Wohl ist man sich darüber einig, dass der sagenhafte Odysseus aus Homers Epos an der griechischen Westküste beheimatet war und dass sich sein Königreich auf den Ionischen Inseln befand. Doch bei der Frage, wo man denn Odysseus’ wahre Heimat suchen müsse, da scheiden sich die Geister.
Die Inseln Ithaka oder Kefalonia, nur 30 Kilometer voneinander entfernt, werden da genannt oder auch das hiesige, auf dem Festland gelegenen Hafenstädtchen Paleros am Ionischen Meer. Über den Herkunftsort und die verschiedenen Aufenthalte des Helden während seiner Odyssee zirkulieren Geschichten, Gerüchte und Anekdoten. Jeder will sich eine Scheibe vom Epos abschneiden und sagenhafte Ereignisse in der eigenen Heimat ansiedeln. Auf Ithaka legen Archäologen eine Akropolis frei und finden eine antike Münze mit dem Abbild von Odysseus. Diese Funde scheinen das Eiland als echte Heimatinsel des Abenteurers zu belegen. Allen Reisenden und Seglern blickt deswegen bei ihrer Ankunft im Hafen eine Statue von Odysseus entgegen. Auf Kefalonia wiederum sind andere Theorien über die Saga im Umlauf. Hier erfährt man von den Einwohnern, dass Odysseus nach jahrelanger Irrfahrt in einer kefalonischen Bucht gelandet ist. Aus diesem Grund vertreten alle Leute, die in der Nähe einer Bucht leben, die Überzeugung, dass nur die ihrige die sein kann, wo der herumirrende Held von Troja gestrandet sei. Bestimmt können Sie sich ein Bild von den leidenschaftlich geführten Debatten machen! Welche der beiden Inseln inspirierte Homer wohl bei der Niederschrift seines Epos? Ein weiterer Beweis der Kefaloniten für Odysseus’ Herkunft von ihrer und nicht von der Nachbarinsel ist Homers Erwähnung eines hoch aufragenden Berges. Dabei kann es sich wohl nur um den Enos mit seinen 1.628 Metern Höhe handeln. Zudem wurde auf Kefalonia ein Königsgrab aus mykenischer Zeit freigelegt. Die Recherchen, ob es sich dabei um Odysseus’ letzte Ruhestätte handelt, sind nach wie vor am Laufen. Die Einwohner Kefalonias und Ithakas werden wohl noch für lange Zeit ihren Disput austragen. Ob man sich dabei wohl jemals die Frage stellt, ob es den Helden aus Homers Epos denn auch wirklich gegeben hat? War dieser abenteuerlustige Grieche ein Mensch aus Fleisch und Blut? Wie dem auch sei: Am Ionischen Meer scheinen sich sagenhaft-fantastische Geschehnisse ereignet zu haben! Und viele behaupten, dass eine Regel auch für Homers Werk gelten würde: Kein Rauch ohne Feuer!
Ein mittlerweile verstorbener Freund, den wir alle bei seinem Nachnamen Kanelos riefen, war der felsenfesten Überzeugung, dass Odysseus sein Haupt einst auf einen Stein hier am Meeresufer gebettet hat – nicht weit vom Naftaki entfernt, dem Kafenion am Hafen. Genau hier habe der Held sich von seinen Strapazen erholt, bevor er zu neuen Abenteuern aufgebrochen sei. Derweil wartet die Ehefrau Penelope auf seine Rückkehr – ganze 20 Jahre. Auf Kefalonia und Ithaka ist Penelope immer noch ein Name, der häufiger als im übrigen Griechenland vorkommt. Zu vorgerückter Abendstunde im Kafenion am Hafen sitzend höre ich, wie der Gemüsehändler den Namen Penelope zum Scherz in die Runde wirft, als sein Kumpel Kanelos wieder einmal bei Tsipouro und lautstark vorgebrachten Argumenten etwas über die Stränge schlägt: „Η Πηνελόπη περιμένει στο σπίτι“ – „Penelope wartet zu Hause.“ Die Frau seines Kumpels heißt Vasso, sie hat kein Nudelholz, sondern wartet, geduldig wie Penelope, auf die Rückkehr ihres Ehemanns. (Griechenland Zeitung / Linda Graf)