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Syros – eine ziemlich andere Insel

  • geschrieben von  Klaus Bötig
Varia – das alte Reichenviertel der Stadt (Fotos: GZ / Christiane Bötig). Varia – das alte Reichenviertel der Stadt (Fotos: GZ / Christiane Bötig).

Auf der Hauptinsel der Kykladen spielt der Tourismus eine Nebenrolle. Die Inselhauptstadt Ermoupolis ist das ganze Jahr über eine pulsierende Kleinstadt. Und bildschön obendrein.

„Besser hier als gegenüber“, steht an der Wand des Kafenio „Die Heuschrecke“ in Ermoupolis, der Inselhauptstadt. Auf der Wanduhr daneben ersetzen Würfel mit den entsprechenden Werten die sonst üblichen Zahlen. An den Tischen werden Karten und Tavli gespielt. Und gegenüber steht das Zentralkrankenhaus der Kykladen.

Das schönste Theater

Die Wirtsleute des schlichten Lokals, auf dessen Terrasse sich auch Gesunde von ihren Krankenbesuchen erholen, gehören zu den Sponsoren des Stadttheaters der Insel. Es ist das älteste und schönste der griechischen Inseln, wenn nicht gar ganz Griechenlands. Natürlich trägt es den Namen des antiken Gottes der Schönheit und der Künste, Apollon. Die Malereien in den Decken-Medaillons zeigen u. a. Homer über Mozart und Verdi. Zusammen mit den Logen und den Sesseln im Parkett bietet das Theater etwa 300 Zuschauern Platz. Eingeweiht wurde es mit Verdis „Rigoletto“ schon 1864. Seit Mitte der 1950er Jahre verfiel es. Mit Hilfe von EU-Fördergeldern wurde es schließlich in den 1990er Jahren aufwändig restauriert und im Jahr 2000 wieder eröffnet. Das ganze Jahr über finden hier jeden Monat an vielen Abenden Aufführungen statt. Im Sommer steht es im Zentrum des jährlichen Kulturfestivals, ist u. a. Schauplatz von Opernaufführungen und eines Tango-Festivals.

Frühe Elektro-Mobilität

Dass sich die Syrioten schon im 19. Jahrhundert ein eigenes Theater leisten konnten, mit dem damals bestenfalls Athen und Korfu konkurrieren konnten, lag am wirtschaftlichen Wohlstand der Insel. Syros war damals Industriestadt und Handelsmetropole, wäre fast statt Athen Griechenlands Hauptstadt geworden Das Industriemuseum in Ermoupolis erzählt anschaulich davon. Viel Raum wird der einst bedeutenden Druckindustrie der Insel gewidmet – schon 1831 erschien hier die erste Tageszeitung Griechenlands (zweisprachig, Griechisch und Französisch). Es gab Textilfabriken, eine Gerberei und eine Manufaktur für Kristallglas, Hersteller von Limonaden, Gemüsekonserven, Bonbons und vor allem von Loukoumia und Chalvadopitta. Für diese beiden süßen Leckereien hat Syros auch heute noch in ganz Hellas einen guten Namen.
Wirtschaftlich viel bedeutender waren freilich die Handelsschifffahrt und vor allem die lange Zeit größte Werft des ganzen Landes. 1840 besaßen syriotische Reeder 468 hochseetaugliche Schiffe – siebenmal mehr als Reeder aus Athen und Piräus. Und die 1861 gegründete Neorion-Werft bedeutete Griechenlands ersten Schritt ins Industriezeitalter. Hier wurden Griechenlands erste Dampfschiffe erbaut. Zweimal wurde sie erweitert (1885 und 1970/73). In den besten Zeiten fanden hier bis zu 1.500 Menschen Arbeit. Heute sind es je nach Auftragslage noch 100 bis 250.
Neorion produzierte nicht nur Schiffe. In den 1970er Jahren, als die Unternehmensgruppe der Reederfamilie Goulandris gehörte, widmete sie sich auf Syros auch der Automobilproduktion. Hier baute man den legendären Bikini-Jeep und eines der ersten Elektro-Autos der Welt, den Enfield 8000. Ein Exemplar davon steht heute im Industrie-Museum von Syros.

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Die Inselhauptstadt von oben

Bummel durch die Stadt

Vom Museum zur zentralen Platia der Stadt geht man etwa 15 Minuten. Entweder immer am riesigen Hafen entlang oder durch schmale Gassen, an denen überwiegend Häuser und Kirchen aus dem 19. Jahrhundert stehen. Souvenirgeschäfte gibt es an ihnen kaum, dafür umso mehr Läden für den Bedarf der Kykladen-Bewohner: Massenweise Matratzen zum Beispiel (auch die edlen von Coco-Mat) und Haushaltswaren. Die Kirchen sind relativ belanglos. Nur in die „Koimesis tis Theotokou“ lohnt ein kurzer Blick , weil da ein Werk von El Greco hängt. Gemalt und signiert hat es der gebürtige Kreter mit etwa 20 Jahren noch als Domenikos Theotokopoulos. Den Gläubigen bedeutet sie nur wenig, denn sie hat sich nicht als wundertätig erwiesen. Auch das Spielcasino der Insel und ein Cabaret mit Pole-Dancing liegen am Weg: Die dort an der Stange sich windenden jungen Osteuropäerinnen laufen am späten Nachmittag mit entsprechenden T-Shirts für ihr Etablissement Reklame.
Die Platia ist natürlich nach einem Admiral benannt: Dem Freiheitskämpfer Miaoulis. Dominiert wird sie von einem klassizistischen Rathaus des deutsch-griechischen Architekten Ernst Ziller, der in seiner Monumentalität stark an den Königspalast am Athener Syntagma-Platz erinnert, das heutige Parlament. Auch als Fremder kann man die marmorne Freitreppe hinaufsteigen und die beiden großzügigen Innenhöfe bewundern. Auf der Platia selbst ist vor allem abends viel los: Dann tummeln sich dort bis Mitternacht fröhliche Kinder.
Vom Rathaus zum Hafen sind es nur wenige Schritte. Jetzt geht es auf der modernen Uferpromenade weiter in Richtung Marineschule und Lagerhallen. In einer von ihnen ist die Städtische Kunstgalerie untergebracht, die das ganze Jahr über wechselnde Ausstellungen präsentiert. Ihre Besucherzahlen haben in den Jahren der Krise stark abgenommen. Ein anwesender Künstler nennt uns zwei Gründe dafür: Die einen kommen nicht mehr, weil sie nicht mehr das Geld haben, sich Kunst zu kaufen. Die noch genügend Euro haben, kommen auch nicht mehr, weil ein teurer Kunstkauf das Finanzamt nachdenklich stimmen könnte.
Solche Sorgen kannten die Reichen im 19. Jahrhundert ganz offensichtlich nicht. Sie ließen sich östlich des Hafens ohne Scheu und Scham im Stadtviertel Vaporia (=Dampfschiffe) prächtige Villen erbauen, die dem Prunk des Rathauses auf keinen Fall nachstehen sollten.

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Palastähnlich: Das Rathaus von Ermoupolis

Katholiken und Orthodoxe

Die meisten dieser reichen Reeder waren überhaupt keine Syrioten. Vor Beginn des griechischen Freiheitskampfes ging es ihnen gut, weil ihre Insel unter dem Schutz Frankreichs stand und als „Insel des Papstes“ galt: Über 90 Prozent der Bevölkerung waren römisch-katholisch. Syros war ein quasi neutraler Warenumschlagsplatz, davon lebte es sich recht gut. Da die Syrioten auch im Freiheitskampf neutral blieben, wurde die Insel zum Ziel wohlhabender Flüchtlinge von Inseln, auf denen die Osmanen wüteten. Besonders viele kamen 1822 von Chios und seiner durch Schifffahrt reich gewordenen Nachbarinsel Psara herüber und brachten ihr Vermögen und ihre Schiffe gleich mit. Sie erst machten aus dem Hafen des heutigen, schon 800 Jahre alten Ano Syros die neue Stadt Ermoupolis und entwickelten sie blitzartig zur Wirtschaftsmetropole, als Athen noch ein unbedeutendes Dorf war. Sie krönten sie mit der Auferstehungskirche auf dem bis dahin weithin unbebauten, 180 Meter hohen Zwillingskegel, dessen anderer Kegel das alte Ano Syros trägt.
Dort in Ano Syros wohnten nun die Katholiken, während Ermoupolis orthodox war. Im Laufe der Jahrzehnte kehrten jedoch auch die meisten Katholiken zur Orthodoxie zurück – heute sind die Katholiken auch auf Syros nur eine Minderheit.
In den engen, verwinkelten und teils steilen Gassen von Ano Syros kann sich der Reisende endlich wieder wie in einem typischen Kykladendorf fühlen. Außer im Hochsommer sind hier kaum Menschen auf der Straße oder gar Lokale geöffnet. Nur ein kleines Museum lockt auch im Winter Besucher herauf. Es ist dem Musiker Markos Vamvakaris gewidmet, einem der bedeutendsten Rembeten des Landes. Auf Syros wurde er 1905 geboren, hier komponierte er in den frühen 1930er Jahren auch sein berühmtestes Lied, das noch heute täglich in unzähligen Tavernen erschallt: Frankosiriani. Es ist die Liebeserklärung an ein katholisches Mädchen der Insel – eben eine fränkische Syriani. Er verspricht seiner „Frangosiriani glikia“, alle Orte der Insel zu besuchen, zählt sie sogar namentlich auf. Dort will er mit ihr zusammen die Natur genießen.

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In Ano Syros erinnert ein kleines MuseumIn Ano Syros erinnert ein kleines Museuman den Rembeten Vamvakaris.

Unterwegs auf der Insel

Die ist inzwischen freilich ziemlich zersiedelt. Die alten Sommervillen reicher Reeder und Kaufleute lassen aber zumindest in Poseidonia, dem von Vamvarkaris besungenen Dellagratsia, noch erkennen, warum die Küstensiedlungen der Insel dem armen Rembeten so attraktiv erschienen. Heute haben junge Pärchen freilich ein anderes Ziel: Die Beach Bar „The Ono Concept“. Da sitzen Stoffpapageien in Bananenstauden und Palmen, ist das gesamte Mobiliar einen Designer-Preis wert, stehen extrem leckere, mit Krabben und Seeigel gefüllte Soupies (Sepia) auf der Karte. Man verwöhnt sich mit Sushi, Champagner oder einem mit Meersalz versetztem spanischen Bier, liegt unter gehäkelten Sonnenschirmen. Eröffnet wurde die Beach Bar übrigens 2016 – mitten in der Krise.
Uns freilich gefällt es im menschenarmen Inselnorden viel besser. Da gibt sich Syros kykladisch-wild, haben Generationen von Bauern kleine Terrassen an steilen Felshängen angelegt, sind einige kleine Strände nur per Boot oder zu Fuß zu erreichen. Und eine schöne Taverne gibt es da auch. Das Flaschenbier im „T'Aloni“ eines deutsch-griechischen Paares stammt von Lidl, die mit Yoghurt und Walnuss servierten Rote Bete aus dem eigenen Garten. Geöffnet ist nur an Wochenenden. An den anderen Tagen haben die Einheimischen ja keine Zeit – und Touristen verirren sich kaum je hierher.

Von Klaus Bötig

INFOS
Website: www.syros-ermoupolis.gr (offiziell, mit Kulturprogramm), www.siros.gr (kommerziell)
Fährverbindungen: Mehrmals tgl. mit Piräus, 2 x wchtl. mit Lavrio, bis 9.9.2018 auch 2 x wchtl. mit Thessaloniki und Iraklio/Kreta
Flugverbindung: Mit Sky Express ab Athen, mit Astra ab Thessaloniki
Wanderkarte: Skai 1:20 000. www-terrainmaps.gr

Diese Reportage erschien in der Griechenland Zeitung Nr. 639 am 08. August 2018.

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