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„Dem Tod ins Gesicht gesehen“: Flüchtlinge stecken in Griechenland fest Tagesthema

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„Dem Tod ins Gesicht gesehen“: Flüchtlinge stecken in Griechenland fest

Griechenland ist mit der Flüchtlingssituation aus Kriegsregionen im Nahen Osten überfordert. Als Protest führen Immigranten vor dem Athener Parlament einen Hunger- und Durststreik durch. Am Donnerstag sind weitere 700 Flüchtlinge nach einer zweitägigen Rettungsaktion auf Kreta eingetroffen.

Das Frachtschiff „Baris“ mit etwa 700 Flüchtlingen an Bord hat am Donnerstagmorgen den griechischen Hafen Ierapetra (im Süden Kretas) erreicht. Es trieb seit der Nacht von Montag auf Dienstag mit Maschinenschaden etwa 30 Meilen vor der Insel im offenen Meer.

Wegen der starken Winde und der bis zu 3 Meter hohen Wellen gestaltete sich das Abschleppen des 77-Meter langen Frachters als äußerst kompliziert. Schließlich erfüllte die griechische Kriegsmarine mit einer Fregatte diese Aufgabe.

Hungerstreik
Untergebracht wurden die Betroffenen vorerst in einer Basketballhalle in Ierapetra. Sie wurden ärztlich untersucht. Die rund 100 Kinder wurden gegen Poliomyelitis geimpft. Nun wollen die Behörden auf Kreta feststellen, aus welchem Land die Ankömmlinge kommen; ihren eigenen Angaben zufolge handelt es sich um Syrer. Sollte dies der Fall sein, hätten sie ein Anrecht auf Asyl. Die meisten von ihnen werden sich dann vermutlich nach Athen begeben. Doch dort ist die Lage für sie nicht rosig. Als Protest gegen die herrschenden Lebensbedingungen führen etwa 200 Syrer auf dem Gehsteig gegenüber dem Parlament seit Tagen einen Sitzstreik durch. Am Montag traten sie in den Hungerstreik, am Mittwoch weiteten sie diesen in einen Durststreik aus. 17 von ihnen mussten bereits stationär in Athener Krankenhäuser behandelt werden, da sie Anzeichen von Schwäche oder Ohnmacht aufwiesen.
Auf dem Forderungskatalog steht, dass sie als Flüchtlinge anerkannt und dass ihnen menschenwürdige Unterkünfte zur Verfügung gestellt werden. Viele von ihnen leben als Obdachlose auf der Straße, andere in überfüllten Wohnungen unter ebenfalls erbärmlichen Bedingungen. Darunter sind auch Familien mit Kleinkindern. Einen Antrag auf Asyl stellen die meisten nicht, weil sie dadurch gezwungen wären, in Griechenland zu bleiben.

Lange Reise
All diese Menschen haben ähnliche Geschichten zu erzählen. Sie sind meist mit Booten von der türkischen Küste aus nach Griechenland übergesetzt – die „Baris“ war das erste große Schiff, mit dem so viele Flüchtlinge auf einmal in Griechenland eintrafen. Viele haben Familienangehörigen in der Heimat zurück gelassen. Sie wollen in Europa eine Arbeit finden, um später die Familien nachzuholen.
Einer, der als Obdachloser mit seiner Familie in Athen lebt, ist der 24-jährige Bahri Masto aus Aleppo. Gemeinsam mit seiner Frau Alif (22) und ihren drei Kindern schlägt er sich auf den Straßen der griechischen Hauptstadt durch. Das jüngste seiner drei Kinder ist gerade 8 Monate alt.
Als die Zeiten noch besser waren, hielt sich Bahri bereits eine längere Zeit in Griechenland auf, verdingte sich damals auf dem Bau und lernte Griechisch. Mit seinen Ersparnissen kehrte er dann in die Heimat zurück. Durch den Krieg sah er sich jetzt veranlasst, die große Reise mit der Familie noch einmal zu wagen. „Wir hatten keine Milch mehr für unsere Kinder. Wir kamen, um der Hungersnot zu entgehen“, sagt er.
Doch ohne Aufenthaltsgenehmigung und angesichts der nach wie vor extrem hohen Arbeitslosigkeit, die noch immer bei über 25 % liegt, kann er in Griechenland keinen Job finden. Auch vom griechischen Staat erhofft er sich nichts: „Sie sollen uns nur Reisepapiere ausstellen und wir werden dann in ein anderes Land gehen, wo wir eine Arbeit und ein Obdach finden.“

Hoffnung auf Lösung
Aus Aleppo stammt auch der 43-jährige Khaled. Mit weiteren 26 Immigranten wagte er von der Türkei aus in einem Boot die illegale Überfahrt nach Griechenland. 141128Khaled 1 smallAls der gelernte Graphik Designer die gefährliche Reise antrat, hatte er etwas Geld bei sich. Inzwischen ist alles ausgegeben. „Ich stehe nun hier und habe keinen Cent mehr in der Tasche“, sagt er in gutem Englisch. Zeitweise teilte er sich mit acht weiteren Landsleuten eine Kellerwohnung. Dafür zahlte jeder von ihnen 100 Euro im Monat. Weil Khaled am Anfang dachte, dies sei nur eine Übergangslösung, akzeptierte er diesen Wucherpreis. Für ihn ist es ein Teufelskreis: Wegen der europäischen Regelung, dass Flüchtlinge dort Asyl beantragen müssen, wo sie erstmals europäischen Boden betreten haben, kommt er nicht weiter nach Westeuropa. Nun hat er nicht einmal mehr ein Dach über dem Kopf. Seine Familie ist noch immer in Aleppo, darunter seine drei Kinder im Alter von 8 bis 11 Jahren. Natürlich möchte er sie gern bei sich haben. Doch die Überreise auf einem Boot, so sagt er, sei zu gefährlich: „Auf dem offenen Meer habe ich schon einmal dem Tod ins Gesicht gesehen“, sagt er vielsagend.
Zu allem entschlossen beteiligt er sich jetzt am Hunger- und Durstreik vor der Volksvertretung in Athen. Er hofft auf eine humanitäre Lösung: „Auch die Parlamentarier haben Familien, wenn sie menschliche Regungen haben, wird man für uns eine Lösung finden.“ In welches Land er gehen würde, falls er Reisepapiere erhalten sollte, das sei für ihn belanglos: „Hauptsache, es ist ein Ort, der mir Sicherheit, Freiheit, eine Arbeit und Zukunft für meine Kinder geben wird.“
Text und Fotos: Elisa Hübel

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