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Vom Goúri, vom Flourí und vom Neid der Götter

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Foto (© Eurokinissi) Foto (© Eurokinissi)

Ein 24-Stunden-Parkhaus mitten im Zentrum von Athen, das täglich Hunderte von Autos frequentieren, hat an den Betonflächen seiner Einfahrt einen besonderen Schmuck: Bündel von Knoblauch. Mag sein, dass sich der nächtlich einsam das Tiefgebäude hütende Wächter vor den Vrikólakes fürchtet, den keine Ruhe findenden Geistern der Toten oder Vampiren. Es gibt kaum ein Taxi, kaum einen Bus in Griechenland, dessen Armaturenbord und Windschutzscheibe nicht mit Amuletten, Kreuzen, Heiligenbildchen geradezu gespickt sind.


Und die Fahrer verstärken diese gesammelte Abwehr des Bösen, indem sie sich bekreuzigen, sobald sie einmal Zeugen einer fremden Karambolage werden. Auch das Klopfen auf Holz ist weit verbreitet, und solch magische Bannung drohenden Unheils wird uneingeschränkt für notwendig befunden. Möge man vor einer schlechten Veränderung jeder gegenwärtigen Lebenslage verschont bleiben, – wobei es schon hilft, wenn man sein eigenes Glück nicht so laut in den Mund nimmt! Die Furcht vor dem Neid der Götter, dem viele Figuren antiker Mythologie und Dichtung anheimgefallen sind, scheint als Lebensgefühl immer noch lebendig, auch wenn man ihr andere Namen gibt. Wo man nach äonenalter Sitte Opferspeisen für die Toten zubereitet und in manchen Gegenden immer noch für Charon, den Fährmann der Seelen, eine Münze ins Grab legt, da ist auch der Glaube an die Existenz des Bösen Blicks, des Kakó Máti, der ebenfalls direkt aus dem Altertum stammt, nur folgerichtig. Er schreibt manchen Leuten die bewusste oder unbewusste Eigenschaft zu, durch Blicke zu schaden. Das Übel kann durch Amulette abgewehrt werden, auf denen ein Auge abgebildet ist, und häufig hat man dieses magische Zeichen auf antiken Gegenständen ausgegraben, doch scheint es durchaus auch anderen orientalischen Kulturen geläufig: So fürchteten sich die Osmanen, denen ihre Religion Bilderverehrung verwehrt, vor den ausdrucksvollen Augen der byzantinischen Heiligen auf den Kirchenwänden, und wenn sie die Gesichter auf Malereien zerstörten, so geschah dies weniger aus Vandalismus denn aus Angst. Heute verbrämt man das Augenamulett als Schmuckstück, als Anhänger fürs Halskettchen oder Ziergegenstand fürs Heim, wo es dann dekorativ über dem Kamin hängt. Doch wenn es, wie so oft, dem Baby ans Kleidchen geheftet wird, und zwar auf Rücken oder Schulter, damit sich das Kind nicht an der Nadel verletzt, dann ist das Augenzeichen als Bannmittel gegen das Böse durchaus ernst gemeint. All die Unglücksabwender und Glücksbringer in dekorativer Verarbeitung sind unter der Bezeichnung Goúri jedem vertraut. Für sie hat sich in Griechenland ein ganzer Markt etabliert, der insbesondere um die Jahreswende Hochkonjunktur hat. Wer dann eine Geschenkhandlung betritt und ein Goúri verlangt, wird zu beachtlichen Sortimenten von Granatäpfeln aus Keramik, Silber oder farbigem Glas, kunstvoll umschnörkelten Augenmotiven oder Lebensschiffchen geführt, die dekorativ über filigrane Wellen segeln. Ob sie als kompakte Gegenstände daherkommen, als Bildmotive in Reliefform aufgehängt oder an Kettchen getragen werden können, – ihre Bedeutung ist allen Griechen verständlich: Es sind gleichsam materialisierte Segenswünsche und mithin tief symbolische Geschenke. Als erprobte Talismane haben sie eine lange Tradition im Volksglauben und gehen auf religiöse oder mythische Erfahrungen zurück. So belanglose Maskottchen wie Schornsteinfeger, rosa Schweinchen, vierblättrige Kleeblätter oder siebenfach gepunktete Marienkäfer sind hingegen absolut unbekannt. Ein wichtiges Goúri ist auch das Flourí, und das eine zieht oft das andere nach sich. Das Flourí – mit der Betonung auf der Endsilbe – ist eigentlich ein Goldstück (ein Florin), meint aber die meist schlichte Münze, die in der Vassilópitta versteckt ist und einem Mitglied der Tafelrunde, einem/r Glücklichen also, einem Goúrlis oder einer Gourlídissa, bei der zeremoniellen Verteilung des Neujahrskuchens zufällt. Der Pitta-Anschnitt prägt als private Sitte die Silvesternacht und den Neujahrstag und als öffentliche Zeremonie den gesamten Monat Januar. Wer das Flourí findet, erhält als zusätzlichen Preis oft noch ein dekoratives Goúri obendrein. Wenn dann die Götter nicht neidisch geworden sind, hält das Glück für das ganze Jahr.

Auszug aus dem GZ-Buch „Mein Blick auf Griechenland“ von Ursula Spindler Niros.

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