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Problemfelder für die Integration junger Geflüchteter in Griechenland

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Archivfoto (© Eurokinissi) Archivfoto (© Eurokinissi)

Die Zahl der unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten in Griechenland steigt weiter an. Gleichzeitig weist eine Studie der EU-Expertenkommission „Agentur für Grundrechte“ auf Mängel in der Versorgung und Förderung junger Migranten hin. Isolation und erschwerter Zugang zu Bildung behinderten die Integration.

Nicht enden wollende Asylverfahren, abgelegene Unterbringung in Sammelunterkünften und Isolation schaffen eine gefährliche Situation für junge Geflüchtete. „Schafft Europa eine verlorene Generation?“ – Diese Frage stellt ein Bericht der „Agentur für Grundrechte“ (FRA), eine von der EU geschaffene Expertenkommission, der diese Woche veröffentlicht wurde.
Für die Studie wurden in sechs EU-Ländern sowohl Fachkräfte, die im Bereich Asyl tätig sind (z. B. Anwälte, medizinisches- oder Sicherheitspersonal), als auch Geflüchtete im Alter zwischen 16-24 Jahren befragt. Dabei fokussiert sich die Untersuchung auf Menschen, die in den Jahren 2015/16 nach Europa gekommen sind. Zahlen von Eurostat zufolge wurden zwischen 2015 und 2018 1,9 Mio. Menschen als Flüchtling anerkannt oder unter subsidiären Schutz wegen der gegenwärtigen Lage in ihrem Heimatland gestellt. 80 Prozent dieser Personen waren unter 34 Jahre alt. Der Bericht der FRA soll herausstellen, wie gut die Integration dieser jungen Migranten gelingt und welche Umstände ihr womöglich hinderlich sind.


Theoretische Rechte vs. Praktische Umsetzung

In Griechenland nahmen an den ausführlichen Interviews 64 Experten und 20 junge Geflüchtete teil, die auf Lesbos oder in Athen tätig bzw. ansässig sind. In der Gruppe der befragten Migranten befanden sich ausschließlich Personen mit anerkanntem Flüchtlingsstatus oder sehr guten Aussichten auf die Anerkennung.
Die Studie zeigt drei große Problemfelder auf, die die Integration behindern: Die Isolation der jungen Menschen durch eine Unterbringung an abgelegenen Orten und erschwerte Familienzusammenführung, mangelnder Zugang zu Bildungsangeboten und mangelnde psychologische Betreuung. Dabei wurzeln die Probleme gemäß des Reports meist nicht auf Rechtsebene, sondern bei der praktischen Umsetzung der Ansprüche, die junge Geflüchtete haben.
Eines der angeführten Beispiele betrifft den sogenannten Hotspot Moria auf Lesbos. Die Mitarbeiter erklärten, dass in der Realität ein verschwindend geringer Teil der über 18-Jährigen Zugang zu Bildungsangeboten habe. Bei einem der befragten Migranten war das Gegenteil der Fall, seine Ausbildung wird jedoch von einer NGO organisiert. Ebenso sei die psychologische Versorgung aufgrund von Platz- und Personalmangel nur sehr bedingt gewährleistet.


Soziale und lokale Isolation

Eine besondere Hürde für die Integration sieht der Bericht auch in der Umsetzung von Familienzusammenführungen. Der Prozess sei bürokratisch sehr anspruchsvoll und erfordere von den Angehörigen oft die Reise zu Botschaften in gefährlichen Regionen, um dort notwendige Unterlagen zu erhalten.
Hinsichtlich der Unterbringung deutet die Untersuchung daraufhin, dass sich ein Leben isoliert von der Familie und der einheimischen Gesellschaft negativ auf den Bildungsweg der jungen Menschen auswirkt. Sammellager befänden sich oft in abgelegener Lage, die das Erreichen einer öffentlichen Schule erschweren. Zudem werde die vorgeschriebene Zeit von drei Monaten, innerhalb derer Minderjährige in eine Schule eingegliedert werden sollen, oft überschritten. Befragte Erzieher bzw. Sozialarbeiter betonen, dass eine erfolgreiche Eingliederung den Jugendlichen zunehmend schwerer falle, je länger sie keinen regelmäßigen Tagesablauf gehabt hätten.

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Mit dem Foto (© Pressebüro der griechischen Regierung) bewirbt die griechische Regierung geschlossene Ankunftszentren. Ein solches soll auch auf Lesbos entstehen. 


Steigende Zahl minderjähriger Flüchtlinge

Besonderes Augenmerkt richtet der Bericht auch auf den Übergang zur Volljährigkeit, wo viele Migranten den Anschluss verlieren. Zum einen, weil sie aufgrund wegfallender finanzieller Unterstützung gezwungen sind zu arbeiten, anstatt weiter zur Schule zu gehen. Zum anderen berichtete ein Großteil der Fachkräfte in den Gesprächen, dass die Jugendlichen Angst vor der Unterbringung in den oft überfüllten Einrichtungen für Erwachsene hätten und deshalb den Kontakt zu den Institutionen abbrächen.
Schlimmer erscheint die Situation noch bei jungen Menschen, die nach Anerkennung des Flüchtlingsstatus keine feste Bleibe finden. Aktuelle Zahlen des „National Centre for Solidarity“ besagen, dass sich in Griechenland zurzeit fast 5.000 unbegleitete Minderjährige aufhalten, etwa 1.000 mehr als im April diesen Jahres. Von diesen haben etwa 1.200 keinen festen, bekannten Wohnsitz. Sie kommen zum Teil bei Freunden oder in besetzten Häusern unter, viele leben auf der Straße. Laut internationalen Hilfsorganisationen sind ein Drittel der 2019 neu angekommenen Migranten minderjährig.
Im Kontext unbegleiteter Minderjähriger hatte auch die griechische Regierung in den vergangenen Monaten vermehrt auf Unterstützung gepocht, Hilfegesuche an die EU-Partnerländer liefen bislang meist ins Leere (die GZ berichtete). Gefahren für junge Migranten sieht auch der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis. In einem aktuellen Interview mit dem Handelsblatt fragte er: „Wissen Sie, was passiert, wenn wir uns um diese Kinder nicht in angemessenen Einrichtungen kümmern? Sie werden Opfer von Ausbeutung.“


Schwerwiegende Folgen der Situation

Der Bericht sieht weitreichende Gefahren für minderjährige Migranten. Kaum überraschende, negative Auswirkungen der Umstände werden von den befragten Experten bestätigt: Isolation von der Familie und Bildungsferne führten zu psychischen Problemen wie Schlaflosigkeit und Depressionen, und in der Konsequenz auch zu begünstigenden Bedingungen für Kriminalität. Gleichermaßen, wie die Befragten betonen, seien junge Geflüchtete gefährdet, sowohl Opfer von Straftaten als auch selbst straffällig zu werden.
Die Studie geht u. a. auf die Kriminalstatistik Griechenlands ein, wo die Anzahl kleinerer Straftaten seit 2015 leicht angestiegen ist, bei gleichbleibendem Niveau schwerer Vergehen. Den befragten Fachkräften zufolge sind die jungen Migranten besonders anfällig dafür, Opfer von Diebstählen und ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen zu werden. Weibliche Geflüchtete tragen laut Report ein erhöhtes Risiko, häuslicher oder sexueller Gewalt ausgesetzt zu sein, besonders in den überfüllten Sammellagern.
Die Gespräche mit Sicherheitskräften, Anwälten und Mitarbeitern der Justiz ergaben, dass junge Geflüchtete in Griechenland besonders im Kontext des Drogenhandels und Diebstahls als Täter auftreten. Auch gewaltsame Auseinandersetzungen innerhalb der Hotspots in Griechenland spielen für die Statistik eine Rolle. In dem Bericht beschreibt ein Sicherheits-Experte die Lage auf Lesbos: „Die Wartezeit schafft Spannungen. Wenn die Menschen keine genauen Informationen darüber bekommen, wie lange sie hier bleiben müssen, führt das zu gewalttätigem Verhalten, entweder gegen die Infrastruktur des Lagers oder gegen andere Gruppen. Manche versprechen sich von diesem Verhalten auch eine Umsiedlung in eine andere Unterkunft.“


Ansätze für eine bessere Integration

Neben dem Aufzeigen der Problemfelder nennt der Bericht auch vielversprechende Projekte aus den untersuchten EU-Ländern und Lösungsansätze für eine Verbesserung der Situation. Als Vorzeigeprogramm wird unter anderem das Athener Therapiezentrum für Suchtkranke (KETHEA) erwähnt, das abhängigen Geflüchteten Beratung und Behandlung anbietet. Aus Deutschland wird u. a. eine Initiative hervorgehoben, die eine App entwickelt hat, die in sieben Sprachen über das Leben in Deutschland und den Umgang mit Behörden informiert.
Die FRA fordert eine Forcierung solcher Maßnahmen, deren Direktor Michael O’Flaherty formuliert es so: „Vielfältige Beispiele zeigen uns, wie intelligente und durchdachte politische Entscheidungen zur Überwindung von Hindernissen beitragen können. Solche Strategien müssen politische Entscheidungsträger (…) auf EU-Ebene verfolgen, damit diese jungen Menschen vollwertige Mitglieder unserer Gesellschaft werden können.“ Sollte dies nicht geschehen, dann droht es sich als Realität zu etablieren, das Bild einer verlorenen Generation.
(Griechenland Zeitung / Jonas Rogge)

 

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