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Mit „Kehrchen" nach Griechenland (Teil 3)

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Foto (© Werner Sürgers) Foto (© Werner Sürgers)

Eine höchst ungewöhnliche Reise vom Norden bis an die Küsten der Ägäis trat in den 1980er Jahren eine Maschine an. Genauer gesagt: eine Kehrmaschine. Wer hätte gedacht, dass diese deutsche Kehrmaschine einem Kandidaten bei einer Bürgermeisterwahl in Griechenland zum Wahlsieg verhelfen könnte? Werner Sürgers staunte jedenfalls nicht schlecht, als ihn damals der Zweite Bürgermeister von Langada fragte, ob er nicht eine Kehrmaschine für ihn auftreiben könnte. Sürgers setzte alle Hebel in Bewegung und Ostern 1981 war es soweit: Die Reise des „Kehrchens“ begann …


Die Reisegruppe ist in der Zwischenzeit mit Kehrchen in Griechenland gelandet. Nun muss die neue Errungenschaft nur noch dem Gemeinderat präsentiert werden. Es versammeln sich also alle am Zollhof – und erleben bei den ersten Kehrversuchen eine gehörige Überraschung…

Kurz nach halb elf hielt ein ausgewachsener Bus auf der Paralia-Straße vor dem Zollhof. Jorgos stieg als erster mit Frau und Töchtern aus, es folgten der Bürgermeister mit Familie und dann die anderen Ratsmitglieder, die ebenfalls mit Familien, und alle im „Sonntagsstaat“: die Männer in Anzug mit Krawatte, die Frauen und Kinder herausgeputzt! Und da standen wir in unseren Put-Klamotten! Jorgos Tochter, Manes’ Feriengast Christina, küsste uns trotzdem ab und Jorgos stellte alle vor, viele Hände wurden geschüttelt, und dann fuhr Det Kehrchen in die Hofmitte und schaltete den Motor aus. Es gab viele Ohs und Ahs, viele „Kita!“s, und jeder wollte einmal auf der Fahrerbank sitzen: zuerst natürlich der 1. Bürgermeister mit Frau und Tochter, dann Jorgos mit Frau und zwei Töchtern, und es wurde knapp! Zum Glück hatte kein Ratsmitglied mehr als zwei Kinder (dabei). Wir waren fast durch, da rief Christina: „Det soll richtig fahren!“ (natürlich auf Deutsch). Det stieg ein, schaltete die Zündung an und ließ Jorgo einsteigen. Der Zollhof war groß genug für Kehrchens Wendekreis, und so kreiste Det mit Jorgo einige Male auf dem Platz, dann auch mit dem Bürgermeister. Bis dahin hatten wir alles im Griff, aber Jorgos stoppte Det bei der nächsten Runde und sagte zu ihm: „Ist Kärrmassine – soll kärren!“ Er rief das auch seiner Truppe auf Griechisch zu, und die klatschten vor Vorfreude. Darauf waren wir nicht vorbereitet – ich sowieso nicht, aber auch meine Mechaniker standen etwas auf dem Schlauch. Sie konnten Kehrchen fahren und am Laufen halten, aber zum Kehren bringen – das war ein Problem! Sie konnten doch nicht zugeben, dass sie nicht kehren konnten – andererseits konnten sie jetzt nicht die dickbändige Bedienungsanleitung durchblättern, die irgendwo vorn liegen musste. Blamieren wollten sich meine Freunde auf keinen Fall! Was sollten wir tun?

An Blamage vorbeigeschrammt

Manes fand mit seinem technischen Gespür fast sofort nach nur wenigen Versuchen vorn an der Gangschaltung den richtigen Hebel für die Kehrrollen und sogar zwei Geschwindigkeitsstufen. Det stieg also wieder mit Jorgo ein und fuhr los. Er kehrte eine Runde, und es staubte ganz schön. Der Boden war knochentrocken mit Laub vom letzten Herbst, und die Truppe bekam einiges ab. Kehrchen hatte einen schönen sauberen Kreis in den Hof gemalt. Aber Jorgos war noch nicht zufrieden, denn bei seiner ersten Begegnung mit einer Kehrmaschine hatte diese nicht gestaubt. Det hielt an, und wir erklärten Jorgo, dass Kehrchen deshalb einen Wassertank habe, der Staub verhindere. Sofort machte Jorgos sich auf, um im Zollgebäude nach einem Wasseranschluss zu suchen. Es gab Wasserhähne, aber keinen Schlauch – zu unserem Glück! Wir kannten zwar den vorher verplombten Einfüllstutzen, aber Manes wusste nicht, wie die Wasserzufuhr zu regeln war. Mit Wasser war also nichts zu machen. Die Männer standen zusammen, gestikulierten, und dann kam Jorgos zu uns und sagte: „Nix Wassa, mach nix! Bitta kärren!“ Trotz allem waren wir irgendwie erleichtert, knapp an einer Blamage vorbeigeschrammt zu sein, und Det stieg mit dem Bürgermeister als Nächstem ein. Nach zwei Runden hatten sich die Räder schon tiefer in den Hofboden gegraben, nach der Hälfte der Ratsmitglieder hatte Kehrchen den Kreis fast 20 Zentimeter tief gekehrt. Die Staubwolken waren so hoch wie die Bäume an der Straße, alle Zollbeamten standen an Fenstern und in Türen, und auf der Uferstraße hupte und quietschte es wie verrückt.

Einladung zum Fest

Ich rannte auf die Straße und konnte in einer riesigen Staubwolke gerade noch zwei Busse erkennen, die mit eingeschaltetem Fernlicht mitten auf der Uferstraße standen – von den zig Autos darunter waren nur noch Schatten zu sehen. Vom Hafen klangen Sirenen von Polizei und Feuerwehr, die schnell näher kamen. Da hörte ich einen vielstimmigen Schrei! Ich rannte in Panik zurück auf den Hof und sah die ganze Truppe um Kehrchen herum stehen. Sie stand fast einen halben Meter tief in dem Graben, den ihre Räder in den Hof gefräst hatten. Alle drängten sich hinten an Kehrchen heran, und alle zeigten auf etwas glänzend Schwarzes: Ein Pflaster aus Basalt war zu sehen! Jorgos rannte ins Gebäude und kam mit dem Zolldirektor zurück. Dieser schaute sich das Pflaster genau an, sagte etwas zu Jorgos und ging dann schnell zurück zu seinem Büro. Jorgos zeigte mir „Später!“ Während das freigelegte Pflaster sauber in der Sonne glänzte, sah es mit der Truppe anders aus. Da war nichts Sonntägliches mehr zu sehen: Die weißen Hemden der Männer waren dunkel, die hellen Sommerkleider der Frauen und Mädchen genauso schmutzig wie alle Gesichter. Wir brauchten jetzt alle dringend mindestens eine lange Dusche, aber fröhlich waren wir alle. Jorgos erinnerte uns an das abendliche Fest im Gemeindehaus, wo Kehrchens Ankunft gefeiert werden sollte. Er habe ein befreundetes Taxi aus Thessaloniki für uns bestellt, das uns um 19 Uhr am Hotel abholen würde. Während der fast einstündigen Fahrt am Abend erzählte der Taxifahrer, der regelmäßig den Polizeifunk abhörte, der Stau auf der Uferstraße sei durch Erdarbeiten und große Staubentwicklung ausgelöst worden. Ich erzählte ihm dann, was wirklich geschehen war, und wir hatten zusammen viel Spaß. Er lud uns am Gemeindehaus ab und wollte schon zurückfahren, aber Jorgos lud ihn zum Fest ein. Er solle mit ihnen feiern und uns in der Nacht zum Hotel bringen. Also ging Jannis mit uns in den Garten.

Kehrchen wurde hochgelebt …

Der gesamte Gemeinderat war mit Gattinnen da, alle wieder in Sonntagskleidung – außer uns. Aber daran war ja Dr. Nikos mit seinen Pflanzen Schuld, dass wir außer Wechselwäsche nichts mitnehmen konnten. Wir saßen zuerst im Garten, mischten unsere Ouzos mit Wasser und mussten natürlich bei den Vorspeisen zugreifen. Zwei der Ratsmitglieder sprachen nicht schlecht Deutsch und setzten sich zu Manes und Det, während ich mich zum Bürgermeister und seinem Kreis setzen und erzählen musste. Manchmal musste Jorgos mit Übersetzung helfen, da mein griechischer Wortschatz bei Weitem nicht ausreichte. Vor dem Essen hielten der Bürgermeister und Jorgos noch kurze Reden: wie sehr man sich über und auf Kehrchen freue und hoffe, damit bei den unmittelbar bevorstehenden Gemeindewahlen zu punkten. Die Maschine habe sich ja schon ausgezeichnet, wie wir alle gesehen hätten. Der Zolldirektor sei stark beeindruckt gewesen und werde am Montag gleich das Tiefbauamt und die Archäologische Kontrollstelle anrufen, denn das Zollgebäude mit Hof sei über einhundert Jahre alt und damit für Salonikis neuere Archäologie interessant. Auf jeden Fall müssten Mitarbeiter der Kontrollstelle kommen und das Pflaster begutachten. Kehrchen wurde hochgelebt, Jorgos und wir ebenfalls – einen schöneren Abschluss konnte es nicht geben.

Text: Werner Sürgers

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