Griechenland entwickelt sich immer mehr zum regionalen Player für Energielieferungen. Über diese Drehscheibe soll US-Erdgas künftig in die Ukraine gelangen. Bei einem Besuch am Sonntag in Athen besprach der ukrainische Präsident Selenskyj mit dem hellenischen Premier Mitsotakis nicht nur Gaslieferungen, sondern auch Verteidigungskooperationen und einen Wiederaufbau seines Landes nach dem Krieg.
Griechenland schickt sich an, sich als Energiedrescheibe in der weiteren Region zu etablieren: Künftig soll von hier aus vor allem auch die Ukraine mit US-Erdgas versorgt werden. Eine entsprechende Vereinbarung wurde am Sonntag (16.11.) in Athen getroffen. Anlass war ein sechsstündiger Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Anwesend bei den Unterredungen war auch die US-Botschafterin in Athen Kimberly Guilfoyle.
„Stärkung der Energiesicherheit Europas“
Premierminister Kyriakos Mitsotakis forderte vor diesem Hintergrund einen sofortigen Waffenstillstand, der zu Beendigung des bereits mehre Jahre dauernden Krieges in der Ukraine führen müsse. Auf dem Gesprächstisch lag dabei auch der Wiederaufbau der Ukraine nach Beendigung des Krieges; auch Griechenland will sich daran beteiligen. Besonderes Interesse zeigt Hellas an Odessa, einer wichtigen und traditionsreichen Hafenstadt am Schwarzen Meer, wo nach wie vor eine griechische Minderheit ansässig ist.
Transportiert werden soll US-amerikanisches Erdgas über die sogenannte „Route 1“ bzw. den „Vertikalen Gaskorridor“. Dabei wird verflüssigtes US-Erdgas zunächst nach Griechenland gebracht. Als Anlaufpunkt wird etwa der nordgriechische Hafen von Alexandroupolis genutzt. Nach der Regasifizierung wird ein Teil der Gesamtmenge in Griechenland verwendet, der größere Teil gelangt aber über die Trans-Balkan-Pipeline in andere Länder: nach Bulgarien, Rumänien, Moldau und in die Ukraine. Erklärtes Ziel ist es, die Gasvorräte der Ukraine für den Winter zu sichern und Europa von russischem Gas unabhängig zu machen. Seitens der griechischen Gasversorgers DEPA war die Rede sowohl von einem „wichtigen Beitrag zur regionalen Energiezusammenarbeit und Integration des Marktes in einer kritischen Phase“, als auch von einer „Stärkung der Energiesicherheit Europas“. Die erst kürzlich in Athen akkreditierte US-Botschafterin Guilfoyle, die dem US-Präsidenten Donald Trump privat nahesteht, stellte fest, dass „Energiesicherheit auch nationale Sicherheit“ sei.
„Ein verlässlicher Verbündeter“
Begrüßt wurde Selenskyj bei seiner Ankunft auf dem Athener Flughafen Eleftherios Venizelos vom stellvertretender Regierungschef Kostis Chatzidakis. Dieser stellte fest, dass der „Besuch von Selenskyj die geostrategische Position Griechenlands weiter stärkt“.
Im Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten betonte Premierminister Mitsotakis, dass des Land in Griechenland „einen verlässlichen Verbündeten“ habe. Er fügte hinzu: „Die Ukraine kämpft seit fast vier Jahren mutig für ihre Freiheit und gewinnt damit Bewunderung in ganz Europa – Griechenland steht weiterhin fest an Ihrer Seite.“ Dabei sprachen sich beide Staats- bzw. Regierungschefs für einen Waffenstillstand in der Ukraine aus. Außerdem wurde eine Verteidigungskooperation besprochen, im Mittelpunkt steht hier der maritime Bereich. Es handelt sich um den zweiten Besuch des ukrainischen Präsidenten in Griechenland; der erste erfolgte im August 2023. Während des Besuches wurden Demonstrationsverbote für das Athener Zentrum sowie für die Vororte Filothei und Chalandri verhängt. Vor allem an der U-Bahnstation Cholargos kam es zu starken Verkehrsbehinderungen. Parlamentspräsident Nikitas Kaklamanis fasst zusammen, dass es möglicherweise nicht zu einem Krieg in der Ukraine gekommen wäre, hätte der Westen im Jahr 1974 entschieden auf die Invasion der türkischen Armee auf der seither geteilten Insel Zypern reagiert.
Unterdessen fordert das Bündnis der Radikalen Linken SYRIZA eine bessere Information über die Absprachen bzw. Vereinbarungen, die während des Selenskyj-Besuches in Athen getroffen wurden. Konkret wurden zwei Fragen gestellt: „Was beinhalten die Vereinbarungen?“ und „Welche Kosten und Verpflichtungen kommen auf das Land zu?“ In einer SYRIZA-Mitteilung wurde zusammengefasst: „Die Demokratie funktioniert nicht über geheime Wege. Und genau das fordern wir von der Regierung.“ Man dürfe „das Land nicht erneut bloßstellen“. (Griechenland Zeitung / Elisa Hübel)