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Beruhigungsmittel mit einer „gewissen stinkenden Strenge“

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Foto (© GZwa: Der Baldrian - Valeriana dioscoridis syn. Italic - Valeriana officinalis - Βαλεριάνα Foto (© GZwa: Der Baldrian - Valeriana dioscoridis syn. Italic - Valeriana officinalis - Βαλεριάνα

Geht man den Fußpfad bei uns ins Tal hinab, kommt man vorbei an Zistrosen, Salbei und Mauerpfeffer, vorbei an Steineichen, Johannisbrot- und Erdbeerbaum. Man gelangt über trockene, sonnige Steinhalden zuerst, dann durch kühles, dunkles Gebüsch bis zu einem alten Bachbett. Vor Jahrzehnten floss dort Sommer wie Winter Wasser.

Wäsche wurde gewaschen und die Kinder badeten. Sicher war damals die Flora noch vielfältiger, auch in der heißen Jahreszeit. Eine Ahnung von dieser Üppigkeit vergangener Zeiten kann im Frühling entstehen, wenn alles blüht und grünt, wenn die Winterregen das Land zu neuem Leben erwachen lassen.

So entdeckte ich dort eines Jahres im Mai den Baldrian. Welche Freude war es, als ich ihn zum ersten Mal sah! An der Blüte erkannte ich ihn. Vom Sonnenlicht durchflutet stand er vor mir. Eigentlich liebt der Baldrian doch feuchte Wiesen! Doch kein Zweifel! Seine kleinen weißlich-rosa Blüten, doldenförmig aufgereiht, ihr besonderer Geruch, die sattgrünen, gefiederten Blätter und der kräftige, hohle Stängel waren Erkennungsmerkmale genug. Auf felsigem Boden, zwischen den Steinen, wuchs er heraus.
Als ich dann seine Wurzel im Herbst, es war etwa um diese Zeit, graben wollte, fand ich ihn nicht mehr. Ganz zurückgezogen hat er sich. Weder Blätter noch vertrocknete Stängel waren zu sehen. Doch diese sind in der Phytotherapie nicht so wichtig. Auf seine Wurzel kommt es an.

Im Dienste der Menschen seit 2000 Jahren

Die Baldrianwurzel und ihre Heilkraft sind schon seit mehr als zwei Jahrtausenden bekannt. Bei Griechen und Römern wurde sie mit dem geheimnisvollen Namen „Phu“ bedacht. Für Hippokrates war der Baldrian ein Mittel bei Frauenleiden und Nervenleiden, Dioskurides setzte ihn gegen Seitenstechen und Harnverhalten, Plinius empfahl ihn bei Augenleiden, Hildegard von Bingen nutzte ihn bei Gicht. Die Baldrianwurzel sollte gegen Pest und andere Seuchen helfen. Sie hielt Hexen fern und galt als Gegenzauber. Als Amulett getragen war sie der Schutz vor allen bösen und dunklen Mächten, und es hieß sogar, bei Vollmond würden Elfen um ihn herumtanzen … Viele Geschichten gäbe es dazu zu erwähnen.
Interessant ist dabei, dass die Hauptwirkung des Baldrians, wie wir sie heute kennen, nämlich seine beruhigende Wirkung, nicht hervorgehoben wird. Erst in den Schriften des 17. Jahrhunderts ist das erste Mal ausführlich die Rede davon. Die Wurzel wirkt entspannend und beruhigend. Sie wird in einem Kaltansatz zubereitet, dann geköchelt. Dieser Tee kann auch tagsüber bei nervöser Unruhe und Überreizung getrunken werden, da er die Konzentration nicht beeinträchtigt, sondern eher steigert. Ideal also z. B. bei Prüfungsangst und Lampenfieber. Fahrtüchtigkeit und Reaktionsvermögen bleiben voll erhalten. Am Abend getrunken wirkt er schlaffördernd bei nervös bedingten Schlaf- oder Einschlafstörungen. Er kann außerdem bei krampfartigen Schmerzen im Magen- und Darmbereich helfen, sowie bei nervösen Herzbeschwerden. Auch in Tropfenform und Dragees oder Tabletten ist die Baldrianwurzel als pflanzliches Heilmittel erhältlich, manchmal in Kombination mit Melisse und Passionsblume. Die beruhigende, nicht süchtig machende Wirkung der „Valeriana radix“ ist nach neuesten Forschungen auf die Valerensäure, ein Sequiterpen, zurückzuführen. Es ist eine geruchs - und farblose Komponente der Wurzel im Echten Baldrian, Valeriana officinalis.

Eine Pflanze wie ein „Duftender Ananasstrauch“

Nun hat ja fast jede und jeder schon einmal etwas von Baldrian und seiner so positiven Nerven beruhigenden Eigenschaft gehört, vielleicht auch schon eigene wohl tuende Erfahrungen damit gemacht. Doch fast alle, die ich darauf hin anspreche, reagieren mehr oder weniger heftig, bis hin zu hellem Entsetzen, sogar Hysterie. (Eigentlich ein Fall für Baldrian! …Damit sie sich wieder beruhigen.) Der Grund liegt ohne Zweifel an seinem Geruch. Wie drückte es Dioskurides so treffend aus? … Er entbehre nicht einer „gewissen stinkenden Strenge“. Und das ist für viele noch harmlos formuliert.
Beim Trocknen der Wurzel wird die so genannte Baldriansäure frei gesetzt, eine Pentansäure, die oft auch gemein hin als Valeriansäure bezeichnet wird. Es ist ein durchdringender, immer etwas „feuchter“ Geruch, der von vielen als Gestank empfunden wird. Im Gegensatz zu den meisten Menschen, lieben ihn die Katzen. Katzen macht er angeblich ganz verrückt und toll.
So kann der Baldrian im deutschen Sprachgebrauch eine ganze Reihe unterschiedlicher anderer Bezeichnungen vorweisen: Stinkwurz, Katzenkraut, Tollerjahn, Augenwurz, Elfenkraut oder Mondwurzel. Nun würde nur noch „Duftender Ananasstrauch“ fehlen …, denn witziger Weise wird diese unattraktiv riechende Pentansäure in der Weiterverarbeitung im Labor zu einem fruchtigen, wohlriechenden und wohl schmeckenden Aroma. Dies wird zum künstlichen Aromatisieren verwendet, wenn z. B. Ananas- oder Apfelgeschmack gefragt ist.

In Griechenland sind viele Sorten heimisch

In Griechenland sind zehn Baldrianarten beheimatet. Die häufigste Art ist Valeriana diocoridis syn. italica, die in felsigen, trockenen Fluren wächst. Ihre Wurzeln sind klein, fast zart und leicht verzweigt. Auch der Echte Baldrian, Valeriana officinalis, ist in feuchten Gebieten und in meist höheren Lagen zu finden. Seltener ist der Valeriana tuberosa. Er bevorzugt mit seinen knollenförmigen Wurzeln trockenes Grasland, z. B. auf der Peleponnes und im Nordwesten Griechenlands. Die weit verbreitete Rote Spornblume, Centranthus ruber, eine giftige Pflanze, gehört auch in die Gruppe der Baldriangewächse. Und übrigens … der Feldsalat, gerne im Winter als „Rapunzel-Salat“ gegessen, ist ebenfalls eine Baldrianart, eine Valerianella.
Nun wächst der gute Baldrian auch bei uns im Garten, groß und stark. Er fördert das Wachstum und Gedeihen von Gemüse und anderen Pflanzen, wie inzwischen aus dem ganzheitlichen Gartenbau bekannt ist. Und jedes Jahr aufs Neue blüht er, von der Frühlingsonne ganz durchflutet, als bringe er das Licht auf die Erde, und alles Schlechte muss zurückweichen. Wenn ich nun im Herbst die Wurzel brauche, weiß ich genau, wo ich zu graben habe, auch wenn schon seit langem keine Blätter oder vertrocknete Stängel mehr zu sehen sind.

(Griechenland Zeitung / Waltraud Alberti)

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