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„Ich hatte niemanden an meiner Seite“

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Unser Foto (© S. Grütz) zeigt Sacharoula Blithikioti. Unser Foto (© S. Grütz) zeigt Sacharoula Blithikioti.

Die Neuerscheinung aus unserem Verlag beschäftigt sich mit der Geschichte der Flüchtlinge des Griechischen Bürgerkriegs (1946-1949) in Leipzig/Sachsen. Einer der fast 30 Zeitzeugen, die zu Wort kommen, ist Sacharoula Blithikioti.

Mein Heimatort ist Langada in Epirus, ein sehr hoch gelegenes Dorf − über 1.000 Meter. Wie viele Einwohner damals dort lebten, weiß ich nicht, aber ich schätze so etwa 600. Wir waren insgesamt zehn Geschwister, ein Bruder ist im Bürgerkrieg gefallen, zwei Schwestern kamen bei einem Granatbeschuss durch die monarchistische Armee ums Leben. Inzwischen sind alle meine Geschwister gestorben, ich bin die Einzige, die noch lebt. Und ich war auch die Einzige meiner Familie, die 1949 ins Ausland geschickt wurde. Das war schon schlimm, sowohl für mich, die ich nicht wusste, wo ich hinkommen würde, als auch für meine zurückgebliebenen Familienmitglieder, die nicht wussten, wo ich war. In Rumänien habe ich mehrere Kinder getroffen, die wenigstens mit einem Bruder oder einer Schwester zusammen waren. Ich hatte niemanden an meiner Seite, verfügte über keine Dokumente, Unterlagen, keine Belege, noch nicht einmal einen Nachweis über meinen Namen. Erst 1957 war es einer meiner Schwägerinnen in Rumänien gelungen, den Kontakt innerhalb der Familie wiederherzustellen.

Ich bin zunächst mit meinem Vater in das Nachbardorf Prisojeni geflüchtet, dort wurde er bei einem Flugzeugangriff der Royalisten getötet, so dass ich allein weitermarschiert bin − ohne zu wissen wohin, denn mein Vater hatte mir weder den genauen Grund noch das Ziel unserer Flucht mitgeteilt. Meine Mutter war im Dorf geblieben. An den genauen Tag unserer Flucht kann ich mich nicht erinnern, schließlich war ich erst acht Jahre alt. Unterwegs haben mich dann Partisanen aufgegriffen und mich nach Albanien begleitet. Dort habe ich viele griechische Kinder getroffen. Von da ging es weiter nach Ungarn. Die Betreuer haben mich gefragt, ob ich dort Familienangehörige hätte. Aber ich war ganz allein, so kam ich nach Deutschland, genauer gesagt nach Großenhain bei Dresden. Im Grunde wusste ich gar nicht, wie mir geschah, ich kann mich nur an die Traurigkeit erinnern, die mich befallen hatte.

Auszug aus unserer Neuerscheinung „Zwischen Heimat und Fremde

Heimat und Fremde Cover

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