Login RSS

Unteritalien – Wo Homers Sprache heute noch gesprochen wird

  • geschrieben von 
Fotos (© Vasilis Sylvestriadis); Melito Porto Salvo in Aspromonte: Eines der größtenteils unbewohnten ehemaligen Rückzugs-Dörfer in einer wilden Gebirgsregion. Fotos (© Vasilis Sylvestriadis); Melito Porto Salvo in Aspromonte: Eines der größtenteils unbewohnten ehemaligen Rückzugs-Dörfer in einer wilden Gebirgsregion.

Welche Philhellenen und Hellenen wissen, wo Homers Sprache außerhalb Griechenlands auch gesprochen und gepflegt wird? Während der Magna Graecia, dem Großgriechenland des Altertums, sind griechische Stämme und Volksgruppen nach Süditalien und Sizilien ausgewandert, deren Spuren noch heute in den ellinofona chorià – den griechischsprachigen Dörfern – sichtbar sind. Eine Reise nach Kalabrien und in das Salento von Apulien hat viele Eindrücke über die Existenz der „grecità“ Süditaliens vermittelt.

Während des Altertums, zwischen 800 bis 500 v. Chr., waren griechische Volksgruppen vom griechischen Festland, von der Peloponnes, ja sogar von Euböa gezwungen auszuwandern und sich auf andern Landstrichen anzusiedeln. Es wird angenommen, dass das Bevölkerungswachstum und damit verbundene Nahrungsmittelknappheit vor allem die ländliche Bevölkerung gezwungen hat zu emigrieren. In Booten mit an die 50 Ruderern haben sie das Mittelmeer in Richtung Süditalien überquert und sich an den fruchtbaren Küstenstreifen Kalabriens, aber auch in den wilden Gebirgsgegenden des Aspromonte und im apulischen Salento, im untersten Absatz des italienischen Stiefels, niedergelassen. Wie historische Quellen berichten, sind ebenfalls Abkömmlinge der Byzantiner im kalabrischen Süditalien gelandet, zwei unterschiedliche Ethnien und Kulturen, jene der Magna Graecia, des Großgriechenlands, und jene des Byzantinischen Reiches, die sich gegenseitig beeinflusst haben und beide Griechisch sprachen. Diese griechische Kolonisation, die nicht ohne kriegerische Auseinandersetzungen verlief, hat die ursprüngliche Bevölkerung ins Landesinnere zurückgedrängt. Heute zeugen reiche Ausgrabungsfunde im Nationalmuseum von Reggio Calabria von der expansiven Besitznahme des gesamten kalabresischen Küstenstreifens und von der importierten altgriechischen Kultur und den religiösen Ritualen, die vorwiegend der Göttin Hera geweiht waren. Klar war, dass mit der Kolonisation des italienischen Stiefels über Jahrhunderte auch die Sprache Homers, das Altgriechische, mitgebracht wurde. Interessanterweise hat in den nachfolgenden Jahrhunderten trotz der Eroberung Süd-Italiens durch die Römer, die Normannen und die Spanier das „Greki“ (il grecanico) sowohl in Kalabrien als auch im apulischen Salento überlebt, wenn auch als sich stets etwas verändernde Dialekte. Der deutsche Linguistiker Gerhard Rohlfs hat sich intensiv mit diesem idiomatischen Erbe, das so reich an altgriechischen Archaismen ist, auseinandergesetzt und die Hypothese einer kulturellen und zivilisatorischen Kontinuität seit der Magna Graecia bis heute aufgestellt.

Griechischsprachig von der Küste bis zum Aspromonte

In dieser griechischsprachigen Gegend kennen sich heute noch um die 2.000 Personen mit den „grecanico“ aus, also die herkömmlichen griechischen Dialekte, die vor allem von älteren Menschen gesprochen und verstanden werden; von der Generation unter 35 sind es nur mehr wenige Hundert. Der größte Teil dieser Bevölkerungsgruppe lebt in der Gemeinde Bova. Bei unserem Besuch der griechischsprachigen Vereinigung in Bova Marina erfuhren wir auch von den großen Schwierigkeiten, Lehrer für den wöchentlichen Unterricht der Schüler für Neugriechisch zu finden. Trotzdem wird dort in den letzten Jahren wieder vermehrt der Griechischstämmigkeit bewusst Aufmerksamkeit geschenkt, sei’s durch die zweisprachigen Straßenschilder oder das „Heimatmuseum“ mit seinen traditionellen bäuerlichen Werkzeugen, den wunderschönen Handwebereien, Holzschnitzereien, allerlei Handwerksgegenständen für das alltägliche Leben, ja sogar Musikinstrumenten. Besonders die religiösen Feste mit byzantinisch-orthodoxen Ritualen und Prozessionen werden übers ganze Jahr gepflegt.
Verlassen und größtenteils unbewohnt sind die ehemaligen Rückzugs-Dörfer in der wilden Gebirgsregion des Aspromonte. Melito Porto Salvo als Beispiel – ein traditionelles Bergdorf aus einer Handvoll Steinhäusern, die sich eng zusammengerückt an den Fuß des imposanten Felsmassivs Pendedattilo schmiegen – ist nicht nur ein Vorzeigedorf der damaligen griechischen Besiedlung für italienische und ausländische Besucher, sondern wird von den Einheimischen der kalabresisch-griechischen Küstenregionen für traditionelle Feste wie Trauungen, Taufen und Prozessionen gerne besucht.

In BovaMarina 2 SMALL

Das Griko-Salentino in Süd-Apulien

„Rom rühmt sich, die Griechen mit den Waffen besiegt zu haben; die Griechen jedoch besiegten die Römer mit ihren Künsten, ihrer Philosophie und ihrer Dichtung. Wir sind Griechen, aber seit 3.000 Jahren besiedeln wir diese Region, sprechen Griechisch, aber nicht weil wir Fremde sind, sondern weil wir die ältesten Bewohner des Salento sind.“ (Domenico Tondi in La lingua greca nel Salento).
Die Situation im Salento liegt etwas anders. Die „Grecia salentina“ ist eine Sprach-Insel des Griechischen in Süd-Apulien, in der Provinz Lecce; hier wird das Griko, ein neugriechischer Dialekt gesprochen und gepflegt. Seit 1990 besteht eine Vereinigung der Grecia salentina, der neun griechischsprachige Gemeinden angehören und die unter dem Patronat der Europäischen Union steht. Ihr Sitz ist der Ort Calimera (Kalimera), ihr Präsident der 38-jährige Jurist Massimo Manera. Wie der perfekt griechisch sprechende Massimo unserer Gruppe unter anderem erklärte, geht das Griko, das vor allem von der älteren Generation noch gesprochen wird, auch in dieser Gegend langsam verloren. Heute sprechen von den rund 54.000 Einwohnern der Region noch knapp 10.000 das Griko. Wir erhielten auch in Calimera eine Kostprobe des salentinischen Griko, das aber von den Griechen kaum verstanden wurde. Immerhin sind die Bestrebungen heute größer als zuvor, das Griko und die damit verbundenen Traditionen vor dem Aussterben zu bewahren. Besonders mit der Musik und dem Tanz, inspiriert von den schnellen und leichtfüßigen Rhythmen der Tarantella, wird die Jugend für ihren Ursprung begeistert, ganz im Sinne von „back to the roots“.

ΜουσείοΓιά τουςΈλληνες των Ελληνόφων χωριών στο χωριόΚαλημέρα 2 SMALL

Von Corinne Brombacher

Nach oben

 Warenkorb