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Ein kritischer Philologe

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Wenn Sie es denn hätten wissen wollen, hätten Sie sehr schnell – etwa in einem ausführlichen lateinischen Wörterbuch – erfahren können, dass die Alten Römer den Begriff philologus so verwendeten, wie wir heute einen Philologen einschätzen: einen „Freund der Wissenschaften, insbesondere einen Gelehrten, der, mit antiquarischen und historischen Kenntnissen ausgerüstet, die Werke anderer Gelehrte erklärt.“

Dabei ist ja für jeden erkenntlich, dass das lateinische philologus nichts anderes ist als die Übertragung des griechischen philologos ins Lateinische. Umso überraschender ist es, wenn wir erfahren, dass ein altgriechischer Philologos keineswegs ein gesellschaftlich hochgeachteter Lehrer war, sondern mit einem „Polýlalos“ gleichgesetzt wurde. Und das ist ein geschwätziges Großmaul, ein Phrasendrescher und was dergleichen nette Charakterisierungen noch mehr sind. Bei dem hochgelehrten hellenistischen Autor Athenaios können wir sogar den Bezug zum Stammtischgequatsche nachlesen: „Der Wein macht aus allen Maulhelden (oinos philologous pantas poiei). Die ganze Frage hängt natürlich zusammen mit der lateinischen Interpretation des griechischen Logos. Die Römer dachten dabei sogleich an die Schriftzeugnisse der Griechen, während die Griechen immer zuerst das gesprochene Wort im Ohr hatten. Und ein „Freund des gesprochenen Worts“ kann ja bekanntlich schnell zum Zungendrescher mutieren. Ein Philologe im heutigen Sinn war bei den Alten Griechen als Lehrer ein Grammatikós und als Sprach- und Literaturfreund ein Kritikós, beides Begriffe, die auch heute noch als Grammatiker und Kritiker – über das Lateinische – in Gebrauch sind. Wobei der Hinweis nicht fehlen darf, dass der römische críticus ein Lehrer der griechischen, und nicht etwa der lateinischen Sprache und Kultur war.

Hans Eideneier

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