In Erinnerung an ein Bahnunglück, das sich vor zwei Jahren in Mittelgriechenland bei Tempi ereignet hatte, finden heute in ganz Griechenland Massenproteste statt. Bereits in den Morgenstunden war das Zentrum der Hauptstadt Athen weiträumig abgesperrt, tausende Polizisten waren im Einsatz.
Selbst in vielen Städten im Ausland – darunter in Deutschland, Österreich und in der Schweiz – soll an das Desaster vom 28. Februar 2023 gedacht werden: 57 Menschen fanden damals den Tod.
Regierung gerät unter Druck
Eingebettet sind die Proteste in einen Generalstreik, zu dem die beiden griechischen Gewerkschaftsdachverbände GSEE (Privatwirtschaft) und ADEDY (Öffentlicher Dienst) aufgerufen haben. Die Regierung der konservativen Nea Dimokratia (ND) unter Premierminister Kyriakos Mitsotakis gerät damit schwer unter Druck. Die Umfragewerte für die ND sinken – im Aufwind sind vor allem populistische Parteien. Unmut herrscht nicht zuletzt auch angesichts der ständig steigenden Lebenshaltungskosten. So sind vor allem die notwendigen Ausgaben für Mieten und Lebensmittel extrem gestiegen, während die Gehälter auf einem sehr niedrigen Niveau dümpeln.
Chronische Mängel bei der Bahn
Angeheizt wird die Unzufriedenheit, die sich in größeren Teilen der Bevölkerung angestaut hat, durch einen Abschlussbericht der Unabhängigen Organisation zur Untersuchung von Luft- und Bahnunfällen, der am Donnerstag (27.2.) vorgelegt wurde. Offengelassen wird darin, dass eventuell auch Politikern, der Bahngesellschaft Hellenic Train sowie der Bahnbehörde konkrete Verantwortung für das Zugunglück zugewiesen werden könnte. Außerdem geht aus dem Bericht die Eventualität hervor, dass im Güterzug, der damals mit einem Intercity frontal zusammengeprallt war, ein explosiver Brennstoff mitgeführt worden sein könnte. Genaueres weiß man darüber bisher noch immer nicht. Für diese Option spricht vor allem die Tatsache, dass es kurz nach dem Zusammenstoß der beiden Züge eine schwere Explosion gegeben hat, die sich Experten bisher nicht erklären können. Dem Bericht zufolge sind fünf bis sieben der Insassen erst durch diese Explosion ums Leben gekommen.
Schweigeminute für die Opfer
Der 178 Seiten umfassende Bericht legt nahe, weitere Untersuchungen zu diesem Thema anzustellen. Bei der Präsentation am Donnerstag – zu Beginn wurde eine Schweigeminute im Gedenken an die Opfer des Unglücks eingelegt – kamen auch chronische Mängel der Griechischen Bahn zur Sprache, die sich bereits über viele Jahre hinziehen. Darunter fallen etwa Personalmangel und generell fehlende Finanzmittel. Es wird darauf hingewiesen, dass in der EU pro Kilometer Schienennetz durchschnittlich zwei Mitarbeiter beschäftigt würden, in Griechenland liege diese Zahl bei 0,5. Zudem würden in der EU durchschnittlich 170.000 Euro pro Kilometer Bahnstrecke investiert, in Griechenland seien es im Jahr 2020 lediglich 20.000 Euro gewesen. Negativ sei außerdem, dass die Leistungen und Befähigungen der jeweiligen Stationsvorsteher nicht systematisch evaluiert worden seien. Gleichzeitig sei die Arbeitsbelastung verantwortlicher Eisenbahner außerordentlich hoch gewesen – mit durchschnittlich nur zwei freien Tagen pro Monat für diese Arbeitnehmer.
Im Zentrum der Kritik stand auch die Nichterfüllung eines Vertrages, der zur Sicherheit des Schienennetzes abgeschlossen wurde. Wenn dieser, so wie vorgesehen, bereits im Jahre 2016 realisiert worden wäre, hätte das Unglück vermieden werden können. Ebenfalls kritisiert wurde die Vernachlässigung des gesamten Eisenbahnsystems in den Jahren der schweren Wirtschafts- und Finanzkrise, in der Griechenland dem Diktat der internationalen Geldgeber unterworfen war.
(Jan Hübel / Griechenland Zeitung)