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Verbunden mit dem Meer und der Seefahrt

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Blick auf das Städtchen und die Uferpromenade (Fotos: GZgf/kh) Blick auf das Städtchen und die Uferpromenade (Fotos: GZgf/kh)

Im messenischen Hafenstädtchen leben Tradition und Tourismus in friedlicher Koexistenz. Historisch bekannt ist es durch die Seeschlacht von Navarino (1827). Heute lockt die Region auch mit kilometerlangen Sandstränden.

Arkaden. Schwungvolle Bögen, schattige Passagen, fast rund um den Platz. Auf drei Seiten jedenfalls. Die vierte öffnet sich auf ein Hafenbecken und die Bucht von Navarino, die von der gezackten Kammlinie der Insel Sfaktiria begrenzt wird. Mitten auf dem Platz das dreieckige Denkmal für die Kommandanten, deren Schiffe 1827 einen Großteil der osmanischen Flotte aus Ägypten versenkt und damit ein irreversibles Ausrufezeichen hinter die Unabhängigkeit Griechenlands gesetzt haben. Es hat dem Platz seinen Namen gegeben: Platia Trion Navarchon – Platz der drei Admirale – Edward Codrington für England, Henri de Rigny für Frankreich und Lodevik van Heiden für Russland. Das Denkmal dient gerade einer Horde griechischer Schuljungs – es sind Sommerferien – als Torbegrenzung; und nicht selten fliegt der Ball an der nautischen Dreifaltigkeit vorbei in das Café dahinter. Dort sitzen Einheimische, die etwas ungehalten reagieren, als ihr Kaffee überschwappt, ebenso wie ein Paar aus Deutschland, das das Treiben der Rabauken eher mit Gelassenheit betrachtet.

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Der hervorragender Aussichtspunkt „Niokastro“ auf einem Hügel im Westen des Stadtgebiets

Traditionelles Kafenion

Es ist nicht das einzige Café auf dem Platz. Dazwischen gibt es auch ein Grillrestaurant, einen Vodafone-Shop, zwei Filialen griechischer Banken, zwei Souvenirshops, ebenso jedoch einen ganz traditionellen Gemüseladen und ein unscheinbares, dafür umso traditionelleres Kafenion, in dem wie in früheren Zeiten ausschließlich alte Männer sitzen und an ihrem Kaffee oder Ouzo nippen. Auf dem Platz steht auch noch immer ein Periptero, einer dieser früher allgegenwärtigen griechischen Minikaufläden mit Riesensortiment. Und mittendrin in den Arkaden ist der Buchladen von Dimitrios Nikolakopoulos. Seit Jahrzehnten schaut der 72-Jährige auf diesen Platz, und als die beiden Fremden nach Literatur über seine Heimatstadt Pylos fragen, zeigt er sich in Plauderlaune. So erfahren wir zunächst, dass der Platz früher noch viel traditioneller war, mit einem großen Kafenion an der Ecke, an der gerade die ansteigende Straße aufgehübscht worden ist. Dass früher nicht ganz so viele Touristen die Platia bevölkert hätten. Dass damit alles mehr auf die Bedürfnisse der Einheimischen ausgerichtet war. Und mehr italienische Musik zu hören gewesen sei – Einfluss der einst italienischen Inseln im Ionischen Meer.

Ein Resort für Bill Gates

Dem studierten Mathematiker Dimitrios, der als Sohn eines Küfers mit Spitznamen Barbalia (von Barba Ilia) in Pylos aufgewachsen ist, ist seine Heimatstadt mit ihren derzeit rund 4.500 Einwohnern ein wenig fremd geworden. Und früher habe er auch anspruchsvollere Werke verkauft. Jetzt seien vor allem Plastikspielzeug und einfache Bücher nachgefragt. Aber allein dieser Blick auf den Platz, der von mehreren großen Platanen beschattet wird – ist das nicht jeden Tag aufs Neue ein Geschenk? – „Doch ja, natürlich“, räumt er ein und erzählt, das alles hätte schlimmer kommen können – wenn es dem Reeder Vassilis Konstantakopoulos gelungen wäre, einen Teil des Platzes für eine Luxus-Marina abzuknapsen. Auch ohne diesen Coup nimmt der Multimillionär seit Jahrzehnten erheblichen Einfluss auf die Entwicklung der Region. „Navarino Dunes“ ist sein Spielplatz für das Experiment eines ökologischen Luxusresorts – mit 18-Loch-Golfplatz, Helikopter-Landeplatz und eigenem Strand, hinter Zäunen und gut bewacht, wo die Übernachtung für zwei Personen schon mal 4.600 Euro kosten kann. Bill Gates soll da schon zu Gast gewesen sein, ebenso Elon Musk. Die Zeichen stehen auf weitere Expansion.

Architektur der Arkaden

Während sich dieses „Navarino“ weiter und weiter in die Landschaft zwischen Pylos und Romanos hineinfrisst, scheint es – abgesehen von unmäßig gestiegenen Grundstückspreisen – indes wenig Einfluss auf das städtische Leben und dessen Bausubstanz zu haben. Prägend für die Arkaden-Architektur rund um den Platz seien die Einflüsse der Architekten gewesen, die ab 1828 mit dem französischen General Nicolas Joseph Maison nach Pylos kamen und den Aufbau der heute historischen Stadt bestimmten. Die steigt nach Norden und Süden steil an. Enge Straßen, manchmal nur Treppen. Lediglich in der Mitte, gegenüber dem Hafen, ist es etwas flacher. Diese Stadtgeschichte und die Siedlungsgeografie bedeuten: viel Denkmalschutz, wenig freies Bauland. Das bedeutet im konkreten Fall auch: etliche kleine Stadthotels, für Gäste, die gerne am kommunalen Leben teilnehmen, zum Beispiel auf dieser wundervollen Platia. Die günstigsten Preise für eine Übernachtung im Doppelzimmer mit Frühstück reichen in der Hochsaison an die 80 Euro heran. „Der Tourismus hat hier unmittelbar nach dem Ende des Bürgerkriegs eingesetzt, also in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts“, erinnert sich Dimitrios Nikolakopoulos.

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Die sogenannte Arkaden-Architektur in Pylos

Strände mit feinem Sand

Die Stadt selbst hat keine Strände. Nur ein paar betonierte Badestellen. Dafür gibt es in der Region Kilometer feinsten Sandstrands, etwa in Gialova und – südlich der Navarino Dunes – auch bei Romanos. Gerühmt wird Golden Beach (oder Divari) auf einem langgestreckten Erdwall, der die Bucht von Navarino von der angrenzenden Lagune trennt, einem ökologisch wertvollen Feuchtgebiet. Und natürlich die berühmte Ochsenbauchbucht, die allerdings nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen ist. Fans von Altertümern kommen ebenfalls auf ihre Kosten. Navarino war mit seiner durch die Insel Sfaktiria geschützten Bucht schon im Altertum ein Punkt von strategischer Bedeutung. Im 16. Jahrhundert errichteten die Osmanen die heute „Niokastro“ genannte Burg auf einem Hügel im Westen des Stadtgebiets. Die Festung ist nicht nur ein hervorragender Aussichtspunkt, sondern umschließt auch eine byzantinische Kirche und beherbergt ein bemerkenswertes archäologisches Museum mit dem Schwerpunkt Unterwasser-Archäologie. Deutlich älter ist das Paleokastro im Norden der Bucht, dessen Fundamente zum Teil vor Beginn unserer Zeitrechnung entstanden sein dürften. Im Wesentlichen sind aber die Befestigungen zu sehen, die von den Venezianern im 13. Jahrhundert errichtet worden sind.

Palast des Königs Nestor

Unweit davon könnte das Pylos des Königs Nestor gestanden haben. Letzterer wird bei Homer zum Bündnis der Achäer gezählt, und er soll an der Eroberung von Troja beteiligt gewesen sein. Ob er aber in dem mykenischen Palast gewohnt hat, der weiter oben in den Hügeln ausgegraben worden ist, bleibt reine Spekulation. Diese Ausgrabung ist aus mehreren Gründen ein Höhepunkt der archäologischen Erforschung der späten Bronzezeit: zuallererst wegen der zahlreichen Tontafeln mit Schriftzeichen in Linear B, die durch ein Feuer hartgebrannt worden sind und entziffert werden konnten. Dann fällt auf, dass dieser Palast wohl – anders als etwa die in Mykene oder Tiryns – nicht durch Befestigungen geschützt war. Und drittens ist seine Aufbereitung für Besucher faszinierend: Unter einem großen gewölbten Dach verlaufen hängende Stege, die eine Besichtigung möglich machen, ohne der alten Bausubstanz zu nahe zu kommen.
Von Homers Ilias über die Schlacht von Navarino bis hin zu Reeder Vassilis Konstantakopoulos – die Geschichte von Pylos war und ist immer auch mit dem Meer und der Seefahrt verbunden. Symbolisch weist das kleine Holzboot darauf hin, das auf dem Zugang zur Anlegestelle gestrandet ist. Unweit davon steht ein Denkmal für Velissarios Karavias, der 1980 im Hafen 29 Seeleute vor dem sicheren Tod auf einem brennenden Schiff namens „Irenes Serenade“ gerettet hat. So ist es jedenfalls in Stein gemeißelt.

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Der Palast von Nestor: Der antike König soll an der Eroberung von Troja beteiligt gewesen sein.

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Denkmal für den Matrosen Karavias, der im Jahr 1980 29 Menschen rettete.

Katastrophe vor den Küsten

Nur 104 von geschätzt über 500 Flüchtlingen haben hingegen ein Schiffsunglück überlebt, das sich vor gut einem Jahr vor Pylos ereignet hat. Neun dieser Überlebenden wurden wegen Schmuggels, der Verursachung eines Schiffbruchs, der illegalen Einreise sowie der Bildung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation angeklagt und kamen in Untersuchungshaft. Die Eröffnung eines Verfahrens wurde jedoch inzwischen abgewiesen und die Haftbefehle aufgehoben. Auf dem Weg zur Marina hängt ein kleines Plakat, das daran erinnert. Diese Katastrophe hat den Namen des Städtchens für einige Tage in die Medien der Welt gespült. Was hält Buchhändler Dimitrios Nikolakopoulos von solcher „Publicity“? „Es gibt nichts Schlechtes, dem nicht auch etwas Gutes innewohnt“, sagt er mit philosophischer Tiefe. So offen und gerne er mit uns geplaudert hat – fotografieren lassen will er sich am Ende nicht. Er gehört nämlich zu den Menschen, die glauben, dass solche Abbilder dem Abgebildeten Energie entziehen.

Text und Fotos von Gudrun Fritsch und Klaus Holdefehr

Diese Reportage erschien in der Griechenland Zeitung Nr. 933 am 31. Juli 2024.

 

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