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„Bufo“ - Das unheimliche Federvieh

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„Bufo“ - Das unheimliche Federvieh

Das Herz eines jeden griechischen Ortes ist die plateía, der Dorfplatz. Er grenzt nicht selten an die Hauptkirche und wird meistens von fast allen verfügbaren öffentlichen Einrichtungen umgeben. In Spartiá sind das alle vorhandenen, also zwei „Super“märkte, die einzige im Ort liegende Taverne sowie einige Mülltonnen.

An einer der Begrenzungsmauern unserer plateía gibt es eine lange Bank. Dort finden sich an lauen Sommerabenden viele Dorfbewohner ein. Anstatt sich alleine zuhause vor dem Fernseher zu langweilen, sitzen sie hier bis zum späten Abend und diskutieren oder genießen einfach die samtweich-warme Sommernacht.

Derweil genossen wir im letzten Sommer oft ein Bier oder einen Wein auf der Terrasse des angrenzenden Dorfladens, wo es seit Kurzem einen Ausschank gab. Manchmal kam eine Nachbarin zu uns herüber auf ein kleines Bier und fragte, ob wir es auch hörten: „Bufo“, sagte sie, und alle auf der Bank würden ihm jeden Abend lauschen, dem großen Vogel im Kirchturm. Was für ein Vogel das sei, fragte ich. „Na bufo, bufo!“ antwortete sie aufgeregt.

Sofort tat sich vor meinem inneren Auge ein Bild vom sagenhaften großen, geheimnisvollen Feuervogel auf, der jeden Abend durchs offene Glockengestühl gleitend im Zwischengeschoss des Kirchturms landete, um dort seine müden Schwingen zu falten und, den Kopf aufs Gefieder gebettet, in tiefen, erschöpften Schlaf zu sinken. Aber der Klang des von meiner Nachbarin benutzten Namens ließ wegen seiner Ähnlichkeit auf jemand anderen schließen, nämlich die Eurasische Adlereule, kurz: Uhu, lateinisch bubo bubo.

Und wirklich, nun hörte ich es: Es war wie ein leises Atmen, ein und aus – fast ein wenig wie Seufzen. Dieses Geräusch war schon die ganze Zeit lang in der Luft gewesen, ich hatte nur meine Ohren nicht darauf eingestellt. Leider bekamen wir den sagenhaften Vogel nicht zu Gesicht. Stattdessen flog ein deutlich kleinerer Greifvogel, wahrscheinlich ein Turmfalke, seine nächtlichen Runden und landete immer mal auf dem von den Straßenlichtern erhellten Kreuz des Kirchturms.

Von nun an lauschte ich jeden Abend, und mit mir lauschte das ganze Dorf ergriffen und verzaubert. Es schien, als bewachten die Dörfler den Schlaf des fabelhaften Wesens. Vielleicht sollte man an solche Zauber nicht rühren, wie man auch Seifenblasen nicht berühren kann, ohne sie zu zerstören. Aber meine Neugier war einfach zu mächtig, und so wollte ich das Zaubertier doch noch ein wenig besser hören. Ich lief deshalb vom Dorfplatz ein paar Schritte in die kleine Seitengasse hinein, in der der Kirchturm lag. Ich stellte mich zwischen die Kirche und das angrenzende Haus – und stellte fest, dass das Atmen hier zwar lauter und deutlicher zu hören war, aber nicht aus dem Turm kam, sondern... es kam aus dem offenen Schlafzimmerfenster des Nachbarhauses, in dem der Schlafraum des Vaters einer dort wohnenden Großfamilie zu vermuten war.

Wie gesagt, man soll Seifenblasen nicht greifen wollen. Und auch keine geheimnisvollen Greife. Um die schöne Sommerlegende allerdings tut es mir von Herzen leid.

Müller Marina

Dieser Beitrag sowie das Foto wurden uns im Rahmen unseres Leserwettbewerbes zum zehnjährigen Jubiläum der Griechenland Zeitung von Frau Marina Müller zugeschickt. Wir möchten uns dafür ganz herzlich bedanken!

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