Login RSS

Beobachtungen zur griechischen Lebensart, oder das Expresskassenphänomen

  • geschrieben von 
Beobachtungen zur griechischen Lebensart, oder das Expresskassenphänomen

Ein moderner Supermarkt in der Innenstadt von Athen. Kunden streben mit ihren Einkaufswagen den Kassen zu. Über einer Kasse hängt ein großes, unübersehbares Schild: Expresskasse, maximal 10 Artikel. Ein Kunde, den Wagen bis zur Belastungsgrenze gefüllt, geht gelassen auf diese Kasse zu und beginnt das Laufband zu beladen, direkt unter dem Schild. Er sieht nicht aus wie ein Analphabet. Die Kassiererin bleibt völlig ungerührt, der Marktleiter, der sich gerade mit dem Wachmann unterhält schaut ebenfalls als wäre dies ein ganz normaler Vorgang. Auch von den anderen Kunden in den Schlangen vor den normalen Kassen kommt keinerlei Reaktion.

Nun ja, will man denken, solche Typen gibt es auch bei uns, im durchorganisierten, gesetzestreuen Deutschland. Stimmt! Aber ein bisschen neidisch bin ich schon auf dieses Selbstbewusstsein und diesen sympathischen Hauch von Anarchie.

Expresskasse2

Weißt Du, sagt mein Freund Niko später, der große Unterschied zwischen euch und uns ist, dass hier keiner Respekt vor dem Staat und seinen Gesetzen hat, der Staat aber auch nichts unternimmt, sich diesen Respekt zu verdienen. Also denkt jeder zunächst an sich und seine Familie. Den Staat betrachten wir als natürlichen Feind. Glaub‘ bloß nicht, dass hier einer Platz macht, wenn Polizei, oder Rettungswagen mit Blaulicht und Sirene zu einem Einsatz fahren, aber es passiert einem auch nichts, höchstens dem, der auf Hilfe wartet, aber den kennt man ja nicht.

Abends gehen wir dann in ein schönes Restaurant mit hervorragender Küche. An den Nebentischen wird heftig geraucht. Mein direkter Nachbar schafft es sogar, gleichzeitig zu reden, eine dicke Zigarre zu rauchen und sich Riesenbrocken in den Mund zu schieben. Etwas irritiert frage ich meine griechischen Freunde, ob das Rauchverbot hier etwa nicht gelte. Doch natürlich, nur keiner hält sich daran. Wenn man sich beschwert, zuckt der Wirt nur hilflos mit den Schultern und sagt, dann musst du halt woanders hingehen, die Raucher sind schließlich gute Gäste. Und es kann passieren, dass auch Polizisten in Uniform reinkommen, Kaffee trinken und eine rauchen.

Die ersten 15 Jahre haben wir erst gar nicht versucht ein Auto in Griechenland zu kaufen. Man hat uns von allen Seiten abgeraten, dies sei ein bürokratischer Wahnsinn, völlig unmöglich. Fahrt lieber mit eurem deutschen Auto, auch wenn das nicht ganz legal ist. Bis wir letztes Jahr hörten es sei inzwischen ganz unkompliziert, ja fast so wie bei uns. Dadurch angespornt gingen wir im Frühjahr zu einem Autohaus und kauften einen gebrauchten Kleinwagen. Kosta, der Verkäufer, bestätigte ebenfalls, alles sei völlig problemlos, er würde den Wagen zulassen und schon morgen könnten wir ihn übernehmen. Ein paar Ausweiskopien, Kopien der letzten Strom- und Wasserrechnung, Steuernummer und eine Vollmacht für Kosta. Und das war’s schon?

Nachmittags ruft Kosta an. Er ist etwas ungehalten und schimpft auf irgendeinen Beamten bei der Zulassungsstelle. Anscheinend hat es wohl noch nicht ganz geklappt. Wir verabreden uns für den nächsten Tag. Schließlich habe ich noch 10 Tage Urlaub und sowieso nichts Besseres vor.

Anderntags sitzen wir dann irgendwann beim Chef der Zulassungsstelle. Er ist nett und sehr bemüht. Ein Deutscher mit Zweitwohnsitz in seinem Amtsbezirk hat also ein Auto gekauft und will es zulassen. Das sollte doch nicht so schwierig sein. Er will sich mal erkundigen, was es da so für Besonderheiten gibt, sagt er und greift zum Telefon. Kosta, der nette Autoverkäufer, nickt mir aufmunternd zu und meint verschwörerisch: Bei uns in Griechenland gibt es immer eine Lösung. Ganz kurz kommt mir Fakelaki in den Sinn, verwerfe den Gedanken aber sofort wieder. Schließlich sind alle sehr nett und engagiert.

Gefühlt einhundert Telefonate später erläutert uns der Behördenleiter seine Rechercheergebnisse. Es kommt ja nicht alle Tage vor, dass ein Deutscher ein Auto in Griechenland zulassen will.

Also, überhaupt kein Problem, man benötigt nur noch ein paar Kleinigkeiten. Ich soll zur örtlichen Kriminalpolizei gehen und dort meinen Reisepass vorlegen (den hatte ich in Griechenland noch nie dabei), eine internationale, übersetzte und beglaubigte Bescheinigung, dass ich eine Krankenversicherung habe, das Buch meines griechischen Bankkontos mit mindestens 4000 Euro Guthaben, 2 Passbilder (besser vier!), Gehaltsbescheinigung und eine Meldebescheinigung vom Bürgermeisteramt meines Zweitwohnsitzes.

Ich hätte da noch die Geburtsurkunden meiner Eltern und Großeltern, oder die Payback Karte meiner Frau anzubieten, rutscht es mir fast raus, aber schließlich habe ich ja Urlaub und ohnehin nichts Besseres zu tun.

Natürlich schaffe ich es erst zwei Monate später sämtliche Unterlagen beizubringen. Diesmal muss es klappen, ich habe extra 3 Wochen eingeplant und bin wild entschlossen.

Gemeinsam mit Kosta, dem freundlichen Autohändler, gehe ich also zur Polizei und lege stolz meine Dokumente auf den Tisch. Zur moralischen Unterstützung ist noch mein Freund Fotis mitgekommen. Er und Kosta sind sich völlig einig, dass es absolut rechtswidrig sei, 4000 Euro auf einem Konto zu verlangen, eindeutig gegen EU-Recht. Das würden sie den Beamten schon sagen. Vorsichtshalber habe ich mein Kontobuch und das Geld in bar dabei. Der Beamte stört sich an der Übersetzung meiner Krankenversicherungskarte. Die Übersetzerin sei ihm unbekannt, dies müsse ein am Ort zugelassener Rechtsanwalt übersetzen und beglaubigen. Leider kenne ich keinen Anwalt, der auch Übersetzer für Deutsch ist. Das Geld muss aufs Konto. Kosta und Fotis schweigen betroffen. Ich gehe also über die Straße zu meiner Bank und zahle 4000 Euro ein (tags darauf hebe ich den Betrag wieder ab, schließlich ist Krise).

Das Gericht ist glücklicherweise in der Nähe. Nach etlichen Stunden finden wir eine nette Anwältin, die zwar kein Deutsch spricht, aber dennoch lächelnd die Bestätigung bestätigt und mit zahlreichen Gebührenmarken beklebt.

Zurück bei der Kripo erhalte ich das ersehnte Dokument und Kosta kann am nächsten Tag den Zulassungsvorgang erfolgreich abschließen.

Ein grandioses Erfolgserlebnis, das ich keinesfalls missen möchte.

Und vielleicht, wenn ich weitere 15 Jahre Griechenland auf mich wirken lasse, vielleicht traue ich mich dann auch eines Tages mit einem vollen Einkaufswagen an die Expresskasse.

Westenfelder

Dieser Beitrag sowie die Fotos wurden uns im Rahmen unseres Leserwettbewerbes zum zehnjährigen Jubiläum der Griechenland Zeitung von Herrn Westenfelder aus Deutschland zugeschickt. Wir möchten uns dafür ganz herzlich bedanken.

Nach oben

 Warenkorb