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Die elend langen Mittage

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Unser Foto (© GZrh) wurde auf der Insel Hydra aufgenommen. Unser Foto (© GZrh) wurde auf der Insel Hydra aufgenommen.

Auf dem Weg zum Flughafen kündigt ein privater TV-Sender auf einem Plakat in großen Lettern eine neue Sendung an. Nichts Ungewöhnliches. Nur: Die Zeitangabe macht stutzig. „Täglich 16 Uhr mittags (μεσημέρι, messiméri)”. Mittags? Um 16 Uhr ist doch schon Nachmittag! Oder dauert der Mittag in Griechenland ganze vier Stunden? Die Sache ist tatsächlich etwas kompliziert.

Die Mitte des Tages lässt mehrere Interpretationen zu. Messiméri ist zwar „rein wissenschaftlich“ 12 Uhr, gleichzeitig ist dieser Begriff jedoch dehnbar und umfasst auch die Zeit, wo die Sonne am intensivsten scheint, oder auch – laut dem Babiniotis Lexikon – generell die Zeit zwischen dem Morgen (πρωί, proí) und dem Nachmittag (απόγευμα, apógevma, eigentlich: die Zeit nach dem Mittagessen). Da apógevma die Zeit zwischen Mittag und Abend (βράδυ; vrády) beschreibt, kann man das „16 Uhr mittags“ des privaten TV-Senders eigentlich nur gelten lassen, wenn die dortigen Angestellten sich bis zu diesem Zeitpunkt niemals ein Mittagessen gönnen. Bei der Vereinbarung von Rendezvous ist also in Hellas Vorsicht geboten. Als Morgen ist entweder die Zeit rund um den Sonnenaufgang gemeint oder generell die Zeit vom Sonnenaufgang bis Mittag (12 Uhr). Den Nachmittag kann man, je nach Anschauung, von 12 Uhr bis in die Abendstunden verlängern. Und dieser Abend (vrády) ist zusammen mit der Nacht (νύχτα, nýchta) am exaktesten definiert. Es ist die Zeit zwischen dem Sonnenuntergang und dem Einbruch der Nacht. Nýchta beschreibt wiederum die Zeit zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang, in der nichts erhellt, es also dunkel ist. Diese flexible Auffassung der Tageszeiten beeinflusst auch die verwendeten Grußformeln. Guten Morgen (καλημέρα, kaliméra) nutzt man gewöhnlich bis etwa 12 oder 13 Uhr. Danach und bis in die frühen Abendstunden ziemt sich schon ein καλησπέρα (kalispéra, Guten Abend). Und machen Sie nicht den Fehler, bei schon hereingebrochener Dunkelheit ein καλό βράδυ (kaló vrády, Guten Abend) in den Mund zu nehmen. Unser Kollege Harry, ein aus Ägypten stammender Grieche, erntete von seinem Onkel kürzlich eine Rüge, als er sich um 21 Uhr, draußen war es bereits finster, mit Guten Abend verabschiedete – καληνύχτα (kalinýchta, Gute Nacht) sei korrekt, sagte der in Athen geborene Onkel ganz dezidiert.

Robert Stadler

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