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Tradition als Geschäftsmodell und Überlebenshilfe

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Foto (© Griechenland Zeitung / kb): Extreme Hanglage des Olymbos-Dorfes Foto (© Griechenland Zeitung / kb): Extreme Hanglage des Olymbos-Dorfes

Trachten tragen griechische Frauen im Alltag nur noch ganz im Norden der Insel Karpathos zwischen Rhodos und Kreta. Zusammen mit einer grandiosen Lage des Dorfes inmitten wilder Natur lockt das immer mehr Urlauber an. Fluch oder Segen – das ist die Frage.

14 kurvenreiche Straßenkilometer hoch oben an steilen Berghängen entlang trennen Olymbos von Spoa und dem Rest der Insel Karpathos. Erst seit 2012 ist diese Straße asphaltiert. Vorher verlangten Taxifahrer Aufschläge für die raue Piste, Linienbusse verkehrten überhaupt nicht. Olymbos lag in selbstgefälliger Isolation und verharrte bei vielen alten Traditionen, die im übrigen Griechenland in Vergessenheit zu geraten schienen. Eine treibende Kraft waren dabei die Frauen, denen das olymbische Erbrecht eine besondere Rolle zudachte: Nicht der erstgeborene Sohn, sondern die erstgeborene Tochter kommt in den Genuss des Familienerbes. Zumindest ältere Frauen trugen auch im Alltag noch Tracht, nahezu alle Frauen legten an Festtagen ein Festgewand an und hängten sich reichlich echten Goldschmuck um.

Zehn Jahre Tagestouristen in Massen

Seit der Fertigstellung des Asphaltbandes hat sich jedoch viel verändert. Dafür sorgt vor allem der strandreiche Inselsüden mit seinem fast 60 Kilometer von Olymbos entfernten internationalen Flughafen, auf dem im Vor-Corona-Jahr 2019 fast 280.000 Passagiere gezählt wurden. Fast jeder von ihnen machte im Inselsüden Urlaub und kam mit Ausflugsbussen oder Mietwagen auch nach Olymbos. Der Ort ist ja auch unvergleichlich schön. Seine meist ein- oder zweigeschossigen Häuser säumen einen langen Berggrat mit Meerblick, ziehen sich von ihm die Hänge eines Talkessels hinunter. Fast am höchsten Punkt steht eine Kirche, Dutzende Kapellen sind über den Ort und im Talkessel zwischen den Terrassenfeldern verstreut. Anders als sonst in touristischen Teilen Griechenlands sind sie fast alle unverschlossen. Besonders auffällig sind die Stümpfe von einst 78 Windmühlen, von denen aber nur noch eine funktionstüchtig ist. Das autofreie Dorf durchziehen viele steile, stufenreiche Gassen, durch die kräftige Winde häufig mit 40 und mehr Stundenkilometern in jeder Jahreszeit hindurchpusten. Auf ihnen sind auch gelegentlich noch Bauern mit ihren Eseln und Hunden unterwegs. Am häufigsten aber werden sie von Katzen genutzt.

Trend zur Übernachtung

Die Bewohner stellten sich auf die Touristenströme ein. Parkplätze wurden geschaffen, die Dorfgasse neu gepflastert und zur Shoppingmeile mit Tavernen ausgebaut. In deren offenen Fenstern werden fast überall Makarounes frisch zubereitet, kleine Nudeln ohne Ei, nur aus Wasser und Mehl. Serviert werden sie mit gebratenen Zwiebeln und Schafskäse. Typisch wie sie sollen für Olymbos auch die vielen Handarbeiten in den Läden sein. Frauen in Tracht sitzen zumeist davor, nähen und sticken, um Authentizität zu demonstrieren. So mag manche Applikation durchaus karpathische Handarbeit sein, doch der Großteil der Ware dürfte aus griechischen und asiatischen Fabriken stammen. Den Frauen seien Verkaufserfolge gegönnt, denn sie und ihre Familien müssen in den Sommermonaten das Geld fürs ganze Jahr verdienen. Dieses Geld trägt auch dazu bei, dass Nord-Karpathos im Winter nicht ausstirbt. Über 1.500 Menschen lebten hier noch in den 1950er Jahren. Jetzt bleiben gerade einmal 160 Olymbiten ganzjährig hier. Auch einige wenige junge Familien sind darunter: Immerhin zählen Grundschule, Gymnasio und Lykeio noch vierzehn Schüler – und fast ebenso viele Lehrer. Es gibt einen Arzt, Polizei und zwei Priester, die Grundversorgung ist gesichert. Nur eine Tankstelle fehlt. Ein Supermarkt verkauft stattdessen Benzin und Diesel in Flaschen. Die vielen sommerlichen Tagestouristen tun dem Geldbeutel der Olymbiten zwar gut, reichen aber nicht aus, noch mehr Dorfbewohner im Winterhalbjahr auf der Insel zu halten. Darum hofft man nun seit einigen Jahren auf Urlauber, die länger bleiben. Größere Hotels sind zwar nirgends geplant, doch immer mehr Hauseigentümer bringen ihre Immobilie auf Vordermann, um sie ganz oder teilweise über Plattformen wie airb&b oder booking.com an Urlauber zu vermieten. Das kleine Vier-Zimmer-Hotel „Aphrodite“, lange die einzige Unterkunft im Ort, hat viel Konkurrenz bekommen. Häuser kaufen können Ausländer bisher nicht: Für leerstehende Immobilien findet sich immer ein in den USA oder auf Rhodos und in Athen lebender Verwandter der ehemaligen Eigentümer, der sie haben will.

Viel zu erkunden

Als Standort für mehrere Tage ist Olymbos für Individualisten durchaus gut geeignet. Hat man das Dorf gründlich erkundet, geht es auf markiertem Wanderweg oder Asphalt ins Hochtal von Avlonas, der größten ebenen Fläche in ganz Nord-Karpathos. Hier besaßen viele Olymbiten Weizenfelder und Gemüsegärten und saisonale Bauernhöfe, in denen sie während der Erntezeiten lebten und wo sie ihr Getreide bis zum Abtransport in die Mühlen von Olymbos lagerten. Etwa 300 dieser „stavlos“ genannten Gebäudekomplexe blieben mehr oder weniger gut erhalten. Jetzt werden immer mehr von ihnen wieder restauriert und als Ferienunterkünfte vermietet. Ein Kafenio, das im Sommer auch Essen serviert, ist ganzjährig geöffnet; Wirt Michali ist zentraler Ansprechpartner für spontane Buchungen. Er hat sich mit seiner Frau Anna ganz aus Olymbos zurückgezogen, weil es ihm dort zu hektisch geworden ist. Landwirtschaftlich genutzt wird die Ebene von Avlonas nur noch wenig. Zucchini, Fava und Artischocken werden angebaut, Feigen und Oliven gedeihen wild, nach Regenfällen kommt man zum Schneckensammeln. Auch aufs Bad im Meer müssen Olymbos-Urlauber nicht verzichten. Neun Kilometer vom Dorf entfernt gehört der kleine Hafen- und Badeort Diafani zur Gemeinde Nord-Karpathos. Hier gibt es schon seit Jahrzehnten kleine Pensionen und Hotels. Ein kurzer Kiesstrand säumt die Uferfront, der längere und bessere Vananda Beach ist etwa 30 Gehminuten entfernt. Noch vor wenigen Jahren hat jede Fähre, die von Karpathos Hauptort nach Rhodos fuhr, auch in Diafani angelegt. In den heutigen Zeiten immer schnellerer und größerer Schiffe verzichten die meisten Fähren zwar auf diesen Zwischenstopp, doch ist Diafani immer noch von Piräus und Kreta aus direkt zu erreichen. Kleine Ausflugsboote steuern im Sommer von Diafani aus zudem täglich mehrere Strände in der Nordhälfte der Insel an. Einige Bootsausflüge führen auch zur heute unbewohnten Insel Sarria vor der Nordspitze von Karpathos, wo noch die Reste einer mittelalterlichen Siedlung zu sehen sind. Ein weiteres Ziel für Bootstouren ist die Höhlenkirche Agios Ioannis auf dem Gelände der bis ins 8. Jahrhundert hinein bewohnten antiken Siedlung Vrykountas. Reste von zum Teil mehrstöckigen Gräbern, Säulenstümpfe und Teile der hellenistischen Stadtmauer sind noch deutlich zu erkennen.

Abends in Olymbos

Kehrt man dann zum Sonnenuntergang nach Olymbos zurück, sind die meisten Tagestouristen schon weg. Nun kann man ganz entspannt shoppen: Traditionelle karpathische Stiefel aus Rinds- und Ziegenleder beim Schumacher John Prearis, schlichte und recht naive handgemalte Ikonen beim ehemaligen Griechischlehrer Jannis, Künstlerisches aus Holz bei Michalis Nisirios, alle an der Hauptgasse, und karpathischen Schmuck und eine karpathische Lyra bei Nikos Dais am Kirchplatz, der die Instrumente im Winter selbst baut. Lyra und Laouto erklingen häufig an der winzigen Platía von Olymbos gleich unterm Kirchplatz. Wirt Nikos Filippakis und sein Sohn Filippos spielen sie gern, wenn keine Gäste im Kafenio sind. Hineinzugehen lohnt freilich: Die Wände sind mit zahlreichen historischen Familienfotos geschmückt. Gleich im ersten Rahmen neben dem Tresen dokumentieren sie, wie der kleine Nikos und seine Eltern 1966 in die USA auswandern. Die Mutter reiste natürlich in Tracht. Einen Monat dauerte die Überfahrt zum Großvater, der die Reisekosten vorgestreckt hatte. An der Wand hängt aber auch ein Souvenirteller aus München: Nikos’ Schwiegermutter lebte dort einige Jahre als Gastarbeiterin. Nach Olymbos zurückgekehrt und wieder in die Tracht geschlüpft, sprach sie alle Gäste, Olymbiten inklusive, am liebsten auf Bayerisch an.

Klaus Bötig

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