Dezent hineingeduckt in eine toskanische Parklandschaft liegt es ein wenig versteckt inmitten eines Olivenhains direkt über dem Meer. Gut zehn Jahre habe ich davon geträumt, an der Pforte dieses legendären Hauses zu stehen; mir ausgemalt, wie es wohl sein würde, ihm – dem heute fast Hundertjährigen – zu begegnen. Nun bin ich da. Während ich im Schatten der Steinmauer ausruhe und auf die blau gestrichene Pforte des Landhauses blicke, tönt aus dem Inneren des Hauses noch immer ein Staubsauger. Ich könnte jetzt einfach klopfen und abwarten, was passiert. Doch mir kommen Zweifel. Darf ich das? Einen 94-Jährigen einfach so stören? Zudem frage ich mich, in welcher Verfassung ich Leigh Fermor antreffe. Er soll mittlerweile weder gut hören, noch gut sehen. Zumindest auf letzteres deuten auch die neongelben Markierungen auf den Stufen inmitten der Kieselmosaikböden hin, die ich durch die offenstehende Türe erspähe. Unschlüssig schleiche ich um das Anwesen. Die in den 1960er Jahren noch unberührte Bucht ist heute verbaut. Etliche Häuser säumen den Gegenhang, eine Fahrstraße führt oberhalb des Hauses nach Stoupa. Wie romantisch muss es hier wohl gewesen sein, als noch keine Straße diese Idylle erschloss? Der Fußweg zum unterhalb des Hauses gelegenen Strand ist noch knietief in Morast getaucht. Gerne hätte ich auch vom Strand aus einen Blick auf das Haus erhascht. Doch das wird heute nichts. (Abb. 8) Unterhalb des Gartens mache ich eine erneute Pause. Mich verlässt zunehmend der Mut, an Leigh Fermors Tür zu klopfen. Was, wenn er sich belästigt fühlt? Oder gar kein Interesse daran hat, mit mir zu sprechen? Durch den Grünschimmer der Olivenbäume blicke ich über Haus hinweg auf die dahinterliegenden Taygetos-Berge. Vor meinem inneren Auge tauchen noch einmal die Bilder der vergangenen Wandertage auf: Bilder von einsamen Wanderungen zwischen uralten Bergdörfern und kriegerischen Piratennestern, Bilder von tiefen Schluchten und schneebedeckten Bergen, von wehrhaften Turmhäusern und mit Fresken kunstvoll ausgemalten Kapellen. Im Unwegsamen, Entlegenen, ja in der Weltabgeschiedenheit dieses Landstrichs fühle ich mich Patrick Leigh Fermor besonders nahe. Hier, im Reichtum der maniotischen Kulturlandschaft meine ich jenes Griechenland zu entdecken, das der „Homme à pied“ Leigh Fermor in all seinen Büchern so dicht beschreibt. Sein Griechenland. In der Landschaft begegne ich damit unweigerlich auch ihm. Vielleicht sogar intensiver als in einem persönlichen Gespräch?

Das Staubsauger-Geräusch aus dem Inneren des Hauses reißt mich aus meinen Erinnerungen. Ich bin erleichtert. Spontan schultere ich meinen Rucksack und verlasse das Fermor‘sche Anwesen. Ich steige nach Proastio auf. Ein verschlungener Pfad führt mich steil den Hang hinauf. Immer wieder blicke ich zurück auf sein Haus. Einmal rührt sich was. Ein schwarzer Wagen fährt vor. Aber ich bin längst zu weit entfernt, um erkennen zu können, ob er es sein könnte. Dann biegt der Fußweg nach rechts ab, und ich verliere den Blick hinab in die Kalamitsi-Bucht.

171207 Teil 2 Abb. 9 Landhaus in Strandnähe Fermors Anwesen

Landhaus in Strandnähe - Fermors Anwesen

Text und Fotos von Christian Peters

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