Panos Routsis lebt derzeit in einem Zelt vor dem Parlament in Athen und verweigert jegliche Nahrung. Er will damit die Exhumierung seines ums Leben gekommenen Sohnes und die Feststellung der konkreten Todesursache erreichen. Sein Sohn Denis gehört zu den 57 Todesopfern des Eisenbahnunglücks bei Tempi, das sich Anfang 2023 ereignete.
„Ich bin für jedes Kind, das sein Leben verloren hat, in den Hungerstreik getreten.“ Dies stellte der 48-jährige Panos Routsis fest, der seit dem 15. September in einem Zelt vor dem Parlamentsgebäude in Athen lebt und seither jegliche Nahrung verweigert. Er möchte mit diesem Protest erreichen, dass die sterblichen Überreste seines Kindes exhumiert und von Gerichtsmedizinern toxologisch untersucht werden, um Rückschlüsse auf die tatsächliche Todesursache zu ziehen. Bis heute wisse er nicht, woran Sohn Denis genau verstorben ist.

Aufklärung der Unfallursachen
Der damals 22-jährige Denis war während eines Zugunglücks ums Leben gekommen, das sich am späten Abend des 28. Februar 2023 in der Nähe des Tempi-Tals ereignet hatte. Der Zug war zwischen Athen und Thessaloniki unterwegs, als er mit einem Güterzug frontal zusammengestoßen ist. Mindestens 57 Menschen, überwiegend Studenten, starben dabei. Es handelt sich um den schwersten Bahnunfall in der Geschichte Griechenlands.
Als Unfallursache gelten ein marodes bzw. fehlendes Kommunikations- und Warnsystem, veraltete Infrastruktur und Funktionsstörungen des Signalsystems sowie menschliches Versagen.
Eine Explosion, die sich unmittelbar nach dem Aufprall ereignet hatte, warf Fragen auf. Die Öffentlichkeit spekulierte darüber, ob der Güterzug eventuell auch illegal Kraftstoff oder andere explosive Materialien transportiert haben könnte. Letztlich hat sich auch die europäische Staatsanwaltschaft in die Aufklärung des Desasters eingeschaltet.

Das Mitgefühl des Staates
Der Hungerstreik von Routsis hat die griechische Gesellschaft erneut für das Unglück von damals sensibilisiert und mobilisiert. Am Sonntag (28.9.) fanden landesweit zahlreiche Kundgebungen in mindestens 46 Städten statt. Darunter sind Thessaloniki, Chania auf Kreta, Larissa, Serres, Mytilini, Samos sowie Kalamata und Argos auf der Peloponnes.
Auch Premierminister Kyriakos Mitsotakis meldete sich angesichts des Hungerstreiks von Routsis zu Wort: „Der Staat steht den leidenden Menschen mit Mitgefühl zur Seite – selbst dann, wenn sie ihn infrage stellen.“
Aus den Reihen der größten Oppositionspartei PASOK war man sich einig, dass man den trauernden Vater darin unterstütze, den Leichnam seines Kindes zu exhumieren; die Justizbehörden müssten sich intensiv mit diesem Fall befassen, so die Ansicht der Sozialisten.
Das Bündnis der Radikalen Linken (SYRIZA) konstatierte: „Es ist die Pflicht des Staates, der Regierung und der Justiz, dem Antrag von Panos Routsis vollständig stattzugeben …“ Außerdem argumentierte man: „Vor der Wahrheit braucht sich niemand zu fürchten!“ Der Regierung unter Mitsotakis wirft das Linksbündnis vor, die Ursachen des Eisenbahnunfalls von Tempi vertuschen zu wollen.
Die ebenfalls im Parlament vertretene kommunistische KKE fasste zusammen: „Regierung und Justiz werden eine sehr große Verantwortung tragen, falls diesem Mann, der das Selbstverständliche fordert – die Erlaubnis zur Exhumierung seines Kindes –, etwas zustoßen sollte.“ Die Regierung könne in einem solchen Fall nicht der Justiz die Verantwortung zuspielen. Außerdem wirft die KKE der Regierung vor, „bei der Vertuschung des tragischen Verbrechens federführend gewesen zu sein“.

Keine toxikologische Untersuchung
Unterdessen hat die Staatsanwaltschaft von Larissa am vergangenen Freitag (26.9.) die Exhumierung von Denis Routsis genehmigt. Diese gelte jedoch nur für den Zweck, den Verstorbenen zu identifizieren. Die Entscheidung darüber, ob nachträglich toxikologische Untersuchungen vorgenommen werden und ob weitere Todesopfer des Bahnunglücks exhumiert werden dürfen, steht hingegen noch aus. Der Rechtsanwalt von Panos Routsis erklärte in den Medien, dass es bei Unfällen, wie bei demjenigen von Tempi, üblich sei, dass man bei den Verstorbenen Gewebeuntersuchungen, Untersuchungen auf Gifte oder toxische Substanzen und biochemische Analysen durchführe. Dies sei bei den Opfern des Eisenbahnunglücks von Tempi nicht geschehen, kritisierte der Anwalt.
Routsis gab seinerseits zu verstehen, dass er seinen Hungerstreik nicht beenden werde, bis an der Leiche seines Sohnes die geforderten toxikologischen Untersuchungen durchgeführt worden sind. Unterdessen meinen Ärzte, dass der gesundheitliche Zustand des Vaters schlimmer sei als erwartet. Das liege jedoch auch daran, dass er sich nicht genügend ausruhe und sich Zeit für Gespräche mit Personen nehme, die ihm solidarisch zur Seite stehen. So etwa waren Läufer an ihn herangetreten, die auf Brustkrebs aufmerksam machen wollten, und deshalb vor dem Parlament gejoggt sind. Auch Demonstranten, die für Palästina demonstriert haben, wandten sich solidarisch an Routsis. Unterdessen sollen sich einigen Medienberichten zufolge auch andere Personen dem von ihm begonnenen Hungerstreik angeschlossen haben. Solidarische Demonstrationen gab es außer in Griechenland auch in den USA, auf Zypern und in Island. (Griechenland Zeitung / Elisa Hübel)