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Eine Heilige, alles andere als stille Nacht

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Eine Heilige, alles andere als stille Nacht
Eine  Weihnachtsgeschichte von Alexandros Papadiamantis. 
 
Viele von uns haben es schon erlebt. Wenn in Griechenland alle Schiffe und vor Anker liegen und man von einer ägäischen Insel nicht mehr wegkommt. Windstärke acht oder neun. Im Winter kann es einem sogar auf dem Festland passieren, dass auch die Landwege unbefahrbar sind und man festsitzt, wo man gerade ist. Einmal saßen wir in einem Ort in der Argolis fest. Zwischen Weihnachten und Silvester, und wir kamen erst  im neuen Jahr nach Athen. Unglaublich, aber wahr. – Fast genau so wie in der Erzählung von Alexandros Papadiamantis „Die Heilige Nacht auf dem Berg“, die sich in einem solchen Fall, aber auch überhaupt als Weihnachtslektüre bestens eignet.
Es ist Heiligabend, und auf der Insel Skiathos tobt ein Sturm. Kaikia und varkes sind an der Mole festgebunden oder an den Sandbuchten ans Land gezogen. Der Berg, wo die alte, verlassene Festung mit ihrer Kapelle steht, liegt im tiefen Schnee. Unten am Hafen, in der kleinen „Hauptstadt“, bereiten sich die Menschen auf das Fest vor. Aber Pater Frangoulis fasst den Entschluss, zwei Jäger, die oben auf der Burg von Unwettern überrascht wurden, zu retten und bei der Gelegenheit dort oben „beim Christus in der Burg“ (so der griechische Titel) die Mitternachtsmesse zu halten. So begibt er sich in Begleitung seiner Familie und einiger anderer frommer Menschen mit einem Fischerboot auf eine lebensgefährliche Fahrt bis ans andere Ende der Insel. Sie kommen mehr tot als lebendig an Land und nehmen im Dunkel den verschneiten, steilen Weg zur Christuskirche hinauf. Sie sind nach mehreren Stunden angekommen, als ...
Wie geht es weiter? Spannend. Denn, unten im Meer wird ein in Seenot geratenes Schiff sichtbar. Es kämpft mit  den Elementen, während Pater Frangoulis oben in der Burg die Messe zu Jesu Geburt zelebriert, in jenem geistigen Klima griechischer Religiosität, die irdische, sinnliche Wärme durchaus zulässt. Weihrauch verströmt seinen Duft, Öllampen schimmern, Kerzen leuchten, Wandmalereien tauchen aus dem Dunkel auf – Szenen einer alten byzantinischen Kunst, wie man sie in allen während der islamischen Fremdherrschaft klein gehaltenen Kirchen und Kapellen in Griechenland noch sieht. Und doch ist es etwas Besonderes, heute kaum Vorstellbares, was da geschieht: Papadiamantis beschreibt diese Heilige – nicht unbedingt  „stille“ – Nacht als ein Ereignis unermesslicher Freude. So unermesslich, dass der alte Kirchensänger nach einem langen Stab greift und den Kerzenleuchter, der von der Decke hängt, zum Schwingen bringt! Im selben Augenblick, als Pater Frangoulis mit leidenschaftlicher Stimme Gott preist: Ehre sei Gott in der Höhe! 
War es die erleuchtete Kirche, die ihnen zur Orientierung diente? War es ein Wunder Gottes? Die Menschen, die in Seenot geraten waren, fanden schließlich zur rettenden Bucht. Wie sagte Pater Frangoulis, als er noch vor Beginn der gefährlichen Reise bei einigen seiner Mitreisenden harte Überzeugungsarbeit leisten musste? „Da greift Gott einem immer wieder unter die Arme, ja sogar mit einem Wunder.“  Sogar. Wenn es sein muss ...  Nicht unbedingt und nicht immer und ... Reichte hier vielleicht schon die Nächstenliebe? Papadiamantis liebt diesen großzügigen Zwischenbereich, in dem wir bei der Lektüre zu nichts gezwungen werden und nur dem nostalgischen Gefühl nachgeben dürfen: „So war es damals“.
 
Danae Coulmas
 

 

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