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Europäische Staatsanwaltschaft will Hintergründe für Tempi-Zugunglück ermitteln Tagesthema

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Archivfoto (© Eurokinissi) Archivfoto (© Eurokinissi)

„Sie blockieren uns, die Wahrheit herauszufinden.“ Diese Einschätzung vertrat am Mittwoch (13.3.) Laura Kövesi, die seit 2021 die Europäische Staatsanwaltschaft leitet, in einem Interview gegenüber dem privaten griechischen Fernsehsender Star.

Die rumänische Juristin versprach den Familienmitgliedern der 57 Todesopfer des Eisenbahnunglücks, das sich am 28. Februar 2023 in der Nähe des Tempi-Tals ereignet hatte, dass sie alles in ihrer Kraft stehende tun werde, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Damals war ein Passagierzug frontal mit einem Güterzug in voller Fahrt kollidiert.

Verantwortung von Ministern
Kövesi stellte außerdem fest, dass ihr die Hände gebunden seien, solange ein Gesetz verhindere, dass man die Verantwortung von Regierungsmitgliedern hinterfragen dürfe. Dieser Artikel der griechischen Verfassung müsse zu diesem Zweck geändert werden, schlug Kövesi vor, die von 2013 bis 2018 die oberste Korruptionsbekämpfungsbehörde Rumäniens geleitet hatte.
Wäre der sogenannte Vertrag 717 („Contract 717“) in die Tat umgesetzt worden, so hätte der Unfall von Tempi vermieden werden können, fasste die europäische Staatsanwältin ihre Erkenntnisse zusammen. „Contract 717“ betrifft die Wiederherstellung von Fernverkehrskontroll- und Signalsystemen des Schienennetzes in Griechenland. Unterzeichnet wurde er im Jahr 2014 und sollte bereits zwei Jahre später realisiert werden. 2019 wurde ein Zusatzvertrag unterzeichnet, der ein komplett neues Signalsystem vorsah. Dieses sollte eine direkte Kommunikation zwischen Bahnstationen und Kontrollzentren ermöglichen. Die Europäische Staatsanwaltschaft spricht von deutlichen Indizien für eine unsachgemäße Realisierung der genannten Verträge. Den bisherigen Hinweisen zufolge könne man mittlerweile von „krimineller Verantwortung“ reden, heißt es in einer Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft.

Parlamentarische Untersuchungskommission
Unterdessen hat in dieser Woche eine Untersuchungskommission des griechischen Parlaments die Ergebnisse ihrer Arbeit vorgelegt. Demnach besteht keine politische Verantwortung für das Zugunglück von Tempi. Verursacht worden sei der Unfall lediglich durch menschliches Versagen; hätte man alle Vorschriften befolgt, so hätte es kein Bahnunglück gegeben, so die Schlussfolgerung. Verabschiedet wurde dieser Bericht von den zuständigen Abgeordneten der konservativen Regierungspartei Nea Dimokratia (ND). Die betreffenden Volksvertreter der Opposition haben sich geschlossen dagegen gestellt. In den kommenden Wochen soll dieser Bericht der Vollversammlung des Parlaments zur Abstimmung vorgelegt werden.
Den Fall wird nun an ein Gericht übergeben. Familienmitglieder haben eine zusätzliche Klage wegen Mordes eingereicht. Vertreten werden sie von der ehemaligen Parlamentspräsidentin Zoi Konstantopoulou, die derzeit als Vorsitzende der Partei Plevsi Eleftherias in der Volksvertretung sitzt.

Politische Verantwortung hinterfragt
In den Vordergrund rückt während der bisherigen Untersuchung nicht zuletzt das schnelle Handeln der Behörden, den Unfallort wieder in Ordnung zu bringen. Es soll sogar Hinweise geben, dass noch Überlebende in den abgeräumten Trümmern gewesen sein könnten. Das wurde von Premierminister Kyriakos Mitsotakis entschieden dementiert. Er stellte in einem Interview klar, dass die verunglückten Waggons genau aus diesem Grund schnell entfernt werden mussten, um sicher zu stellen, dass sich darunter keine Überlebenden befanden. Ein anderes Szenario geht davon aus, dass illegal hochgradig brennbare Materialen im Güterzug transportiert wurden, und dass man diese Tatsache mit der schnell erfolgten Aufschüttung des Unglücksgeländes vertuschen wollte. Demnach bestünde der Verdacht, dass derartige Brennstoffe zu einer Explosion geführt hatten, die zusätzliche Todesopfer gefordert haben könnte. Regierungschef Mitsotakis schloss auch dies kategorisch aus.
Die größte Oppositionspartei des Landes SYRIZA vermutet hingegen weiterhin politische Verantwortung des früheren Transportministers Kostas Karamanlis, der nach dem Bahnunglück sein Amt niederlegen musste. Aus diesem Grund haben SYRIZA-Parlamentarier in dieser Woche der Staatsanwaltschaft ihre eigene Schlussfolgerung über den Unfall übergeben. Die sozialistische PASOK fordert die Einberufung einer Voruntersuchungskommission. Die kommunistische KKE will die politische Verantwortung jener Transportministers hinterfragen, die in den vergangenen 15 Jahren dieses Amt innehatten. Seitens der rechtspopulistischen Griechischen Lösung hieß es, dass man wichtige Unterlagen vorenthalten habe und dass auch essentielle Zeugen nicht ausgesagt hätten. Aus dem Reigen der Neuen Linken wurde die Meinung vertreten, dass die Untersuchungskommission nur aus einem Grund ins Leben gerufen worden sei: Um den Fall zu vertuschen.
Die parlamentarische Untersuchungskommission hatte ihre Arbeit vor vier Monaten begonnen. Insgesamt hat die Aufarbeitung 180 Stunden in Anspruch genommen. Allein der Schlussfolgerungstext der ND umfasst 723 Seiten. (Griechenland Zeitung / Elisa Hübel)

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