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Fernsehauftritt der Parteiführer: Keiner lehnt sich aus dem Fenster Tagesthema

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Fernsehauftritt der Parteiführer: Keiner lehnt sich aus dem Fenster

Am Mittwochabend begann mit einer kleinen Verspätung gegen 21.15 Uhr eine Fernsehdebatte der Parteiführer angesichts der Parlamentswahlen am 20. September. Das etwa dreistündige Event galt als vorläufiger Höhepunkt des bisherigen Wahlkampfes; doch letztlich wurden die Fernsehzuschauer wohl eher enttäuscht – neu war eigentlich gar nichts.

Rund um den staatlichen Fernsehsender ERT, wo die TV-Debatte am Mittwoch stattfand, hatten sich schon frühzeitig Einsatzkräfte der Polizei und ganze Reporterteams versammelt. Allmählich trafen auch die Vorsitzenden der wichtigsten Parteien ein (die GZ führt sie hier entsprechend ihres Einflusses im bisherigen Parlament an): Alexis Tsipras vom Bündnis der radikalen Linken (SYRIZA), Vangelis Meimarakis von der konservativen Nea Dimokratia (ND), Panagiotis Lafazanis von der seit kurzem von SYRIZA abgespaltene „Volkseinheit“ (LAE), Stavros Theodorakis von der liberalen To Potami, Dimitris Koutsoubas von der kommunistischen KKE, Panos Kammenos von der rechtspopulistischen ANEL und Fofi Gennimata von der sozialistischen PASOK. Ausgeschlossen von der Diskussion war der Vorsitzende der faschistischen Chryssi Aygi, Michalis Michaloliakos, weil gegen diese Partei ein schwerwiegender Gerichtsprozess läuft.


In Reih und Glied vor den Reportern


Schließlich saßen die sechs Politiker in Reih und Glied auf ihren Plätzen, ihnen gegenüber sechs Journalisten der größten griechischen Fernsehanstalten. Debattiert wurde über die Fragen 1) Wirtschaft, Wachstum, Arbeitslosigkeit; 2) Öffentliche Verwaltung und Sozialpolitik; 3) Bildung und Gesundheit, 4) Migrationspolitik und Flüchtlingsproblem; 5) Außenpolitik und Verteidigung; 6) Ein Thema der freien Wahl des jeweiligen Journalisten. Die Diskussionsrunde leitete Panos Charitos, Journalist des staatlichen Fernsehsenders ERT.


Das Ergebnis war eher lau


Obwohl die Debatte drei Stunden, das heißt bis nach Mitternacht dauerte, fiel das Ergebnis für die Zuschauer relativ mager aus; nicht wenige berichteten im Anschluss, dass sie leider der Schlaf übermannt habe. Neuigkeiten im eigentlichen Sinne wurden nicht bekannt. So gut wie keiner der Politiker hat direkt auf die gestellten Fragen geantwortet. Die Gelegenheit wurde vielmehr dazu genutzt, um bereits bekannte Positionen darzulegen – und um die politischen Gegner für die Situation in Griechenland verantwortlich zu machen. Es stellte sich das Gefühl ein, dass der sichere Weg der allgemeinen Stellungnahme vorgezogen wurde, um „den großen Fehler“ zu vermeiden. Niemand wollte sich aufs Glatteis begeben.


Tsipras will Reformkurs fortsetzen


Auffallend war, dass der Parteivorsitzende von SYRIZA die scharfen Töne in der Debatte vermied und eher auf realistische Punkte seines Wahlkampfprogramms hinwies. Er sprach von der Notwendigkeit, die Maßnahmen, die das dritte Spar- und Reformprogramm („Memorandum“) vorsieht, durchzuführen. Gleichzeitig verwies er darauf, dass seine Regierung nicht kapituliert sondern stattdessen hart mit den internationalen Geldgebern in Brüssel verhandelt habe. Die ungeliebte Immobiliensteuer (ENFIA), die er nach den letzten Wahlen am 25. Januar abschaffen wollte, was aber in der Praxis nicht geschah, bezeichnete er als „irrational“. Er verwies darauf, dass diese unter der ND eingeführt worden sei. Sobald sich die Wirtschaft stabilisiert habe, werde man diese wieder abschaffen, stellte Tsipras nun fest.


Chef der Konservativen für große Koalition


ND-Chef Meimarakis sprach sich abermals für eine große Koalition aus seiner Partei und SYRIZA aus. Wenn es gewünscht werde, könne er noch vor den Wahlen der Parteizentrale von Tsipras einen Besuch abstatten, um darüber zu sprechen. Trotz dieses Angebotes äußerte der Konservative scharfe und zum Teil auch persönliche Kritik am Linkspolitiker Tsipras. Meimarakis verwies darauf, dass Tsipras „erst mit großer Verspätung“ eine Vereinbarung mit den europäischen Geldgebern erreicht habe. Dies habe der griechischen Wirtschaft schwere Schäden zugefügt. Das Ziel seiner eigenen Partei, so der Konservative, sei vor allem Investitionen und die Schaffung neuer Arbeitsplätzte.


Die Volkseinheit will zur Drachme zurück


Panagiotis Lafazanis von der neu von ihm neu gegründeten linken Partei „Volkseinheit“ wirbt hingeben für eine Rückkehr zur Drachme. Zur negativen Einstellung gegenüber der Drachme sei es nur gekommen, „weil es in der Öffentlichkeit nicht genügend diskutiert wurde“, sagte er. Schuld daran seien „die griechischen Medien und das europäische Establishment“.
Stavros Theodorakis von „To Potami“ erklärte: „In der Politik gibt es keine idealen Lösungen. Wenn man vor dem Abgrund steht, muss man bereit sein, auch negative Entscheidungen zu treffen.“ Obwohl seine Partei nicht in der Regierungsverantwortung stand, habe sie im Juli für das dritte Spar- und Reformpaket gestimmt, „um das Land von einer größeren Katastrophe zu bewahren“. Mit großen Reformen will Theodorakis jenen beistehen, die die „Verlierer“ des Memorandums seien.

Dimitris Koutsoubas von der KKE hat vor allem die ideologischen Unterschiede seiner Partei von der Volkseinheit unterstrichen. Seiner Ansicht nach dürfe es „keine Lösung innerhalb der EU geben“.
Was Panos Kammenos betrifft, dessen ANEL nach dem 25. Januar mit SYRIZA koalierte, so bekundete er weiterhin Interesse daran, mit Tsipras die Geschicke des Landes zu lenken. Die erst kürzlich gewählt Parteivorsitzende der sozialistischen PASOK Fofi Gennimata verwies vor allem auf die reichhaltigen Erfahrungen und Kenntnisse, die ihre Partei in den letzten Jahrzehnten erworben habe. Vor allem verwies sie auf verhandlungstechnische Fertigkeiten ihrer Genossen.


Man wartet auf das Duell der beiden Großen


Ob diese Fernsehdiskussion den Erwartungen der Bürger gerecht wurde, ist fraglich. Auf dem Programm steht allerdings noch eine weitere Fernsehdebatte am Montagabend. Dann werden sich die beiden Hauptkontrahenten Tsipras und Meimarakis ein Duell liefern. Ziel wird es vor allem sein, die noch unentschlossen Wähler für sich zu gewinnen. Um das zu erreichen, werden sollten sie sich vielleicht etwas tiefer in die Karten blicken lassen.
(Griechenland Zeitung / mp)


Unser Foto (© Eurokinissi) entstand am Mittwochabend während der Fernsehdebatte im Gebäude des staatlichen Rundfunk- und Fernsehsenders ERT. Auf der linken Seite: die Politiker. Auf der rechten Seite: die Journalisten. In der Mitte: der Moderator.

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