Am Sonntag wurden in ganz Griechenland, zum Teil aber auch in Deutschland, der Schweiz und anderen Ländern, mehr als 100 Demonstrationen durchgeführt, die an ein schweres Eisenbahnunglück vor zwei Jahren erinnerten. Damals kamen 57 Menschen ums Leben. Gefordert wird eine lückenlose Aufklärung der damaligen Ereignisse.
Es war ein Desaster ohnegleichen. Bei einem Frontalzusammenstoß eines ICE mit einem Güterzug fanden vor zwei Jahren 57 Menschen den Tod, darunter vor allem Studenten, die an ihren Studienort zurückkehren wollten. Nun gibt es Indizien dafür, dass etwa 30 der Insassen nicht sofort tot waren. Sie sollen erst nach einem heftigen Brand gestorben sein, der sich durch eine Explosion im Güterzug ereignete. Dem Vernehmen nach könnten illegal gefährliche chemische Substanzen transportiert worden sein – dafür soll es immer mehr Hinweise geben.
Mehr als 30.000 Menschen haben sich an der Demonstration in Athen beteiligt.
„Ich habe keinen Sauerstoff“
In die Öffentlichkeit gelangten Tonaufzeichnungen, wonach Passagiere des ersten ICE bis zu drei Minuten nach dem Zusammenstoß noch am Leben gewesen sein sollen. Eines der Opfer war mit den Worten zu hören: „Ich habe keinen Sauerstoff mehr!“ Bei Massenkundgebungen am Wochenende, die an die Ereignisse von damals erinnerten, wurde dieser Satz zum Slogan. Medienberichten zufolge waren es die größten Demonstrationen seit 14 Jahren.
Maria Karystianou, Mutter eines der 57 Opfer
Zehntausende Beteiligte
Allein auf dem Athener Syntagma-Platz hatten sich offiziellen Angaben der Polizei zufolge mehr als 30.000 Menschen eingefunden – die Opposition spricht von weit höheren Teilnehmerzahlen. Protestiert wurde nicht zuletzt auch in der zweitgrößten Stadt des Landes, Thessaloniki. Sowohl dort als auch in der Hauptstadt kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Vermummten und Einsatzkräften der Polizei.
Ähnliche Protestaktionen fanden auch in fast allen anderen Landesteilen statt. Dazu aufgerufen hatten Parteien der Opposition, Hinterbliebene der Opfer, Gewerkschaften, Studenten, aber etwa auch Künstlerverbände. In der nordwestlich gelegenen Stadt Ioannina haben Musikstudenten Songs für die Opfer von damals interpretiert.
Auch Studentenverbände haben sich an der Protestaktion beteiligt.
Vorwurf der Gleichgültigkeit
Maria Karystianou, die ihre Tochter bei dem Unglück verloren hatte, zeigte sich angesichts der massenhaften Beteiligung der Bevölkerung an den Protesten sehr berührt. Sie ist gleichzeitig Vorsitzende des Vereins der Hinterbliebenen der Opfer. Der Regierung und der Justiz warf sie Gleichgültigkeit vor. Sie fordert eine „sofortige Untersuchung der Explosion der illegalen Chemiefracht und des Feuers, bei dem unsere Liebsten bei lebendigem Leib verbrannten“. Außerdem forderte sie den Kandidaten für das Amt des Staatspräsidenten Konstantinos Tasoulas dazu auf, noch vor seiner Amtsübernahme Stellung zu beziehen. Premierminister Kyriakos Mitsotakis warf sie vor, nach seiner Amtsübernahme im Jahr 2019 über die desolate Lage bei der Griechischen Bahn informiert gewesen zu sein. Dieser habe jedoch nichts dagegen unternommen. Was die Ermittlungen der Unfallursache angeht, so sprach sie von einer „Daten-Verschwinde-Operation im Mafia-Stil“.
Proteste fanden in diesem Zusammenhang auch in Deutschland, in der Schweiz, in Kanada sowie den USA statt. (Griechenland Zeitung / Elisa Hübel)