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Mit „Kehrchen" nach Griechenland (Teil 1)

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Foto (© Werner Sürgers) Foto (© Werner Sürgers)

Eine höchst ungewöhnliche Reise vom Norden bis an die Küsten der Ägäis trat in den 1980er Jahren eine Maschine an. Genauer gesagt: eine Kehrmaschine. Wer hätte gedacht, dass diese deutsche Kehrmaschine einem Kandidaten bei einer Bürgermeisterwahl in Griechenland zum Wahlsieg verhelfen könnte? Werner Sürgers staunte jedenfalls nicht schlecht, als ihn damals der Zweite Bürgermeister von Langada fragte, ob er nicht eine Kehrmaschine für ihn auftreiben könnte. Sürgers setzte alle Hebel in Bewegung und Ostern 1981 war es soweit: Die Reise des „Kehrchens“ begann …

Ohne Christina, die Sorge eines griechischen Vaters, reichlich Ouzo und drohenden Gemeinderatswahlen wäre nichts gelaufen, auch Kehrchen nicht. Aber der Reihe nach: 1979 hatte ich für 32 Kinder der Deutschen Schule Thessaloniki in meiner Heimatstadt am Niederrhein Quartier gemacht. Verwandte, Freunde und Bekannte waren gern bereit, die griechischen Kinder im Sommer 1980 für drei Wochen aufzunehmen. Meine Freunde Hermann („Manes”) und Gerda fühlten sich mit ihrem Sieben-Personen-Haushalt nicht ausgelastet und suchten sich Christina aus, die Tochter von Jorgos, dem Zweiten Bürgermeister eines Dorfes bei Langada, einer Kleinstadt bei Thessaloniki, wo Gemeinderatswahlen bevorstanden. Als die Kinder dann in Kevelaer waren, gab es ein buntes Spiel- und Ausflugsprogramm neben fast täglichem (kurzem) Unterricht, und Christina hatte wohl nicht viel Zeit, um ihre Eltern oft und lange anzurufen. Vater Jorgos machte sich besorgt auf den Weg und landete beruhigt bei mir zu Hause. Bei einem abendlichen Essen beim Griechen mit mehreren Gasteltern erzählte Jorgos ganz begeistert, er habe eine tolle Maschine in der Stadt gesehen, die die Straßen „taka-taka” sauber gefegt habe. So etwas in seinem Dorf – und die Wahlen wären gewonnen! Aber wie konnte man so eine Maschine finden, preiswert kaufen und dann auch noch nach Griechenland bringen? Bei viel Ouzo wurde zuerst lange und lustig gesponnen, dann geplant und am Ende beschlossen: Wir besorgen irgendwie und irgendwo eine preiswerte Gebrauchte und bringen sie rechtzeitig vor den Wahlen nach Griechenland.

Man wurde fündig in der Eifel

Manes hatte als Mercedes-Mitarbeiter seine Beziehungen, aber es dauerte über ein halbes Jahr, bis er fündig wurde. Er fand Kehrchen in der Eifel, wo sie nach zehn Jahren Dienst versteigert wurde. Ein Berufskraftfahrer war schnell gefunden: ein Mercedes-Freund von Manes, Detlef (Det) aus Xanten. Manes war Beifahrer und Mechaniker, und da die Fahrerbank breit genug war, durfte ich auch mitfahren. Einen Beifahrer gab es schon, deshalb wurde ich zum „Bye-bye-Fahrer mit Fensterplatz“ ernannt, dessen Aufgabe es war, beim Abschied unseren Familien und Freunden heftig, netten Fahrerinnen und Fahrern freundlich und eventuell überholten Fahrzeugen tröstend zuzuwinken, das Reise-Tagebuch zu führen und besonders die Fahrzeuge zu notieren, die man bei einer Höchstgeschwindigkeit von 57 km/h überholen würde. Dr. Nikos G., unser aller griechischer Hausarzt, konnte nur durch überzeugende Argumente seiner griechischen Ehefrau davon abgehalten werden, mir meinen Platz streitig zu machen. Sein Hauptargument, er könne ihrem Bruder doch die Kübelchen mit Grünpflanzen nach Saloniki bringen, entkräftete sie mit meiner Bereitschaft, das für ihre Familie zu tun – er werde doch wohl in der Praxis gebraucht.
Um Urlaubstage zu sparen, beschlossen wir, über Ostern zu fahren. Am Dienstag waren wir dann alle vier (wir drei und Kehrchen) bereit für die große Fahrt – nur noch zum Doktor und die Pflanzen einladen – dachten wir.

Abschiedsküsse von Nikos und Eleni

Und dort bereute ich dann meine Bereitschaft etwas, denn vor dem Haus stand ein Gabelstapler, und das Gartentor war weit offen. Nikos startete den Stapler, fuhr in den Garten und mit der ersten Grünpflanze heraus: zwei Meter hoch, fast so breit – ungelogen! Während wir fassungslos dastanden, fuhr Nikos noch fünfmal hin und her, und schließlich war der nicht kleine Bauch von Kehrchen picke-packe voll, und wir hatten gerade noch Platz für unsere Reisetaschen – Koffer hätten nicht gepasst. Die Abschiedsküsschen von Nikos und Eleni dienten wohl der Wiedergutmachung, und die Telefonnummer des Bruders stand groß auf dem letzten Kübel. Ein Foto zum Abschied. Det schaut genauso trocken, wie er auch dachte und sprach, Manes fröhlich und locker, und ich reibe mir schon die Hände. Familien und Freunde waren gekommen, um uns zu verabschieden. Dann zu dritt auf die Bank! Bei der Abfahrt machte ich meiner Aufgabe als Bye-bye-Fahrer alle Ehre, wie mir meine Beifahrer versicherten. Als wir dann mit Tempo 50 in Richtung Autobahn fuhren und Det uns gerade erklärt hatte, er könne nicht 2.300 km mit Vollgas fahren, fiel mir aus der Fahrschule ein, dass die Mindestgeschwindigkeit auf Autobahnen 60 km/h war. Ich: „Moment mal, Jungens! Dürfen wir überhaupt mit unserer
Höchstgeschwindigkeit auf der Autobahn fahren? Müssen wir nicht Landstraßen nehmen? Was machen wir denn, wenn uns die Autobahnpolizei anhält?" Det: „Dann tun wir so, als wollten wir die Autobahn kehren." Wir wieherten bis Frankfurt immer wieder, als wir uns das so vorstellten, und malten das noch weiter aus. Wir machten so alle drei Stunden eine tabakfreie Pinkelpause, auch um Kehrchen, die sonst mit 10 km/h die Straßen kehrte, ein Päuschen zu gönnen.

Durchwinken am Zoll

Manes und ich dösten im Morgengrauen ein, aber Det hielt das Lenkrad noch fest in der Hand, als wir uns gegen 10 Uhr der österreichischen Grenze näherten. Wir waren erstaunt, dass man uns am Zoll nicht einfach durchwinkte, sondern auf dem Zollhof halten ließ. Wir mussten Kehrchen abschließen und im Büro die Sache klären. So einfach war es aber nicht. Und ohne TIR gehe das Überführen schon überhaupt nicht! Nach einer halben Stunde gaben die eigentlich netten Zollbeamten auf und brachten uns zu Zollrat Greininger. Wir erzählten ihm die ganze Vorgeschichte mit den Kindern, Vater Jorgo und seinen Wahlen. Die Sekretärin brachte Kaffee, Zwetschgenwasser für ihn und die Beifahrer und einen größeren Aschenbecher. Nach einer Stunde hatten wir unsere TIR-Papiere. Der Zollrat erkundigte sich nach unserer Route. Als er erfuhr, dass wir über Slowenien fahren wollten, rief er seinen Kollegen an der Grenze dort an und bereitete ihn auf uns vor. Ich glaube, er wäre am liebsten mit uns nach Griechenland gefahren. Er gab uns seine Karte, und wir mussten ihm versprechen, ihm später alles zu berichten. (Ich habe ihm dann später unser Reisetagebuch geschickt.)

 

Text und Fotos: Werner Sürgers

 

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