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Thassos: Eine Insel auch für Autofahrer

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Thassos: Eine Insel auch für Autofahrer

Die Fähre vom makedonischen Keramoti nach Limenas, der Inselhauptstadt von Thassos, braucht nur 30 Minuten. Zwei Personen samt Pkw zahlen für die Überfahrt hin und zurück 44 Euro – da lässt keiner seinen Wagen auf dem Festland stehen.

Thassos sieht auf der Karte aus wie ein leicht angenagter Kreis. Das lädt zur Umrundung ein, zumal ohnehin kein einziges Asphaltband quer über die Insel führt. Am besten fährt man entgegen dem Uhrzeigersinn – dann braucht man an den vielen gut angelegten Aussichtspunkten nicht immer die Straße zu überqueren und hebt sich die Höhepunkte der Rundfahrt für den zweiten Teil des Tages auf.
An der Nord- und Westküste nämlich hält sich die Inselschönheit in Grenzen. Fixpunkt fürs Auge in der Ferne ist das sich vor dem fast 2000 Meter hohen Pangeon ausbreitende Kavala;  am Straßenrand zeugt ein Marmorsteinbruch von einer der immer schon wichtigsten Einnahmequellen der Insulaner. Danach prägt eine schon aus den Ortsnamen abzulesende Eigenart die Landschaft: Die historischen Dörfer wie Rachoni, Prinos, Sotiros und Kalirachi liegen ein paar Kilometer landeinwärts, vergeuden für ihre Häuser keinen fruchtbaren Boden. Wichtiger als sie sind für die Inselwirtschaft jedoch ihre Dependancen am Meer, die alle die Bezeichnung Skala plus Dorfnamen tragen. Hier stehen die Ferienhäuser der Großstädter aus Kavala, Xanthi und Thessaloniki, hier quartieren sich in Ferienapartments und kleinen Hotels die Auto-Touristen ein. Früher kamen viele aus Deutschland und Österreich, heute beherrschen serbische und bulgarische Kennzeichen das Sommerbild.

Lammkopf oder Fisch?

Die schönste Platia all dieser Binnendörfer mit Skala besitzt wohl Megalos Prinos. Die uralte Platane in der Platzmitte ist ein Kinderspielplatz der Natur. Ihr ausgehöhlter Stamm lädt zu Rollenspielen ein, die Äste sind kletterfreundlich tief und waagerecht. Drumherum stehen vor historischen Häusern die Tische und Stühle der Dorftaverne „To Kazaviti“. Da sind minziger Bergtee, Zitronen- und Orangensaft und selbst der Walnusslikör noch hausgemacht, stehen Bohnensuppe und Ziegen- oder Lammkoteletts auf der Tageskarte und ein Giouvetsi, bei dem sich zu den Kritharakia-Nudeln Käse, Knoblauch, Zwiebeln und Fleisch vom Lammkopf gesellen. Wem das zu deftig ist, der fährt weiter in den Südwesten der Insel, wo sich in Skala Marion besonders viele Fischtavernen um den kleinen Hafen aneinander reihen.
Unterwegs melden sich auch die Geschichte und Kunst zu Wort. Unter dem Kirchplatz von Skala Sotiros direkt an der Inselrundstraße haben Archäologen 1986 die Überreste einer kleinen, befestigten Siedlung aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. gefunden. Zu ihrem hohen Mauerring gehörten drei Tore und mehrere Bastionen. In die Mauern eingefügt sind Menhiren ähnliche Stelen und fünf steinerne Köpfe, die ins 3./4. Jahrhundert v.Chr. datiert werden. Nur wenige Kilometer weiter hat die Thassierin Emmy Varouxadi in einem alten Olivenhain nahe dem Meer seit 2002 ein Freilichtmuseum für zeitgenössische Bildhauerkunst geschaffen. Von 2002 bis 2005 fanden hier drei internationale Bildhauersymposien statt, bei denen die Künstler aus aller Welt ausschließlich mit weißem thassischen Marmor arbeiteten. Ihre Werke verblieben dort, wo sie entstanden sind.

Zink, Blei und Sand

Ab Limenaria, dem größten Ort im Inselsüden, findet das Auge in der Ferne einen neuen Fixpunkt. Da ragt jetzt gegenüber der fast 2000 Meter hohe Berg Athos mit seiner Mönchsrepublik aus der Ägäis. Limenaria selbst ist weniger vom Tourismus geprägt als seine Mitbewerber am Meer. Über seinem Hafen thront auf einem niedrigen Hügel das Wahrzeichen des Ortes, ein in dieser Region sehr fremdartig anmutendes Gebäude, das die Einheimischen Palati; also Palast, nennen. 1903 bis 1905 erbaut – also in einer Zeit, als Thassos noch zum Osmanischen Reich gehörte – diente es bis zum Ersten Weltkrieg als Verwaltungsgebäude der deutschen Bergwerksgesellschaft Speidel/Forzheim und als Residenz des Unternehmers. Sie ließ im Hinterland von Limenaria Zink- und Bleierze abbauen. Seit 1963 waren der Palati und seine Nebengebäude dem Verfall überlassen, erst EU-Mittel sicherten in den letzten Jahren zumindest ihren Erhalt. Und in einer der alten Lagerhallen finden jetzt im Sommer sogar häufiger Konzerte statt. Attraktiv gestaltet wurde auch ein kleiner Park um die Verladeanlagen direkt am 200 Meter langen Sandstrand Plaz Metallia auf der Rückseite des Palasthügels. Eine kleine Beach Bar unter schattigen Bäumen bietet da 40 idyllische Sitzplätze, vermietet am Strand 28 Schirme und 56 Liegestühle. Der Wirt klagt: „Leute kommen kaum. Aber ich muss jährlich 9000 Euro Pacht an die Gemeinde zahlen“.

Baden bei Kastor und Pollux

Über einen leeren Strand können sich die Wirte an der autofreien Uferpromenade im Nachbarort Potos im Hochsommer nicht beklagen. Wer dann hierher kommt, liebt entweder das Ölsardinenbüchsengefühl oder badet anderswo, will aber das intensive Nachtleben des Ortes genießen oder das große Wassersportangebot nutzen. Hinter Potos wird es ohnehin wieder ruhiger. Die Straße verläuft jetzt weit oben am Berg, erreicht bald das hoch über der Ägäis schon um 1100 gegründete Kloster Archangelou. Die Nonnen hier blicken aus ihren Fenstern direkt auf den Heiligen Berg, lassen Pilger aber nicht ins Kloster hinein, sondern nur bis zur Klosterkirche hinab. In deren Vorraum wird ein Nagelsplitter vom Kreuz Christi verehrt, an der Bilderwand hängt eine wundertätige Ikone des Erzengels Michael aus dem 17. Jahrhundert. Dankbare Gläubige haben ihr zahlreiche Votivtäfelchen, wertvollen Schmuck und Uhren geschenkt. Als Gastgeschenk für die Besucher haben die Nonnen einen Pappkarton mit Loukoumi neben die Kirchentür gestellt, aus der sich jeder frei bedienen kann, im Klosterladen stehen billige gedruckte Ikonen und kleine Plastikflaschen für die Mitnahme heiligen Wassers zum Verkauf.
Wo die Straße wieder Meeresniveau erreicht, liegt wohl der schönste Fleck an der Südküste von Thassos: Aliki. Ein schmaler Isthmus führt auf eine winzige Halbinsel hinüber, auf der schon seit dem 7. Jahrhundert v.Chr. und noch bis in frühchristliche Zeit hinein Marmor abgebaut wurde. Direkt von hier aus wurde er nach Athen und auf ägäische Inseln verschifft. Am Ansatz der Halbinsel suchten Kapitän und Matrosen in zwei Tempeln für die Zwillingsgötter Kastor und Pollux als Beschützer der Seeleute Segen für ihre anstehende Reise, im 6. Jahrhundert errichteten frühe Christen direkt daneben zwei kleine Basiliken. Nur wenige Schritte davon entfernt baden jetzt die Urlauber auf beiden Seiten des Isthmus an schmalen Stränden, kämpfen die Tavernenwirte um die wenigen sich nicht selbst verpflegenden Gäste.

Samothraki gegenüber

Hinter dem Kap Stavros taucht dann ein neuer Fixpunkt in der Ferne auf: Die drei Bootsstunden entfernte, 1624 Meter hohe  Insel Samothraki. Auch von den breiten Sandstränden der thassischen Ostküste aus ist sie bei halbwegs klarer Luft stets gut zu sehen. Der erste dieser Strände, der  Paradise Beach, 500 Meter abseits der Inselrundstraße, bietet noch das kleine, unbewohnte Inselchen Kinira dicht vor der Küste als Dreingabe. Er ist völlig hotelfrei, aber mit Liegestühlen, Sonnenschirmen, Taverne und Snack-Bar gut versorgt. Etwas weiter nördlich dehnen sich die Küstenorte Skala Potamia und Chrisi Ammoudia immer weiter entlang einer weiten Bucht aus. Sie besitzen die breitesten und längsten Sandstrände der Insel und Unterkunftsmöglichkeiten für fast jeden Geschmack. Oberhalb der Bucht wartet Thassos mit zwei echten Bergdörfern auf: Potamia und Panagia. Die Inselrundstraße führt durch beide hindurch, der 1204 Meter hohe Inselkönig Ypsari überragt sie. Enge Gassen und steinerne, mit Ziegeln gedeckte Häuser sind ihre Charakteristika. Potamia ist zudem auf ein kleines Museum stolz. Der hier 1892 geborene Polygnotos Vagis machte in den USA Karriere als Bildhauer, einige seiner Werke gehören zum Fundus des MoMA und des Metropolitan Museums in New York. Einen Teil seines Werkes stiftete er dem griechischen Staat, das für ihn in Potamia das kleine Museum erbaute.

Eine durchwachsene Stadt

Durch dichten Nadelwald geht es nun vorbei an mehreren noch immer aktiven Marmorsteinbrüchen wieder zurück in die Inselhauptstadt Limenas. Ihr besonderer Reiz liegt in der langen Uferfront vor niedrigen grünen Hügeln, ihrem mit kleinen Booten gefüllten antiken Kriegshafen und vor allem in der Durchdringung der neuen Stadt mit vielen Resten aus dem Altertum. Limenas liegt nämlich weitgehend innerhalb der teilweise sehr gut erhaltenen Mauern der antiken Stadt Thassos, die bereits um 700 v.Chr. von Kolonisten der Kykladeninsel Paros gegründet worden war. Ihre Hotels verteilen sich über den ganzen Ort, der städtische Badestrand liegt nur etwa 300 Meter vom Ortszentrum entfernt, sandig und von kleinen Bäumen beschattet. Bis an den Kriegshafen heran reicht die antike Agora, die wie ein Landschaftspark wirkt. An ihrem Rand steht das moderne Archäologische Museum, das als wertvollstes Objekt eine 3,5 Meter  hohe Kouros-Statue mit einem Widder auf dem Arm birgt. Überreste eines Poseidon-Tempels liegen auf einem Feld, im antiken Dionysos-Tempel wird manchmal Wäsche zum Trocknen aufgehängt – und im antiken Theater der Stadt auf einem dicht bewaldeten Höhenzug über dem Hafen kann jeder selbst die antiken Verse rezitieren, die er im Kopf oder als Fotokopie dabei hat.

Text und Fotos von Klaus Bötig

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