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Hochschulgermanistik in Griechenland: Offener Brief an Bildungsministerin Niki Keramaios

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Foto (© del.auth.gr): Dr. Elke Sturm-Trigonakis, Professorin für Vergleichende Literaturwissenschaft an der Aristoteles-Universität Thessaloniki Foto (© del.auth.gr): Dr. Elke Sturm-Trigonakis, Professorin für Vergleichende Literaturwissenschaft an der Aristoteles-Universität Thessaloniki

In meiner Funktion als Koordinatorin des Mittelmeer-Südeuropa-Germanistik-Netzwerks MSEG (gemeinsam mit meinem Kollegen Prof. Georg Pichler, Professor an der Universität Alcalá de Henares/Spanien) möchte ich einige Reflexionen zu den Plänen des Ministeriums zur Zusammenlegung von Universitätsabteilungen und speziell zur Position der Germanistikabteilungen in Athen und Thessaloniki darlegen.

Das Netzwerk MSEG wurde 2014 in Thessaloniki unter der Federführung der Griechischen Gesellschaft für Germanistische Studien gegründet und umfasst mittlerweile Vertreter*innen der Hochschulgermanistik auf Zypern, in Italien, Spanien, Portugal, Ägypten, Malta, Tunesien, Algerien, Marokko, Frankreich, Kroatien, Slowenien und natürlich Griechenland. Da wir als MSEG in regelmäßigen Abständen Berichte zur Situation der Germanistik in den einzelnen Ländern erstellen, haben wir einen sehr guten Überblick über die hochschulpolitischen Entwicklungen im Mittelmeerraumund nehmen mit dieser Expertise Stellung zur Situation der Hochschulgermanistik in Griechenland.

Ein Verlust an deutschsprachiger Fachkompetenz

Die Erfahrung aus Ländern wie Spanien und Portugal hat gezeigt, dass die Germanistik als Fach stets innerhalb weniger Jahre, nachdem die Abteilungen ihre Autonomie verloren haben, in eine prekäre Situation gerät. Denn Deutsch ist gegenüber Englisch dann auf jeden Fall zweitrangig und steht zudem noch in Konkurrenz zu anderen Sprachen wie Französisch oder – z. B. in Frankreich – Spanisch. Wenn Germanistik nurmehr überwiegend als Nebenfach existiert, bleiben die erworbenen Sprachkenntnisse gegenüber einem Hauptfachstudium auf niedrigerem Niveau und folglich gibt es weniger Interesse an Master- und Promotionsstudiengängen. Daraus resultiert ein starker Rückgang an qualifizierten Nachwuchswissenschaftler*innen und innerhalb weniger Jahre stirbt das Fach aus, weil freiwerdende Stellen mangels Bewerber*innen nicht mehr nachbesetzt werden können. Dieser Prozess ist unumkehrbar, denn akademische Qualifikationen werden über einen langen Zeitraum erworben.

Dieser Verlust an akademischem Wissen mag irrelevant erscheinen, doch werden die Konsequenzen dieses Prozesses rasch auf anderen Gebieten spürbar. Das Beispiel Frankreich etwa zeigt, dass die Politik der deutsch-französischen Freundschaft noch so sehr beschworen werden kann – wenn die Germanistik als Fach an den Universitäten nicht gebührend ausgestattet wird und das akademische Berufsfeld unattraktiv ist, gibt es weniger Promotionen und daher an den Hochschulen weniger Kapazität zur Ausbildung von Lehrkräften im Sekundar- und Primarbereich. So ergibt sich die schizophrene Situation, dass zum Beispiel Frankreich als wichtigster Handelspartner Deutschlands händeringend qualifizierte Arbeitskräfte mit Deutschkenntnissen in allen denkbaren Bereichen sucht, dieser Bedarf jedoch aufgrund der Einsparungen an den Hochschulen nicht befriedigt werden kann. Ähnlich sieht es auf Zypern aus, wo die Germanistik an der University of Cyprus quasi nebenbei durch einen (!) in Deutschland ausgebildeten Philologen vertreten wird und der starke Bedarf an sprachlichem und kulturellem Wissen zum deutschsprachigen Raum auf dem Arbeitsmarkt von der Universität komplett ignoriert wird.

Die griechische Germanistik darf ihr Niveau nicht verlieren

Der bisherige Status der Germanistik in Griechenland ist in vieler Hinsicht privilegiert, denn Deutschunterricht ist im Schulsystem bereits ab der Grundschule vorgesehen. Zudem müssen die Germanistik-Studierenden bei Aufnahme des Studiums eine relativ hohe Sprachkompetenz nachweisen, das den Dozent*innen wiederum ein Niveau in der Lehre erlaubt, um welches uns die Kolleg*innen in anderen Ländern, wo Deutsch erst an der Universität gelernt wird, beneiden. Dieser Effekt wird noch durch das vierjährige Studium verstärkt; das eine Jahr mehr gegenüber den in anderen Ländern üblichen dreijährigen Bachelor-Studiengängen gestattet uns die Lehre ausschließlich in deutscher Sprache und eine Vertiefung germanistischer Inhalte auf ebenso hohem Niveau wie in der Germanistik der Schweiz, Österreichs oder Deutschlands. Damit hat die griechische Germanistik in Lehre und Forschung trotz ihrer gerade mal zwei Abteilungen ein außergewöhnliches internationales Ansehen erworben, und dies in allen Subdisziplinen von der Translationswissenschaft über Linguistik, Literatur- und Kulturwissenschaft bis hin zu Deutsch als Fremd- und Zweitsprache.
Wenn nun Abteilungen zusammengelegt werden, findet ein Teil der Lehre zwangsläufig in der Landessprache statt, und dies geht ebenso zwangsläufig auf Kosten der Fremdsprache. Es macht einen Unterschied, ob die Studierenden im Grundstudium z. B. Einführungen in die Linguistik oder in die Literatur- und Kulturgeschichte der deutschsprachigen Länder in Deutsch absolvieren oder diese durch griechische Einführungen für Studierende aller philologischen Fächer ersetzt werden. Die Erfahrungen aus anderen MSEG-Ländern haben eindeutig bewiesen, dass dies am Ende des Studiums zu weniger Expertise und Kompetenz sowohl in sprachlicher als auch fachlicher Hinsicht führt. Damit könnten wir dem Bildungsauftrag der beiden Germanistik-Abteilungen in Griechenland, nämlich sowohl die DaF-Lehrer*innenausbildung als auch die Vorbereitung auf andere Berufsfelder im Zusammenhang mit dem deutschsprachigen Raum, nicht mehr gerecht werden. Denn um auf diesen beiden Feldern erfolgreich zu sein, ist es wichtig, dass unsere Absolvent*innen solide Kenntnisse der Kultur, der Gesellschaft und der Mentalität der Menschen aus diesem Raum erworben haben und natürlich auch sehr gute sprachliche Kompetenzen, um mit diesen kommunizieren zu können.

Offen für Reformprozesse

Dennoch möchte ich abschließend betonen, dass wir als germanistische Akademia Reformprozesse durchaus für notwendig halten und mit den alljährlichen Studienprogrammänderungen ja auch permanent an einer Optimierung und Aktualisierung unserer Curricula arbeiten. Sobald das Ministerium konkrete Reformvorschläge vorlegt, sind wir gern bereit, mit unserer Erfahrung und unserem Wissen an diesem Reformprozess mitzuwirken.

Dr. Elke Sturm-Trigonakis M.A.
Prof. für Vergleichende Literaturwissenschaft
Abteilung für Deutsche Sprache und Philologie
Aristoteles-Universität Thessaloniki

Die Vertreter*innen der MSEG:
Dr. Aberkane, Ali (Université Alger 2, Algier, Algerien), Prof. Dr. Abrantes, Ana Margarida (Universidade Católica de Lisboa, Portugal), Dr. Animi, Karim (Sidi Mohamed Ben Abdellah Université de Fes, Marokko), Dr. Dautel, Katrin (University of Malta, Malta), Dr. Kadhraoui, Karim (Université Jendouba, Tunesien), Prof. Dr. Lughofer, Johann Georg (University of Ljubljana, Slowenien), Dr. Papakyriakou, Antroulla (University of Nicosia, Zypern), Prof. Dr. Perrone Capano, Lucia (Università di Foggia, Italien), Prof. Dr. Pichler, Georg (Universidad de Alcalá, Spanien), Prof. Dr. Silhouette, Marielle (Université Paris Nanterre, Frankreich), Prof. Dr. Sturm-Trigonakis, Elke (Aristotle University, Griechenland), Prof. Dr. Tahoun, Riham Abdalla (King Salman International University, Sharm el sheik, Ägypten), Apl. Prof. Dr. Zelić, Tomislav (University of Zadar, Kroatien)

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