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Verweile doch, es ist so schön – auf dem Pilion

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Federzeichnung von Hubertus Lilienthal aus dem Buch: „Apoll an der Hand – Streifzüge durch Griechenland“. Federzeichnung von Hubertus Lilienthal aus dem Buch: „Apoll an der Hand – Streifzüge durch Griechenland“.

Verläßt man das quirlige Volos Richtung Pilion-Halbinsel, kommt man bald in eine Welt tiefen Zaubers, taucht ein in ein mythisches Land der Sagen, ein Gebiet tiefer Wälder, wasserreich und überquellend vor Grün. Volos selbst, das antike Iolkos, ist seit dem Erdbeben von 1955 eine modern hochgezogene Stadt.

Es fällt inmitten von Hektik, Verkehrslärm und Abgasgestank schwer, hier jenen Ort zu imaginieren, der Ausgangspunkt der Argonautenfahrt gewesen sein soll. Das Goldene Vlies, aus dem heutigen Georgien geholt, in dem manche ein Symbol für die Morgenröte erkennen wollen, wäre hier binnen weniger Minuten von lauter Rußpartikeln verschmutzt. Aber wenige Kilometer außerhalb strahlt bereits goldenes Licht in Hülle und Fülle durch die Lücken von riesigen Bäumen. Oft verlaufen die Straßen auf halber Höhe am Berg. Die Westseite zum Golf von Volos, dem Pagasäischen Golf, hin, fällt sanfter ab als die steilen Flanken im Osten zur Ägäis. Hält man auf schmalem Weg in einer Kurve inne, wo durch Felsgewimmel ein kräftiger Gebirgsbach schießt, und steigt in die Schlucht hinab, könnte einem einer der Kentauren auf die Schulter klopfen, ein überlebendes Exemplar jener Urgetüme, halb Pferd, halb Mensch, die, sinnlich, wild und geil, hier zu Hause waren. Ein herbes Volk aus der Vorzeit, von denen nur einer mit Namen Cheiron die Brücke zur Zivilisation fand und zum klugen und heilkundigen Lehrer von Achill und Asklepios wurde.


Pilions Zauber

Im Dämmerlicht Spitzen des Lichts
und der Dunkelheit Zacken, viel Striche
von Stämmen durchs strahlende Grün:
Ist es Pferd oder Mensch auf der Brücke,
gar beides zugleich? Doch vorbei, und
ich hocke am Bachbett, fahr hoch, um
nicht selber verwunschen zu sein.
Die Platane am Dorfplatz erinnert noch
Ahnen, die keiner mehr kennt, doch ihr
Schweigen zu breiten, das hat sie gelernt.
Zupf mir furchtsam ein Blatt, denn zu
leicht blieb ihr Schmerz für ein weitres
Jahrtausend, sie speichert des Leids
längst genug. Könnten reden die Häuser,
die reichen Etagen auf steinernem Sockel,
sie würden schon tratschen die Mären,
woher sie die Bücher einst nahmen, den
Grundstock zur heimlichen Bibliothek,
die der Türke weit unten nicht sah.
Trät ein Pope hinzu aus der Kirche, dem
Schuppen, so breit wie die Scheune, er
müßt’ es benicken, auch stimmten die
Brunnen hier murmelnd mit ein. Doch
mir selbst rinnen Tränen, wie oft ich
den Geistern des Ginsters nicht lauschte,
bis all ihre Feste vergilbt.

Aus dem Buch: „Apoll an der Hand – Streifzüge durch Griechenland“
Essays, Lyrik und 21 Federzeichnungen

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