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„Es tut so gut, Menschen zu treffen, menschliche Stimmen zu hören“

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Ein Auto liegt abwärtsgerichtet auf einem Haufen Treibgut. (Foto: © Ulrike Dietschy) Ein Auto liegt abwärtsgerichtet auf einem Haufen Treibgut. (Foto: © Ulrike Dietschy)

Anfang September zog das Unwetter „Daniel“ über Griechenland hinweg. Mehrere Landesteile wurden dabei von schweren Überschwemmungen heimgesucht. Eine Leserin der Griechenland Zeitung wurde in der mittelgriechischen Pilion-Region mit der Naturkatastrophe konfrontiert. Sie schickte uns folgenden Erfahrungsbericht.

Von Ulrike Dietschy

Ja, ich lebe noch, ganz vergnügt sogar. Eigentlich ist es unsagbar, ist die Situation kaum in Worte zu fassen. Wenn ich es versuche, so aus meiner ganz persönlichen Perspektive … Zuerst ging es nur darum durchzugehen, durchzuhalten bis zum Ende des Tunnels, wo wieder Licht sein würde. Permanent Gewitter, vier Tage und Nächte. Es wurde nie ganz hell, Zwielicht wie in der Unterwelt. Ich hatte manchmal den Eindruck, ich bin mitten in der Wolke – Blitze und Donnerschläge unmittelbar neben mir, Lichtzittern, als ob da irgendwo ein Wackelkontakt wäre – der Strom war längst ausgefallen. Zeitweise lag ich nur auf meinem Bett, wie begraben unter Wasser- und Wolkenlast.

Und dann waren die Wolken wieder auf der gewohnten Wolkenhöhe, der Wasserfall im Garten verstummte, ich konnte rausgehen – doch nicht zu weit! Der Pfad hinunter zum Meer war abgerissen, weggeschwemmt. Ich ging hinauf zu den Blumen – die standen doch recht aufrecht da. Und die Meerzwiebel! Sie hatte den Regen zum Anstoß genommen, einen Blütentrieb nach oben zu strecken – so muss es gewesen sein, als Noah den Zweig in Empfang nahm, den die Taube ihm brachte! Neues Leben! Nun ging es darum, dieses neue Leben praktisch zu bewältigen: ohne Strom, ohne Wasser, ohne Essensnachschub, ohne Nachricht von außen …  Die Akkus gaben auf – einer nach dem anderen.

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Ganze Wege wurden vom Unwetter Daniel" zerstört. (Foto: © Ulrike Dietschy)

„Wissen die da draußen überhaupt, dass hier jemand wohnt?“

Ausgangssperre, wodurch ich zunächst auf das Häuschen hier beschränkt war, ohne Außenkontakt. Ausgangssperre für die Region – fand ich zunächst lächerlich, entmündigend, doch dann begann ich Sinn darin zu sehen. Ein Beispiel: Wenn ich im Auto fuhr, konnte ich von oben nicht sehen, wo die Straße unterspült ist und einbrechen könnte – also besser, doch zu Hause bleiben. Wissen die da draußen überhaupt, dass hier jemand wohnt und anwesend ist? Irgendwann wollte ich zumindest das Handy aufladen fahren. Doch da lagen Felsblöcke Richtung Trikeri, ich drehte um. Richtung Milina: Wo vorher Straße war – plötzlich nichts – ein gähnender Spalt von vier Metern Breite. Die Strommasten waren auch hinunter gebrochen. Da verstand ich, warum wir keinen Strom hatten ... Wieder umdrehen – einsehen, dass die Straße in beide Richtungen blockiert war.

Auf dem Rückweg das Handy im Auto aufladen, ich kam auf 6 %. Ein paar Leute traf ich auf der Straße. Sie winkten, lächelten: „Hey, you are one of the gang, good to see you, glad you’re here, good you’re alive!“ Da war ein Einverständnis, eine elementare Zugehörigkeit, die Unmittelbarkeit der Erfahrung. Man rührt an das Leben selbst. Freude. „Do you need water? Do you have enough food? Do you need Diesel?“, „We are staying on the hill where the old Citroen is parked – if you need something.“ Es tut so gut, Menschen zu treffen, menschliche Stimmen zu hören. Am Abend sah ich gegenüber hinterm Hügel zwei Lichter – ach, wenn der Strom erstmal bis hier käme. Wann das wohl sein würde? Da wird einem bewusst, was alles von Strom abhängt. Ich erwartete, dass mit dem Strom auch das Wasser zurückkommen würde.

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Ein weggespültes Auto ragt aus dem Wasser. (Foto: © Ulrike Dietschy)

„Ein neuer Lebensabschnitt beginnt!“

Am nächsten Tag, am Freitag, sah ich an einem Haus die Außenlampe brennen. Ich ging ins Haus und knipste den Schalter an. Der Strom war zurück. Ein neuer Lebensabschnitt beginnt! Nur das Wasser blieb aus.

Am selben Abend traf ich einen Mann, der von Horto hierher durchgekommen war, was bedeutete, dass der Spalt repariert worden war. Die Welt lag wieder offen vor uns! Am Samstag würde ich nach Argalasti fahren, mich mit Gemüse versorgen, einen Wasservorrat holen und tanken und einen Cappuccino trinken in Feierlaune!

Gegen 9 Uhr war ich bei dem Spalt. Er war nicht wie erwartet mit einer Rampe überbrückt, sondern man hatte offensichtlich den vier Meter tiefen Spalt mit Überschwemmungsmaterial, Morast, angeschwemmter Erde und Steinen aufgefüllt. Das triefende Material hatte oben tiefe Spurrinnen gebildet. Da kam ich nicht rüber! Da bräuchte ich einen Landrover oder Pickup und im Hintergrund jemanden, der mich rauszieht, falls ich stecken bliebe. Schließlich fuhr ein Mann aus Holland mein Auto und saß ein paar Mal auf. „That’s normal!“ und schaffte es auf die andere Seite.

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Ein Feuerwehrauto steckt eingesackt in der Straße. (Foto: © Ulrike Dietschy)

„Sinnbild von Dysfunktionalität und Vergänglichkeit“

Ich war eine halbe Stunde zu früh dran. In Griechenland beginnt das aktive Leben um 10 Uhr. In Milina kamen mir riesige Laster entgegen. Wer sind diese jungen Männer, die solche Maschinen manövrieren können? Ich sah Milina das erste Mal nach der Flut. Eine Antenne und Windschutzscheibe ragten aus dem Wasser, drei Meter über mir ein Auto – die rote Schnauze abwärtsgerichtet, auf einem Haufen Treibgut. Ein Feuerwehrauto war gegen die Hausmauer gelehnt, die Straße unter ihm war abgesackt – ein Sinnbild von Dysfunktionalität und Vergänglichkeit. Man könnte sich in der Ästhetik des Grauslichen verlieren. Ich hatte vor keine Fotos zu machen, dann doch; das Fotografieren hilft mir die Augen aufzumachen, zu schauen, Details wahrzunehmen. Καταστροφη sagte der Restaurantbesitzer zu mir. Ich glaube, am besten geht es denen, die aufräumen, aufräumen, aufräumen - sie sind ganz vertieft in ihre praktischen Lösungen; sie stecken nicht in Ausweglosigkeit oder in Opferhaltung. Es geht weiter!

In Argalasti bekam ich Gemüse und Wasser, aber keinen Diesel. Die Lieferung wurde aus Larissa erwartet, doch dort kämpfte man mit Überschwemmungen. Kaum war ein Problem gelöst, tauchte das nächste auf: ohne Treibstoff konnte ich kein Wasser mehr besorgen. Jeden Tag wurde man wieder vor eine Herausforderung gestellt; wo sonst alltägliche Routine war, über die man gar nicht nachdenkt, brauchte es jetzt ständig neue Lösungsanläufe. Das machte die Ausnahmesituation aus. Nichts war selbstverständlich.

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Katzen sitzen auf weggespültem Stuhl. (Foto: © Ulrike Dietschy)

„Danke, danke, danke!“

Als ich zurückfuhr, schickte ich ein Stoßgebet voraus: „Tragt mich über den Spalt, irgendwie!“ Der Boden dort war jetzt eine fast ebene Fläche, die Laster haben gewerkt und die Piste eingeebnet, ich rauschte hinüber! Danke, danke, danke! Das Gefühl, eine Notgemeinschaft zu bilden mit den paar Leuten in der kleinen Bucht, flachte ab. Es ist nicht mehr die intime Gemeinschaft wie zu Zeiten, als wir von der Umwelt abgeschnitten waren. Schade eigentlich.

Ergänzend zum Kühlschrank: einen Erdkeller; ergänzend zum Stromnetz: Solarpaneele; alternativ zur Wasserleitung: eine Zisterne – das wäre jetzt Luxus. Es hat gefühlt 10° C weniger in Luft und Wasser als vor der Flut.

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