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Trizinia auf der Peloponnes: Traumhafte Landschaft, spannende Mythen und Archäologie

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Trizinia auf der Peloponnes: Traumhafte Landschaft, spannende Mythen und Archäologie

Gleich nach dem Isthmos von Korinth spreizt die mehrfingrige Landmasse der Peloponnes mit einer langen nach Osten sich erstreckenden Halbinsel gleichsam den „Daumen“ ab. Eine gut ausgebaute, hoch gelegene Küstenstraße führt dort durch ausgedehnte Kiefernwälder in den nördlichen Teil der Argolis.

Schon die Fahrt nach Trizina und in die Trizinía gewährt traumhafte Ausblicke auf sandige Buchten, felsige Eilande und kleine Küstenorte. Schließlich zeichnet sich zwischen Meer und Himmel die bergigen Silhouetten der Saronischen Inseln und des vulkanischen Kaps Methana ab. Auf seiner Festlandseite wird der Landfinger von dem steil aufragenden Aderés-Gebirge begrenzt. Dort schmiegt sich in eine Mulde zwischen zwei Schluchten das hübsche Dorf Trizina, das der gesamten Gegend – der „Trizinía“ – den Namen gibt.

Ein Tagesausflug mit dem Auto von Athen aus

Als Tagesausflug mit dem Auto von Athen aus ist die Gegend leicht zu erreichen, ebenso als Teilziel jeder Peloponnes-Reise. Unweit des berühmten antiken Theaters im Asklepios-Heiligtum von Epidauros führt die Straße an den malerischen Orten Neos und Archaios Epidauros vorbei, wohin sich jeweils ein Abstecher lohnt. Ersterer liegt, ein unberührtes Dorf mit engen Sträßchen, landeinwärts unter einer halb verfallenen byzantinischen Burg, letzterer ist ein Küstenort mit vielen Lokalen, im Halbrund um eine zauberhafte Bucht gebreitet, die auf einer grünen Halbinsel antike Reste birgt, darunter ein kleines Theater, wo im Sommer Aufführungen stattfinden. Reizvoll ist auch der Seeweg in die Trizinía über die Insel Poros, die mit den Linienschiffen auf der High-Speed-Route Piräus-Ägina-Hydra schnell erreicht ist. Ein reger Bootstransfer über die Distanz einer Flussbreite verbindet den Hafen von Poros mit dem Marktstädtchen Galatás auf der Festlandseite, von wo aus man mit einem Taxi zum Dorf Trizina nur zehn Minuten braucht.
 
Die Ausgrabungen des antiken Troizen

Mit einem umgrünten Platz gleich eingangs, blühenden Gärten und ein paar freundlichen Tavernen und Cafés im Umfeld einer stattlichen bunten Kuppelkirche empfängt das moderne Dorf Trizina die Ankommenden. Der Platz ist groß genug, dass Busse hier parken können, denn von nun an geht, wo ältere Bauernhäuser und engere Straßen vorherrschen, ein Weiterkommen nur noch mit Pkw oder zu Fuß. Eine Gabelung bildet die Dorfmitte, und hier weist ein großes Schild nach rechts zu den „Archaiótites“, den Ausgrabungen des antiken Troizen, für Mythologie-Kenner ein bedeutender Name: Hier wurde Theseus als Sohn der Königstochter Aithra von Troizen und des Königs Aigeus von Athen geboren; von hier zog er, ruhmreiche Heldentaten vollbringend, zu seinem Vater nach Athen. Nach weiteren heroischen Leistungen schließlich selbst König gilt Theseus als sagenhafter Gründer des mächtigen Stadtstaates Athen, als derjenige, der die Umlandsiedlungen zu einem gesamtstädtischen Verband, dem „Synoikismós“, zusammenschloss. Sein Vater Aigeus hatte die Mutter vor seiner Geburt verlassen müssen, um seinen Thron zu sichern. Bevor er aufbrach, ließ er unter einem Felsen Schwert und Riemenschuhe als Erkennungszeichen für den Sohn zurück, der, sobald er stark genug sei, den Steinblock zu heben, zu ihm nach Athen kommen solle …
Eine enge Union zwischen den Stadtstaaten Athen und Troizen ist tatsächlich historisch bewiesen. Wie Plutarch in seinem Bericht über den Athener Strategen Themistokles berichtet, nahmen die Troizener an den Schlachten von Salamis und Platäa als treue Bündnisgenossen mit „fünf Trieren“ und „1000 Bogenschützen“ teil und boten während der gesamten  Auseinandersetzungen mit den Persern ihr Gebiet als Zufluchtsstätte für die athenischen Frauen und Kinder an, wobei sie hohe Kosten nicht scheuten und den Kindern sogar Lehrer zur Verfügung stellten. Die enge Städtegemeinschaft zerbrach am Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. am zerstörerischen Machtanspruch Athens.

Die Ausläufer des berühmten „Zitronenwaldes“

Wer sich die Zeit nimmt, die drei Kilometer lange Strecke zu den Ausgrabungen von Trizina auf ebenem Sträßchen zu erwandern, wird reich belohnt. Über sanft abfallende Hänge mit Olivenbäumen und Zypressen gleitet der Blick auf die grüne Küstenebene und eine vom Methana-Kap gerahmte Meeresbucht, die in der Antike als geschützter Naturhafen gerühmt wurde. Auf der anderen Seite erheben sich, jenseits von Artischockenfeldern und Baumgärten, Felsenbastionen der Arderés-Berge, darunter der Sitz der einstigen Akropolis. Unaufhörlich durchwandert man Zitronenhaine, Ausläufer des berühmten „Zitronenwaldes“ westlich von Galatás. Zwei malerische Feldkirchlein, die sich antike Bauglieder angeeignet haben, bieten Gelegenheit zu kurzer Rast. Die Erde, über die man hier wandert, birgt in sich die zentralen Bauten des antiken Stadtstaats, die noch nicht ausgegraben sind: die Agora mit zwei Tempeln der Artemis und einem Tempel des Apollon, das als Heiligtum verehrte Grab des Stadtgründers Pittheus, Großvater des Theseus, sowie ein Musen-Heiligtum, ein Theater und eine große Halle (Stoa). Alle diese Bauten und insgesamt elf Tempel hat der antike Reiseschriftsteller Pausanias aufgezählt, der hier im 2. Jahrhundert n. Chr. vorbeikam. Seinen recht genauen Angaben zufolge hat in den 1930er Jahren der bekannte deutsche Archäologe Gabriel Welter eine Lokalisierung dieser Bauten versucht und einige wichtige heilige Plätze außerhalb der eigentlichen Stadt ausgegraben bzw. ihre Reste identifiziert. Zu diesen bereits erforschten antiken Stätten, einem Asklepios- und einem Aphrodite-Heiligtum mit Stadion sowie einem Tempel des Heros Hippolytos, sind wir auf unserer kleinen Wanderung unterwegs.

Die tragische Geschichte von Hippolytos und Phädra

Der mächtige Stein, unter dem König Aigeus seinem Sohn Schwert und Schuhwerk hinterließ, ist die erste „Sehenswürdigkeit“, die den heutigen Besuchern begegnet. Durch ein großes Schild als authentisch deklariert, markiert er eine Wegkreuzung: Links geht es zu einem mit seiner gemauerten Innentreppe noch gut erhaltenen zweigeschossigen Wachturm, Bestandteil der noch in Bruchstücken vorhandenen  hellenistischen Stadtummauerung, und an ihm vorbei zu einem romantischen Naturdenkmal, der so genannten „Teufelsbrücke“, über eine wilde Schlucht, deren Flüsschen die Wasserversorgung des antiken Troizen garantierte. Nach rechts führt der Weg zu den von Gabriel Welter ausgegrabenen Kultstätten vor der Kulisse der  eindrucksvollen Ruine einer byzantinischen Bischofskirche, der „Episkopí“ aus dem 12. Jahrhundert. In ihrem Fundament und Mauerwerk finden sich viele antike „Spolien“, denn die Kirchenbauer benutzten die antiken Monumente nebenan als „Steinbruch“. Sie setzten das aufgehende Mauerwerk ihrer Basilika genau auf die Fundamente des Aphrodite-Tempels, mit dem sich eine weitere, „sensationelle“, mythologische Story verbindet: die Geschichte von Hippolytos und Phädra. Sie bot von Euripides über Seneca und Racine bis Schiller und d’Annunzio dramatischen Tragödienstoff: Mit seiner Ehefrau Phädra besuchte Theseus seinen mit einer Amazone gezeugten Sohn Hippolytos, der in Troizen die Königsherrschaft innehatte. Phädra wurde von Leidenschaft zu dem schönen Jüngling erfasst, den sie vom Aphroditetempel aus beobachtete, wie er nackt im Stadion trainierte. (Das Stadion mit einer einseitigen Böschung wurde von Welter neben dem Aphrodite-Tempel identifiziert). Hippolytos wies Phädra zurück, und sie beging Selbstmord, schrieb jedoch zuvor einen Brief an ihren Gatten und beschuldigte den Stiefsohn der schamlosen Nachstellung. Theseus war ein Schützling des Poseidon und bat den Meeresgott, Hippolytos zu bestrafen. Als der Jüngling mit seinem Wagen am Strand entlangfuhr, scheuten die Pferde vor einem Seeungeheuer, und Hippolytos verunglückte tödlich. Das Ende der Geschichte existiert in zwei Fassungen: Hippolytos wurde begraben, und die Göttin Artemis forderte die Stadt Troizen auf, ihn in einem Heiligtum als Gott zu verehren: Das Fundament des Hippolytos-Tempels, eines großen Ringhallentempels mit sechs Mal elf Säulen, ist gut erhalten. Daneben wird berichtet, dass die Troizener den Heilgott Asklepios baten, den Jüngling wieder zu beleben, was dieser erfolgreich vollbrachte.

Troizina Hypolytos
 
Leib und Seele erfassende Therapiemethode

Die archäologischen Reste von Trizina verweisen geradezu beispielhaft auf feine Verknüpfungen von Mythologie und Wirklichkeit. Die zweite Version des Mythos stellt einen Bezug der Stadt Troizen zu dem Heilgott Asklepios her. Um ein heute zum Gießen der Felder verwendetes, einst als Heilquelle verehrtes Wasser entstand im ausgehenden 4. Jahrhundert v. Chr. ein recht bedeutendes Asklepios-Heiligtum, in dem vor allem Magenkranke kuriert wurden. Eingeleitet durch ein repräsentatives Propylon und umgeben von dem Tempel des Heilgottes, einem großen Altar, einem Lauf- und einem Schöpfbrunnen sowie Baderäumen diente ein großes trapezförmiges Zentralgebäude zur Behandlung der Heilung Suchenden: An einen Peristylhof, der von einer flachen, breiten Wasser führenden Rinne umschlossen war (Rinne und Säulenfundamente sind erhalten), lagen eine große Halle und zwei Einzelzimmer für den in jedem Asklepios-Heiligtum obligatorischen Heilschlaf. Der Gott heilte, unterstützt durch Opfer- und Reinigungsriten, Trinkkuren und manchmal sogar schon chirurgische Eingriffe vor allem durch sein Eingreifen im Traum – eine ganzheitliche, Leib und Seele erfassende Therapiemethode.
In den Rudimenten des einstigen Zentralgebäudes sind erstaunliche Einzelheiten der ursprünglichen Ausstattung zu entdecken: die marmornen Türschwellen, die starken Säulenbasen der Liegehalle, die steinernen Stützen der hölzernen Betten (Klinen) und der davor stehenden mit Marmorplatten gedeckten Tische sowie die quadratischen Kanten vertiefter Feuerstellen. Die relative Bedeutung des Troizener Heiligtums lässt sich auch daran ermessen, dass es frequentiert wurde, obwohl es sich in der Nachbarschaft des weit größeren Asklepios-Heiligtums von Epidauros befand. Dass man dort offenbar keineswegs erfreut über die Konkurrenz war, geht aus zwei Schrifttafeln hervor, die in Epidauros ausgegraben wurden. Es sind in Stein gemeißelte Verleumdungen mit Berichten von misslungenen Heilungen in Troizen, weil der Gott Asklepios sich lieber in Epidauros aufhalte und sich in Troizen durch die dilettantischen „Künste“ seiner Söhne vertreten lasse …
Der Archäologe Welter hat das einst heilende Wasser von Trizina chemisch analysieren lassen: Es enthält Minerale wie Magnesium-Bicarbonate und -Sulfate von abführender Wirkung, tatsächlich geeignet zur Behandlung mancher Magen-Darm-Krankheiten und mit seinem leichten Schwefelgehalt auch gegen Hautausschläge wirksam.

„Flügel“ für die Vorstellungskraft

Das Asklepios-Heiligtum von Troizen, zu Beginn des 3. Jahrhunderts v. Chr. vollendet, war nur wenige Jahrzehnte in Betrieb gewesen. Ein starkes Erdbeben, für das Jahr 250 v. Chr. mit Epizentrum in Methana dokumentiert, brachte es zum Einsturz, Reparaturarbeiten wurden archäologisch nicht festgestellt.
Die unberührte – und berührende – Art, wie die noch vorhandene antike Bausubstanz, begrenzt nur durch einen weitläufigen offenen Zaun, hier in die Natur gebettet ist, finden wir heutzutage immer seltener. Die Grundriss-Rudimente auf dem Erdboden und die in der Episkopí-Kirche verbauten schönen Bauteile bilden ein Puzzle aus vielfältigen Spuren eines zugleich funktionalen wie ehrfürchtigen Bauens, das unsere Vorstellungskraft beflügelt, auch weil sie sich in einer traumhaften Landschaft befinden, deren Morphologie sich in Äonen kaum verändert hat.
    
Text und Fotos: Ursula Spindler-Niros

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