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Solidarität oder Vermittlung? Die Rolle Deutschlands in den griechisch-türkischen Konflikten Tagesthema

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Unser Foto (© lifo) zeigt Dr. Ronald Meinardus, den Leiter des Mittelmeer-Programms des griechischen Think Tanks ELIAMEP. Unser Foto (© lifo) zeigt Dr. Ronald Meinardus, den Leiter des Mittelmeer-Programms des griechischen Think Tanks ELIAMEP.

Eine Online-Debatte fand kürzlich zum Thema „Mediation oder Solidarität? Die Rolle Deutschlands in den griechisch-türkischen Konflikten” statt. Es ging dabei nicht zuletzt um die Frage, ob und wie sich die deutsche Bundesregierung bei Vermittlungsversuchen einsetzen könnte.


Die Zahlen sind bedrückend. Sie stehen nicht in Einklang mit der Qualität der offiziellen Beziehungen zwischen zwei europäischen Ländern, die seit vielen Jahren auf unterschiedlichen Ebenen eng – im Großen und Ganzen harmonisch – zusammenarbeiten: Zwischen 2011 und 2019 hatten nach den Messungen der Demoskopen durchgehend zwei Drittel der griechischen Befragten ein negatives Bild von Deutschland. Die Negativwerte liegen im Durchschnitt bei 66 Prozent, schnellen Mitte des vergangenen Jahrzehntes – auf dem Gipfel der Euro-Krise – auf 78 Prozent in die Höhe. In dieser Zeit, an die kein Grieche, keine Griechin gerne zurückdenkt, haben vier von fünf Menschen in Griechenland ein negatives Bild von Deutschland.
Einen letzten demoskopischen Tiefpunkt dokumentiert derweil eine Umfrage des TV-Senders „Antenna“ vom Oktober 2021. Demnach halten nur vier Prozent der griechischen Befragten Deutschland für ein „befreundetes“ Land. Das Umfrageergebnis schockiert auch deshalb, da Russland, Saudi-Arabien und China deutlich vor Deutschland liegen.

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„Extreme Unbeliebtheit“

Für diese nur als extrem zu bezeichnende Unbeliebtheit Deutschlands bei (sehr) vielen Menschen in Griechenland gibt es mehrere Erklärungen: Experten führen drei „Episoden“ der jüngeren Geschichte ins Feld: Die Verbrechen der deutschen Wehrmacht während der Besatzung im Zweiten Weltkrieg und deren stockende Aufarbeitung, belastet die Beziehungen bis heute. Ein zweiter dunkler Fleck seien für vielen Menschen in Griechenland die Erinnerungen an die Euro-Krise. Weitverbreitet ist die Meinung, die deutsche Sparpolitik habe großen Schaden angerichtet. Schließlich ist da das Mega-Thema der griechisch-türkischen Beziehungen, das viele Bereiche der Politik in Griechenland dominiert. Fest verankert in den Köpfen vieler Griechinnen und Griechen ist das Narrativ, in ihrer nationalen Frage ersten Ranges stehe Berlin auf der Seite der Türken.

Es wäre interessant herauszufinden, welche dieser drei Faktoren für das heutige Deutschland-Bild in Griechenland ausschlaggebend ist. Mir ist keine empirische Untersuchung bekannt, die hier Klarheit schafft. Nach ungezählten Gesprächen mit Menschen in Griechenland, darunter auch jenen aus der politischen Klasse, ist es die wahrgenommene fehlende Unterstützung Deutschlands für Griechenland gegenüber der Türkei, die den Ausschlag gibt.
„Das Bild Deutschlands von Griechenland ist vor allem durch die Rolle geprägt, die Deutschland in der griechisch-türkischen Krise von 2020 gespielt hat“, sagt Dr. Günter Seufert von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und einer der besten Kenner der Thematik in Deutschland während eines Seminars der Hellenischen Stiftung für Europäische und Auswärtige Politik (ELIAMEP).

Eine aktuelle Untersuchung der bekannten griechischen Denkfabrik bestätigt die These, dass eine große Mehrheit in Griechenland der Meinung ist, dass die Zusammenarbeit mit Deutschland nicht den nationalen Interessen ihres Landes diene. In der Studie, in der verschiedene Aspekte der griechisch-türkischen Beziehungen demoskopisch aufgearbeitet werden, heißt es u. a., dass lediglich 26,3 Prozent der Befragten der Meinung sind, die Zusammenarbeit Athens mit Berlin nütze dem nationalen Interesse Griechenlands. Im Umkehrschluss besagt diese Zahl, dass drei von vier Griechen glauben, dass die Zusammenarbeit mit Deutschland nicht hilfreich sei für die nationalen Belange.

Bollwerk gegen türkische Anfechtungen

Eine wesentlich bessere Meinung haben ausweislich der Umfrage die Griechinnen und Griechen von den USA und der EU. Besonders positiv in der Meinungsforschung schneidet traditionell Frankreich ab. Ausschlaggebend für diese Popularität ist nicht etwa das gute französische Essen oder etwa die Kultur der „grande nation“. Diese griechische Sympathie geht auf die Pariser Haltung in den griechisch-türkischen Beziehungen zurück. Der griechisch-französische Verteidigungsvertrag wird hierzulande als ein Bollwerk gegen die befürchtete Anfeindung aus Anatolien perzipiert. Unvergessen bleibt die Haltung der Franzosen im Krisensommer 2020, als Paris sich ohne Abstriche hinter Athen gestellt hatte.
Damals hatte sich in der Europäischen Union die Berliner Position durchgesetzt, die auf Sanktionen gegen Ankara verzichtete. Auf Betreiben nicht zuletzt der deutschen Kanzlerin entstand die Politik der „Zusammenarbeit mit Konditionen“, die darauf hinwirkte, türkisches Stillhalten im östlichen Mittelmeer mit Angeboten der Kooperation zu belohnen. An dieser Zuckerbrot und Peitsche-Strategie hält die EU bis heute fest. Auch der jüngste EU-Gipfel befasste sich auf Athener Drängen mit der Türkei-Frage und bezog sich dabei auf die Erklärung vom 25. März 2021. In ihrer Türkei-Politik übt die EU demnach Kontinuität. In Ermangelung mehrheitsfähiger Alternativen hält die EU an der Politik Angela Merkels fest.
Nach Auskunft des Günter Seufert von der Stiftung Wissenschaft und Politik, die über direkte Drähte in die Schaltstellen der Macht in Berlin verfügt, sei das Auswärtige Amt erneut bereit, in der aktuellen Krise zwischen Athen und Ankara zu vermitteln. Seufert räumt indes ein, dass sich die Bedingungen seit 2022 – nicht zuletzt in Folge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine – drastisch geändert haben. Auch verweist der deutsche Türkei-Kenner auf die neue Qualität der türkischen Drohgebärden in der Ägäis (und auf Zypern). Ein neuer Faktor, der die deutsche Diplomatie gegenüber der Türkei erschwert, ist der Weggang von Angela Merkel. Am Ende ihrer 16-jährigen Kanzlerschaft, die nun wegen ihrer Russland-Politik ins Fadenkreuz der Kritiker gerät, war Frau Merkel eine der sehr wenigen internationalen Politiker, die ein persönliches Verhältnis des Vertrauens zu Erdogan hatten. „Ich bezweifle, ob Deutschland heute eine ähnliche Rolle spielen könnte wie 2020, selbst wenn die neue Regierung in Berlin bereit wäre diese anzunehmen“, sagt Günter Seufert auf dem ELIAMEP-Seminar.

Hoffen auf Baerbock

Derweilen setzen viele Menschen in Griechenland, die nicht die beste Meinung von der Altkanzlerin haben, große Erwartungen in die neue Regierung in Berlin, vor allem in die neue deutsche Außenministerin Annalena Baerbock. Die Hoffnungen stützen sich auf kritische Erklärungen der Grünen-Politikerin über die Lage der Menschenrechte in der Türkei, vor allem aber die Ankündigung der Partei, die Waffenlieferungen an Ankara auf den Prüfstand zu stellen. Vor den Bundestagswahlen im September letzten Jahres hatten sich die Grünen wiederholt gegen die Lieferungen von U-Booten an die Türkei ausgesprochen.
Es ist nicht bekannt, wie die deutsche Außenministerin heute zu der (alten) Position ihrer Partei zu den Waffenlieferungen an Ankara steht. Der Krieg in der Ukraine hat hier einiges durcheinandergewirbelt. Mit großer Sicherheit wäre das Thema beim Besuch der Außenministerin in Athen Anfang Juni zur Sprache gekommen. Die plötzliche Covid-Erkrankung führte zur Absage der Visite nach Athen und Ankara.
Im Vorfeld hatte das Auswärtige Amt eine Erklärung veröffentlicht, die sich auch auf die türkischen Provokationen in der Ägäis bezieht. Ohne die Türkei beim Namen zu nennen, schreibt die deutsche Ministerin, es gehe darum, „Probleme in Gesprächen zu lösen, nicht durch die Eskalation von Spannungen“. Die entsprechende Passage zählt zu den windelweichsten Formulierungen einer westlichen Regierung seit dem Aufflammen der jüngsten Krise. Wesentlich deutlicher wurde Bundeskanzler Olaf Scholz, der seinen Sprecher verkünden ließ, es sei nicht in Ordnung, in den griechischen Luftraum einzudringen, dies sei kontraproduktiv und gegen den Geist des Bündnisses.
Klarere Worte als die deutsche Diplomatie an die Adresse Ankaras fand die Europäische Union, die nun einmal mehr Ankara aufgefordert hat, die territoriale Integrität aller Mitgliedsländer – konkret geht es hier um Griechenland und die Republik Zypern – zu respektieren.
Am Ende zählen aber nicht die Worte, sondern die Taten. Ein sensibles Barometer für die deutsche Position in den griechisch-türkischen Beziehungen sind die in Griechenland heiß diskutierten Lieferungen hochmoderner deutscher U-Boot-Technologie an Erdogans Türkei.
In dieser Hinsicht ist unter der neuen deutschen Regierung der Ampel offenbar alles beim Alten geblieben. „Es geht hier nicht um U-Boote, sondern um Teile von U-Booten, die aus Deutschland kommen und für den Bau von U-Booten in der Türkei verwendet werden“, sagt Günter Seufert. „Diese Teile werden geliefert, die Genehmigungen sind erteilt worden und ich sehe keine Versuche, die Lieferungen anzuhalten.“

Ronald Meinardus
Dr. Ronald Meinardus ist Leiter des Mittelmeer-Programms des griechischen Think Tanks ELIAMEP.

 

 

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