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„Kunst kann an einem Abend mehr bewirken als Politik in manchen Jahren“

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Foto (© Amanda Holmes): Danae und Kiveli: Pianistinnen und Festivalorganisatorinnen Foto (© Amanda Holmes): Danae und Kiveli: Pianistinnen und Festivalorganisatorinnen

Die Pianistinnen Danae Doerken und Kiveli Doerken organisieren seit 2015 im August ein Kammermusik-Festival auf Lesbos – das „Molyvos International Music Festival“. Das Motto diesmal: „Liberty“. Aus diesem Anlass sprach Stefan Berkholz mit den Musikerinnen über das Festival und ihre deutsch-griechische Familie.

GZ: Wie entstand die Idee zum klassischen Kammermusikfestival auf Lesbos?

Danae Dörken: Der allererste Beweggrund war unsere Leidenschaft. Wir tragen sowohl Lesbos als auch die klassische Musik in uns. Diese beiden Bereiche unseres Lebens wollten wir vereinen. Es gab ja früher kaum klassische Konzerte auf Lesbos. Wir wollten diese tolle Musik den Inselbewohnern, aber auch den Touristen, die im Sommer die Insel besuchen, einfach nahebringen. Zusätzlich haben wir auch Bildungsprojekte ins Leben gerufen, die das ganze Jahr über stattfinden. Wir kooperieren da mit den Schulen vor Ort und ermöglichen den Schulkindern einen ersten Zugang zur klassischen Musik.

GZ: Warum haben Sie Lesbos für das Festival gewählt?

Kiveli Doerken: Unsere griechische Familie stammt von Lesbos. Unsere Großmutter ist dort geboren. Die Insel hat seit frühester Kindheit einen ganz besonderen Platz in unserem Herzen. Es ist der Ort, an dem wir jeden Sommer verbracht haben und den wir immer mit der größten Freude im Jahr verbunden haben.

GZ: Ihre Mutter ist Griechin, Ihre beiden Vornamen stammen aus der griechischen Mythologie, Sie selbst sind aber beide in Deutschland groß geworden?

Danae Doerken: Ja, wir sind beide in Deutschland geboren und aufgewachsen. Zu Hause haben wir Griechisch gesprochen.

Kiveli Doerken: Man kann sagen, wir sind mit der griechischen Kultur groß geworden.

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Foto (© Jean Francois Renaud): Molyvos Kastro

„Wir wollen einen guten Geist nach Lesbos tragen“

GZ: Welche Rolle spielten in Ihren Überlegungen und Planungen von Anfang an die vielen Flüchtlinge, die auf Lesbos untergebracht sind?

Kiveli Doerken: Das Festival ist nicht wegen der Flüchtlingskrise gegründet worden. Doch wir mussten uns dann natürlich damit auseinandersetzen. Wenn Menschen in Not sind und mit Leid und Schwierigkeiten zu kämpfen haben, genau dann spielt ein Kunst- Event wie dieses Festival eine überwältigend wichtige Rolle. Das Festival soll dazu beitragen, dass alle für ein paar Tage etwas optimistischer und offener werden. Wir wollen einen guten Geist nach Lesbos tragen.

Danae Doerken: Wir tun unser Bestes, um in dieser emotional aufgeladenen Situation, eine positive Gegenbewegung zu schaffen. Wir wollen ein Teil der Lösung sein!

GZ: In welchem Rahmen finden die Konzerte statt. Es ist Sommer, also unter freiem Himmel?

Danae Doerken: Ja, alle Konzerte bis auf das Lunch Konzert finden Open Air statt. Das Mittagskonzert dagegen wegen Sonne und Hitze in einer ehemaligen Moschee. In diesem Jahr werden wir wegen Corona in einem wunderschönen Pinienwald eine Bühne mit einer besonderen Beleuchtung aufstellen. Der Pinienwald wurde von unserem Urgroßvater gepflanzt und hat deswegen für uns auch eine ganz persönliche Bedeutung.

„Ein Freundeskreis, der diesen Traum möglich macht“

GZ: Wie finanziert sich das Festival?

Danae Doerken: Die Finanzierung des Festivals ist jedes Jahr eine große Herausforderung.

Kiveli Doerken: Wir sind sehr dankbar für die Zusammenarbeit mit der Deutschen Botschaft in Griechenland sowie dem griechischen Ministerium für Kultur. Wir sind auch dankbar für alle privaten Sponsoren, die das Festival unterstützen. Zudem wird unser Festival ehrenamtlich sehr stark gefördert. Ohne diese Hilfe und dieses Engagement ginge es nicht. Es gibt viele Leute, die an unsere Vision glauben, und uns bei der Organisation unterstützen. Wir haben einen treuen Freundeskreis, der diesen Traum Jahr für Jahr möglich macht.

GZ: Sie wählen immer ein Thema, eine Überschrift für das alljährliche Festival. Dieses Jahr ist es Liberty, also Freiheit. Warum dieses Motto?

Kiveli Doerken: Wir haben diesen Titel in diesem Jahr primär zum 200. Gedenkjahr der Griechischen Revolution gewählt. Und in unserem Programm thematisieren wir die Idee von Freiheit in der Menschheitsgeschichte, angefangen von der griechischen Antike bis zum Verständnis von Freiheit heutzutage.

Danae Doerken: Die griechische Revolution ist ja eher als der griechische Freiheits- und Unabhängigkeitskampf bekannt. Es war ein extrem blutiger Konflikt. Die Griechen, seit hunderten von Jahren unter osmanischer Herrschaft, haben für ihre Unabhängigkeit gekämpft. Wir wollen mit unserem Programm den Fokus auf die starke europäische Unterstützung richten. Dichter und Künstler aus ganz Europa reisten nach Griechenland oder sie widmeten ihre Kunst den griechischen Unabhängigkeitsbestrebungen.

GZ: Bei „Songs for Hellas“, einem 18-minütigen Stück für Klavier und Gesang, sind Sie beide zu hören, Komponistin ist Konstantia Gourzi. Können Sie dazu etwas sagen?

Danae Doerken: Eine der Figuren, die den Gedanken des Philhellenismus in der Kunst verkörperten, ist der deutsche Dichter Wilhelm Müller. Er schrieb in den Jahren 1821 bis 1826 mehrere Gedichtzyklen, die sich mit dem griechischen Freiheitskampf befassen. Damit wurde er zu einem Vorreiter der Philhellenismus-Bewegung.

Kiveli Doerken: Und dann haben wir die Komponistin Konstantia Gourzi gebeten, eine Auswahl dieser Gedichte zu vertonen und einen neuen Liederzyklus für Tenorstimme und Klavier zu schreiben. Diese Komposition wird das erste gegenwärtige Werk sein, das in seiner Instrumentation – Klavier und Stimme – und Anlage als Nachfolger zu Franz Schuberts „Winterreise“, ebenfalls eine Vertonung von Müller-Gedichten, aufgefasst werden kann. Uraufgeführt wird das Werk von Julian Prégardien, einem der führenden Tenöre seiner Generation.

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Foto (© Dorothea Dimitrio): Molyvos

Brücke zwischen Emotionen und der rationalen Welt

GZ: Ist das so etwas wie der Höhepunkt des Programms?

Danae Doerken: Ja, vielleicht.

Kiveli Doerken: Aber wir freuen uns auch besonders auf die Symphonie 1821 von Nicolas Astrinidis, die wir eigens fürs Festival in einer kammermusikalischen Bearbeitung von Wolfgang Renz haben arrangieren lassen. Diese Symphonie ist vor fünfzig Jahren, zum 150-jährigen Jubiläum der griechischen Revolution, geschrieben worden.

GZ: Kann Musik eigentlich politisch wirken?

Danae Doerken: Wir wollen eine Brücke bauen. Über die Emotionen in der Musik auf die rationalere, politische Welt weisen. Und etwas anderes kommt hinzu: In der Kultur ist die Hemmschwelle gegenüber Ungewohntem deutlich geringer, es gibt dafür einfach mehr Toleranz. So kann man auf natürliche Weise erkennen, dass Vielfalt Bereicherung und Stärke bedeutet.

Kiveli Doerken: Wir versuchen uns in unserem Festival auch darüber im Klaren zu sein, was wir nicht bewirken können: nämlich politischen Wandel. Aber wir sind uns zugleich darüber bewusst, dass Kunst, bezogen auf die menschliche Psyche, an einem Abend mehr bewirken kann, als die Politik es in manchen Jahren hinkriegt.

Die Schwestern Danae Doerken (geb. 12.8.1991) und Kiveli Doerken (geb. 17.7.1995) haben sich bereits in jungen Jahren in der internationalen Klassikszene einen Namen gemacht. Danae wurde früh von dem berühmten Geiger Yehudi.

Weitere Infos: hier

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