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Ostkreta Teil VI

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Ostkreta Teil VI

Nach dem verlassenen Ort Vrachαssi ist man wenig später über die Einfahrt ins mondäne Neαpoli hoch erfreut. Die Bischofskirche dominiert dort den großzügigen Platz, der durch etwas mehr Gestaltung sogar noch einladender werden könnte.Die Bedeutung des Ortes ging in den vergangenen Jahrzehnten nie verloren, auch wenn Aghios Nikσlaos ihm - vor allem in den Sommermonaten - versuchte, etwas den Rang abzulaufen. Als administratives Zentrum hat die Stadt ein Gericht und konsequenterweise auch ein Gefängnis; hier gab es aber auch das erste Gymnasium der ostkretischen Präfektur Lassithi. Am Abend sind Tavernen und Cafes zum Bersten voll.

Noch voller als an allen anderen sommerlichen Abenden ist die Platia zum Fest der Maria (Panagνa) am 15. August. Schon am Vortag werden die Stände aufgebaut, und wenn auch die Mehrheit der Waren die Aufschrift "Made in China" oder "Made in Taiwan" trägt, findet man auf Kreta fabrizierte Produkte, wie sie etwa die äußerst sympathische "alternative" Irini anbietet, die inselbekannt seit ihrem 4. Lebensjahr auf den Straßen unterwegs ist und ihr Handwerk auf Märkten feilbietet, das sie heute in den Wintermonaten in Mύrtos an der Südküste bastelt: Trommeln, Spiegel, Schmuckkästchen und vieles mehr. Ab Abend finden wir - weil frühzeitig gekommen - noch bequem Platz an einem der zahlreichen langen Tische. Unsere Ohren gewöhnen sich auch bald an die laute kretische Live-Musik, zu der Tanzgruppen selbstverständlich Lokales vorführen. Unterbrochen wird die Veranstaltung aber kurz nach Beginn, als plötzlich verschwitzte Läufer eintreffen. Wie man uns erklärt, ist es Brauch, dass zu diesem Feiertag Männer vom gegenüberliegenden, vier Kilometer entfernten Berg, auf dessen Gipfel drei riesige Leuchtkreuze montiert sind, bis zum Stadtplatz um die Wette laufen. Fast mit schlechtem Gewissen, weil wir nichts geleistet haben, markieren wir trotzdem auf einem vorgedruckten Zettel unsere Speisewünsche: Klιftiko, Kartoffeln und Wein. Vor dem kulinarischen und musikalischen Teil des Abends, der mit einem imposanten Feuerwerk zu Ende ging, scheiterte übrigens unser Versuch, in der Kirche eine Kerze anzuzünden: Die Warteschlange war einfach zu lang.

"Unglück" vor Chryssi

Ein verunglückter Ausflug vor der Fahrt zum Schiff nach Herαklion war eines der letzten Abenteuer auf Kreta. Unser angepeiltes Ziel war die Insel Chryssi, die gegenüber der Stadt Ierαpetra liegt und die man nach 40 Minuten Schifffahrt erreicht. Trudelt man in Ierαpetra jedoch erst um 12.45 Uhr ein, bleiben die uns versprochenen exotische Strände auf Chryssi Postkartenbild und Traum. Das Boot versäumen wir um diese entscheidenden 15 Minuten. Es ist heiß, die Nerven sind angespannt, die Stimmung ist trübe. Da hilft nur ein kühlendes Eis an der Hafenpromenade. Was tun? Der nächstegelegene Badeort wird zu unserer Ausflugsalternative, und wir entscheiden uns für Mύrtos. In der Hitze losgefahren, ziehen sich am Himmel plötzlich Wolken zusammen und am Strand angekommen bläst ein Wind die Wellen hoch, wie es im Libyschen Meer nicht häufig vorkommt. Wir aber dürfen es erleben. Im Verein von Wellengang mit den relativ großen Steinen wird der Badeversuch zu einer Rutschpartie. Festeren Boden unter den Füßen hat man da schon auf den Betonvorbauten über dem Strand, die mit Tavernen bespickt sind. Dorthin flüchten wir auch in unserer Verzweiflung. Lukullisches vertreibt langsam den Ärger über den etwas vermasselten Trip und mit Mύrtos und der Welt zufrieden treten wir gegen nachmittag den Heimweg an. Nicht einmal die zahllosen Gewächshäuser, die mit Plastik eingehüllt in die Hänge gebaut sind, stören uns, obwohl diese "Architektur" von vielen als Verschandelung der Landschaft empfunden wird. Aber Ierαpetra ist die Gemüsekammer Kretas, heißt es, und wer möchte griechische Tomaten nördlich der Alpen auf seinem Mittagstisch missen? Auf der Rückfahrt geht es manchmal hoch an wunderschönen Buchten vorbei, dann kurz vor Aghios Nikσlaos nähern wir uns wieder hautnah mehreren Stränden und wir fragen uns insgeheim, warum wir das Gute nicht näher gesucht haben.

Archαnes und aus!

Das Ende naht. Packen, Geschenke mitnehmen, Melancholie und Aufbruch. Nichts Neues also an Gefühlen. Noch aber steht die Rückfahrt nach Herαklion bevor und die kann nicht ohne einen weiteren Zwischenstopp erfolgen. Archαnes, \"das schönste Dorf auf Kreta\", sagt man uns, dürfen wir uns einfach nicht entgehen lassen. Wir fahren wenige Kilometer vor der kretischen Hauptstadt schräg in Richtung Berge und tappen uns per Karte von einem Ort zum anderen. Die Beschilderung gleicht einer Labyrinth-Aufgabe. Erst geht es einen Hügel entlang, unter uns nichts als Olivenbäume. Wenig später stehen wir immer wieder vor Kreuzungen und wissen nicht mehr wohin. Staubige Straßen, rundherum nur Landschaft und keine menschlichen Wesen. Wir fragen uns durch - falls man überhaupt jemanden erblickt, den man fragen kann: Endlich bei einem großen Dorf angekommen - wie war noch der Name? - begleitet uns ein Mopedfahrer bis zum Ortsende, und endlich stehen wir vor dem Schild Archαnes, sechs Kilometer. Vor Archαnes steht rechts unterhalb der Straße ein Weinmuseum. Bekannt wurde der Ort durch die Funde aus minoischer Zeit, die das Archäologen-Ehepaar Sakellarαkis hier ausgegraben hat. Gen Westen erhebt sich der Joϊchtas-Berg, der einem schlafenden Zeus ähneln soll. Wir drehen unsere Köpfe, um sein Profil zu erkennen. Zwei großίe Plätze "rahmen" Archαnes ein. Man spürt die Fruchtbarkeit der umliegenden Felder und den Wasserreichtum. Die Gebäude sind fast alle einstöckig und schmuck; kleine Gassen, weintraubenträchtige Innenhöfe. Archαnes vermittelt den Eindruck eines reichen Dorfes, das sich eine Elite aus Herαklion zum ländlichen Wohnsitz ausgewählt hat und die von hier aus täglich zur Arbeit fahren. Nach einer Stunde Flanieren durch den Ort rüsten wir uns langsam für den Weg und die Fähre. Eine Flasche des lokalen Weines in der Tasche, ein Souflαki - das hier wie fast überall auf Kreta statt mit Tzatziki mit Joghurt angerichtet wird - für den Magen. Nur kurz befüllt uns Nervosität, als wir auf der Hauptstraße in eine Hochzeit geraten. Der Zug wird von einem Lyra-Spieler angeführt, wir bleiben etwa eine halbe Stunde eingeschlossen, bis die Kompagnie bei der Kirche anlangt. Unser Schiff ist Gott sei Dank noch lange nicht weg. Die Fantasie, die Beschilderung raffiniert zu verstecken, strapaziert uns noch auf den letzten Kilometern. Nach zwei drei Anläufen finden wir dann doch die Straße nach Herαklion. Dann aber geht es fix. In wenigen Minuten erreichen wir den Hafen. Die "schwimmende Burg" wartet wieder. Wir schiffen uns ohne weiteres Zögern ein. Die Sonne hat sich bereits verabschiedet. Morgen ist sie wieder da und wir sind schon kurz vor Piräus.

Robert Stadler

Foto: © Griechenland Zeitung / Melissa Weyrich, Kreta

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